Widersprüche der afrikanischen Entwicklung

Die Schlagzeilen über Afrika und seiner zukünftigen Entwicklung in den internationalen Medien sind sehr widersprüchlich. Mal ist Afrika der verlorene und zukunftslose Kontinent und einmal ist er voll Zukunftshoffnungen und Investitionsmöglichkeiten. Jedenfalls ist er unser Nachbarkontinent und sein Schicksal kann uns in unserer globalisierten Welt nicht gleichgültig sein. Kriege, Konflikte und Unterentwicklung können nicht zuletzt durch erzwungene massive Migrationsströme und terroristische Banden bzw. Piraterie negative Konsequenzen auf Europa haben. Umgekehrt wirken sich Frieden, Entwicklung und die Aussichten auf Jobs positiv auf die Entwicklung in Europa aus.

Bei einer positiven Afrikapolitik der EU geht es nicht so sehr um das Abtragen der Schuld der kolonialen Vergangenheit inklusive der Verschleppung von Sklaverei. Es geht um die Chancen, Kriege und Krisen zu vermeiden, gemeinsam die Ressourcen der afrikanischen Länder durch Teilung von Kapital und Know-how zu gewinnen und zu vermarkten und die Gewinne daraus vor allem der lokalen Bevölkerung zu Gute kommen zu lassen.

Selbstverständlich sind selbst bei der Verfolgung all dieser Ziele Konflikte nicht zu vermeiden. Widersprüchliche Interessen stoßen aufeinander und es ist nicht immer leicht einen Interessenausgleich zu finden. Aber die EU könnte und müsste dabei eine aktive Rolle spielen. Sie könnte dies tun, wenn sie die eigenen Interessen mit denen der afrikanischen Länder und vor allem der afrikanischen Bevölkerung auf einen Nenner bringen würde. Ohne überheblich zu sein, muss man feststellen, dass nicht nur die Investoren und Europa als politische Einheit sondern auch viele afrikanischen Länder den Anforderungen einer modernen sozialen Marktwirtschaft nicht genügen. Es müssten manche afrikanischen Regierungen auch selbst große Reformanstrengungen unternehmen, um bei diesem Interessenausgleich eine größere und positivere Rolle zu spielen.

Alte und neue Ressourcen

Diese Fragen stellen sich aktuell besonders, weil seit einiger Zeit in vielen Ländern von Schwarzafrika zusätzlich zu den bekannten Bodenschätzen umfangreiche Gas- und Ölvorkommen gefunden wurden. Wir wir aus vielen Fällen wissen, können diese Fluch und/oder Segen bedeuten. Nach solchen Entdeckungen steigen die Erwartungen der Bevölkerung bisweilen ins unrealistische, Geld, wenn es einmal fließt, wird manchmal schnell und unüberlegt ausgegeben und die Korruption nimmt in vielen Fällen deutlich zu. Vor allem dann, wenn die Vergabe der Lizenzen durch die nationalen bzw. lokalen Behörden und die Geldflüsse an die Regierungen nicht transparent erfolgen.

Aus diesem Grund wurde schon vor etlichen Jahren – unter anderem von Tony Blair – die „Extractive Industries Transparency Initiative“ gegründet. Zwei afrikanische Länder, die sich dieser Initiative angeschlossen haben, sind Ghana und Tansania. Im Juni dieses Jahres haben wir im Übrigen im EU Parlament ein Gesetz beschlossen, das europäischen Unternehmungen in diesen Industrien eine vermehrte Informations- und Rechenschaftspflicht auferlegt. Vorher schon haben die USA mit ihrem Frank/Dodd Act ähnliches beschlossen. Wissend, dass diese Gesetze nicht alle diesbezügliche Fragen lösen, dass aber anderseits Ghana und Tansania ein gutes Beispiel für andere – afrikanische – Länder darstellen können, beschloss ich mit einer kleinen Delegation diese beiden Länder unmittelbar vor Beginn der parlamentarischen Herbstarbeit zu besuchen.

Zwei Modellstaaten?

Unser erstes Ziel war Accra, die Hauptstadt des westafrikanischen Staates Ghana. Ghana war die erste britische Kolonie in Afrika, die die Unabhängigkeit erlangte. Maßgebend beteiligt war Kwame Nkrumah, der allerdings, ebenso wie sein tansanischer Kollege Julius Nyere, scheiterte, den Traum eines eigenen modellhaften afrikanischen Weges zu realisieren. Nyere träumte von einem an den Traditionen des Volkes orientierten speziellen Sozialismus. Nkrumah war ein eifriger Verfechter einer, den ganzen Kontinent umfassenden, afrikanischen Einigung, also eines Panafrikanismus und beide wollten mit zunehmend autoritärerer Regierung ihre Vorstellungen umsetzen.

Ghana

Unser erster Gesprächspartner in Ghana war der Minister für Finanzen und wirtschaftliche Entwicklung. Ausführlich und exakt schilderte er die Notwendigkeit, sich nicht auf die traditionellen Ressourcen wie Gold oder auf die neuen Funde von Gas und Öl zu verlassen. Die Wirtschaft müsse diversifiziert werden und auch die Landwirtschaft müsse modernisiert werden. Die Präsentation der diesbezüglichen Vorhaben, aber der auch dabei zu überwindenden Probleme, war sehr beeindruckend.

Noch mehr war ich allerdings von der Qualität und Stringenz der Argumentationen der Vertreter der NGOs, also der Nichtregjerungsorganisationen, überrascht und beeindruckt. Sie anerkannten die Bemühungen der Regierung und insbesondere des unlängst wiedergewählten Präsidenten. Aber sie wollten mehr. Sie forderten die Veröffentlichung aller Verträge zwischen Investoren und der Regierung. Weiters sollte die Verwendung der Einnahmen aus der Vergabe der Lizenzen und aus den Profiten der Investoren transparent und kontrollierbar sein. Auch hinsichtlich der Umweltauswirkungen der einzelnen Investitionen forderten sie mit Recht mehr Informationen und Untersuchungen und vor allem strengere Auflagen.

Dabei stellen sowohl in Ghana als auch in Tansania die kleineren Bergwerksunternehmungen und insbesondere die illegalen Unternehmungen ein besonders Problem dar. Viele Ghanaer verkaufen nämlich – und das ist illegal – ihre Lizenzen an Ausländer, darunter auch an Europäer, mit all den negativen Auswirkungen der Gewinnung und des Verkaufs von Gold auf illegalem Weg. Und sicherlich sehen etliche Behörden bei entsprechend Zahlungen über solche Machenschaften hinweg.

Der Kampf gegen die Korruption und für eine bessere und effizientere Verwaltung ist etwas, was wir als Europäer nicht nur einfordern sollen, sondern wo wir auch Hilfe und Unterstützung anbieten müssen. Das tun wir auch und arbeiten mit den Regierungen in Ghana und Tansania gut zusammen. Überhaupt besteht heute die „Entwicklungshilfe“ immer weniger in finanzieller Unterstützung sondern in gemeinsamen Projekten zur Ertüchtigung von Regierung, Verwaltung und sensiblen Wirtschaftssektoren wie der Landwirtschaft und der Infrastruktur. Darüber hinaus werden gute und faire Wirtschaftsbeziehungen immer wichtiger als die traditionelle Entwicklungshilfe (from Aid to Trade !)

Tansania

Über Nairobi ging es dann nach Dar es Salaam, der tansanischen Hauptstadt. Auch dort erlebten wir hervorragende Leute in der Regierung und auf Seiten der NGOs. Allerdings sind die Gesetze und Maßnahmen hinsichtlich Transparenz und Verantwortlichkeit noch nicht so weit wie in Ghana fortgeschritten. Aber auch hier wirken aufgeklärte Leute der Regierung (und der Opposition) und der NGOs sowie internationale Geldgeber wie die EU aber auch die Weltbank eng zusammen, um entsprechende Regelungen und deren Umsetzung zu erreichen. In beiden Ländern war ich auch vom Engagement vieler europäischer Botschafter (und des kanadischen High Commissioners) – in Kooperation mit den EU Vertretern- beeindruckt, den Ländern zu helfen, eine entsprechend administrative und politische Kapazität aufzubauen. Denn nur dann können sie den internationalen Investoren gleichgewichtig gegenübertreten. Und langfristig sind nur gleichberechtigte Beziehungen für eine positive Entwicklung in Afrika und Europa hilfreich.

Vor Tansania wurden besonders große Öl- und Gasressourcen entdeckt und das Land muss daher besonders aufpassen, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Dabei würde eine stärkere Zusammenarbeit und Abstimmung insbesondere in der Ostafrikanischen Gemeinschaft sowie mit dem Nachbarland Mosambik besonders hilfreich sein. Letzteres insbesondere angesichts der großen Ressourcenvorkommen im gemeinsamen Grenzgebiet von Tansania und Mosambik. Vor allem der Aufbau einer gemeinsamen Infrastruktur hinsichtlich des Verkehrs (von Eisenbahnverbindungen bis zum Ausbau der Häfen) würde die Kosten für die einzelnen Länder verringern und die Attraktivität der Region insgesamt deutlich erhöhen.

Erste Welt – Dritte Welt.

Sowohl die Probleme als auch die Möglichkeiten Afrikas sind enorm. Beides ist klar erkennbar. Ebenso wie die Enklaven der Modernität einerseits und Wirtschaftsmethoden, die über Jahrhunderte ausgeübt wurden, anderseits. Es gibt extremen Reichtum einiger weniger und extreme Armut vieler. Es gibt exzellente Expertise und viel Unwissenheit. In diese Widersprüchlichkeit könnte und sollte Europa seine komplexe Erfahrung einbringen. Mit all unseren Mängeln und Fehlern können wir einen positiven Beitrag zur Entwicklung unseres Nachbarkontinents leisten. Nicht als neo-koloniale Lehrmeister sondern als Wirtschaftspartner, die selbst einen schwierigen Wandlungs- und Integrationsprozess durchgemacht haben und noch dabei sind.

Unser Engagement in Afrika – und anderen Entwicklungsländer – muss Teil einer globalen Strategie sein, um die Verhältnisse gerechter zu gestalten. Dabei brauchen diese Länder durchaus unsere politische Einigung und unseren wirtschaftlichen Fortschritt. Allerdings gepaart mit Verständnis unserer Nachbarn und Geduld. Vielfältiges Know how gegen Rohstoffe ist vielleicht zu simpel. Aber darin steckt ein Kern der Wahrheit. Und ich bin fest überzeugt, dass wir auf Dauer die besseren Partner für Afrika sind als das China von heute.