ZUR ZUKUNFT DER SPÖ: STATT NABELSCHAU OFFENHEIT UND DIALOG

Ohne Zweifel befindet sich die österreichische Sozialdemokratie in einer Krise. Ich „bewundere“ all jene, die schon jetzt – wenige Tage nach den Wahlen eindeutige Antworten haben. Ich meine vielmehr, will man die Chancen der Sozialdemokratie verbessern, geht es zuerst auch um eine Beachtung und Analyse der strukturellen Faktoren. Die Krise ist ja nicht nur eine österreichische, sondern zumindest eine europäische. Portugal ist dabei sicher kein Gegenbeispiel. Antonio Costa hat auf Grund seiner gut organisierten Antwort auf eine tiefgehende Wirtschaftskrise gewonnen. Überdies, trotz einem wirtschaftlichen Aufschwung, gibt es viele prekäre Arbeitsverhältnisse und Wohnsituationen. Und die können keineswegs beispielgebend für Österreich sein.

Bei der Analyse der enttäuschenden Wahlergebnisse muss man zuallererst bedenken, dass die potentielle Wählerschicht der Sozialdemokratie – vor allem die klassische, gut organisierte Arbeiterschicht – in allen europäischen Ländern zahlenmäßig abgenommen hat. Die „traditionellen“ Arbeiter sind vielfach durch Maschinen oder durch ausländische Arbeitskräfte ersetzt worden. Erstere haben naturgemäß kein Wahlrecht und zweitere haben oftmals keine Staatsbürgerschaft und damit auch kein Wahlrecht. Überdies haben viele MigrantInnen oft keine Beziehung zu den politischen Verhältnissen im Land, in dem sie arbeiten. Und auch in der Sozialdemokratie sind sie zahlenmäßig unterrepräsentiert. 

Darüber hinaus ist es den rechten bis rechtsextremen Kräften gelungen, statt der sozialen Frage, also der Kluft zwischen Arm und Reich, die Frage Inländer oder/bzw. gegen Ausländer in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen zu stellen. Vor allem deshalb waren und sind die wichtigen sozialen und finanziellen Vorschläge der SPÖ nicht so wirksam, wie sich das die SPÖ erwartet hat. Das gilt solange wie viele Menschen das Gefühl haben, dass solche finanziellen Leistungen primär den – oft kinderreichen – „ausländischen“ Familien zu Gute kommen.

Was nun den Vergleich mit der letzten Wahl zum Nationalrat betrifft, so darf man nicht vergessen, dass viele WählerInnen („Leihstimmen“) wieder zu den Grünen zurückgewandert sind, nachdem sie bemerkt haben, dass ihr letztes Wahlverhalten die Grünen aus dem Parlament verdrängt hat. Und selbstverständlich hat auch die mediale Berichterstattung um Greta Thunberg und die verschiedenen Demonstrationen den Grünen zu einem Wahlsieg verholfen. 

Grundsätzlich sehe ich zwei vorrangige Ängste bei einem Großteil der EuropäerInnen und so auch in Österreich. Ersten haben viele Angst vor der unkontrollierten Zuwanderung, vor kultureller „Überfremdung“ etc. Darauf gibt die Rechte und vor allem die extrem Rechte eine klare Antwort. Sie ist kurzsichtig und löst nicht die Aufgabe die Migrationsströme sozial verträglich zu lenken und vor allem die Integration voranzutreiben. Aber momentan ziehen diese Antworten. Gerade diesbezüglich muss die Sozialdemokratie andere, humane, aber auch überzeugende Antworten finden. Da wird man nicht viele WählerInnen zurückgewinnen, vor allem wenn sie StammwählerInnen der Rechten geworden sind. Aber neue WählerInnen kann man sicher gewinnen, wenn die SPÖ für eine menschliche aber auch den wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen unseres Landes entsprechende Zuwanderung eintritt. 

Die andere Angst ist die vor der Klimakatastrophe. Auch hier geht es nicht so sehr um einzelne Maßnahmen. Die SPÖ müsste ein Konzept vorlegen, dass geeignet ist – gemeinsam mit den europäischen Partnern – die Erderwärmung und den Ressourcenverbrauch zu bremsen. Und dabei muss es einen sozialen Ausgleich der unvermeidbaren Kostensteigerungen geben. Gerade hier spielt die Verteilungsfrage eine große Rolle. Aber die darf die Sozialdemokratie nicht daran hindern, die Klimafrage in den Mittelpunkt ihrer politischen Vorschläge zu stellen. 

Hinsichtlich beider Fragestellungen hat sich die Sozialdemokratie vor einer intensiven Beschäftigung und umfassenden Antworten in der Vergangenheit gedrückt. Sicher ist gerade in Wien viel an konkreter Arbeit geleistet worden. Aber dennoch wird es auch hier darum gehen, eine Vision zu präsentieren, die die unterschiedlichen Antworten zusammen- und umfasst. Die vielen sozialdemokratischen Einzelstories benötigen eine Klammer, die auch konsequent zu kommunizieren ist. 

Sicher gibt es auch andere wichtige Fragen, so zum Beispiel, wie es angesichts fortschreitender Automatisierung und Digitalisierung mit den Arbeitsplätzen weitergeht bzw. weitergehen sollte. Wo soll die Automatisierung vorangetrieben werden und wo soll sie gebremst und besteuert werden? Wieviel an Daten braucht eine moderne Wirtschaft wirklich und wo braucht es einen absoluten Datenschutz. Einer Gesellschaft der unbegrenzten Big Data und des forcierten Einsatzes an Robotern ist eine humane Digitalisierung gegenüber zu stellen. So geht es darum, die Apokalypse einer „automatisierten“ Gesellschaft mit einer humanen Vision eines bewussten und kontrollierten Einsatzes digitaler Instrumente zu konfrontieren. Auch wenn die Sozialdemokratie nicht mehr eine Arbeiterpartei im klassischen Sinn ist, eine moderne Arbeitnehmerpartei muss auf diese gesellschaftlichen Herausforderungen Antworten finden. Vor allem gilt es, nach den vielen neo-liberalen Exzessen, eine nicht dogmatische Interpretation der Sozialdemokratie zu erarbeiten. 

Um wirklich wirksam zu sein, bedarf es in all diesen Fällen einer europäischen Zusammenarbeit. Weder die Herausforderungen der Migration und der Flucht, noch die Klimafrage und auch nicht die Aufgabe einer humanen Digitalisierung können in Österreich allein gelöst werden. Aber die österreichische Sozialdemokratie muss Anleitungen geben welche Initiativen auf europäischer und letztlich auch auf globaler Ebene zu setzen sind. Und in all diesen Fällen ist die soziale Dimension eine entscheidende und muss von der Sozialdemokratie besonders eingebracht werden. Vor allem darf die Politik sich nicht selbst aufgeben und nicht darauf verzichten, steuernd einzugreifen. Das heißt, dass nach den vielen neo-liberalen Exzessen eine nicht dogmatische Interpretation des Sozialstaates von Nöten ist. Da hat gerade auch die österreichische Sozialdemokratie viel beizutragen und dazu sollte sie viele Menschen einladen mitzumachen. 

Es geht also nicht um eine Anhäufung von Einzelvorschlägen, sondern um eine „Erzählung“, die auf die Ängste vieler WählerInnen antwortet und ein positives Bild der möglichen Zukunft zeichnet. Dafür nützt aber weder eine Personaldiskussion noch eine Nabelschau und auch keine Anhäufungen von Abstimmungen innerhalb der SPÖ. Notwendig ist hingegen ein umfassender und offener Dialog mit all jenen, die bereit sind ihre Kreativität und ihr Engagement in einen solchen Dialog einzubringen. Sicher sind manche Reformen innerhalb der SPÖ nötig, aber der Schwerpunkt müsste eindeutig daraufgelegt werden, Menschen von außerhalb anzusprechen und zum Mitdenken und dann auch zur Mitarbeit zu gewinnen.