Agenda 2014: Die Zukunft des Balkans

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Vlora, Albanien

Ziemlich am Anfang meiner Tätigkeit im EU-Parlament und meines Engagements für die Balkan-Region meinte ich KollegInnen gegenüber, dass 2014 – also 100 Jahre nach dem Attentat von Sarajevo und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs – alle Länder Südosteuropas Mitglieder der Europäischen Union sein sollten. Mein damaliger Kollege und Freund Jan Marinus Wiersma mahnte zu mehr Realismus und meinte, 2018 – also 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges – könnte es soweit sein, aber nicht früher.

Vorsicht und Realismus bei konkreten Daten

In einer Erklärung des griechischen Premierministers Papandreou und dann in einem gemeinsamen Brief des österreichischen und des amtierenden griechischen Außenministers wurde das Datum 2014 nun wieder aufgegriffen. Und jetzt bin ich es, der zu Vorsicht und Realismus warnen muss. Zwar ist der Brief der beiden Außenminister zurückhaltender als die apodiktische Erklärung von Papandreou, aber man muss mit voreiligen Fixierungen von Beitrittsdaten, die als Zusagen interpretiert werden können, sensibel umgehen.
Nun muss ich zugeben, dass auch ich in meinem Kroatienbericht http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+MOTION+B7-2010-0067+0+DOC+PDF+V0//DE, der letzte Woche mit großer Mehrheit im EU-Parlament abgestimmt wurde, ein Datum nenne. Aber ich füge hinzu, dass Kroatien die Beitrittsverhandlungen 2010 abschließen könne, wenn sich dieses Land bei all den noch ausständigen Reformen anstrengt. Es geht also nicht um eine Zusage, sondern um eine Möglichkeit und um eine Aufforderung, sich besonders viel Mühe zu geben. In all meinen Erklärungen gegenüber der – vorwiegend kroatischen – Presse füge ich auch immer hinzu, dass es jedenfalls sehr schwer sein wird, noch heuer einen Abschluss zu erreichen, aber dass es bei großen Anstrengungen doch möglich sein wird. Natürlich hängt dies auch vom Verhalten der einzelnen Mitgliedsländer ab, wie sie die Reformen Kroatiens bewerten.

Justizreform noch immer offen

So gab es vor allem seitens der Niederlande immer einmal mehr Kritik an der Justizreform, vor allem an der nicht „vollständigen“ Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Auch meine diesbezüglichen Bemerkungen wurden, wie ich kürzlich vernommen habe, auch vom niederländischen Außenminister für dessen Widerstand gegen die Eröffnung der Verhandlungen des Justizkapitels herangezogen. Diese Woche allerdings gaben die Niederlande ihren Widerstand auf und dieser wichtige Bereich wird nun auch Gegenstand der Verhandlungen zwischen Kroatien und der EU.

Sorgenkind Slowenien

Ein anderes, für die Kroatienverhandlungen wichtiges und zugleich schwieriges Mitgliedsland der EU ist Slowenien. Zwar hat es durch die beiden Premierminister Pahor und Kosa eine wesentliche Entspannung gegeben. Aber während das kroatische Parlament das Schlichtungsabkommen hinsichtlich der Grenzstreitigkeiten noch letztes Jahr ratifiziert hat, ist es in Slowenien zu heftigen Polemiken der Opposition gegen die Regierung gekommen und es liegt noch immer keine Ratifizierung vor. Wahrscheinlich kommt es auch zu einer Volksabstimmung.
Auch mein alter slowenische Bekannter, der ehemalige Außenminister Dimitri Rupel, mit dem ich oft über Kroatien diskutiert habe, hat meine jüngste Aufforderung, das Abkommen zu ratifizieren, kritisiert. Ich sei zu positiv gegenüber Kroatien eingestellt. Ich meine, ich bin generell positiv, aber gleichzeitig im Detail auch kritisch zu Kroatien eingestellt. Genau das ist meine Aufgabe als Berichterstatter des EU-Parlaments. Schließlich muss das EU-Parlament als erstes über den Beitrittsvertrag abstimmen, bevor alle Länderparlamente mit dem Ratifizierungsprozess beginnen können.

Griechisch-mazedonischer Streit

In derselben Woche haben wir auch über Mazedonien abgestimmt. Mein sozialdemokratischer Kollege Zoran Thaler, ein ehemaliger Außenminister Sloweniens, ist der Berichterstatter für diesen Beitrittskandidaten. Auch er hat es nicht leicht, ist doch dieses Land seit fünf Jahren Beitrittskandidat, ohne dass die Beitrittsverhandlungen begonnen hätten. Das liegt sicherlich primär an den nur schleppend vorangehenden inneren Reformen, aber nicht zuletzt ebenfalls an einem bilateralen Nachbarschaftsproblem. In diesem Fall ist es Griechenland, das mit Mazedonien im Streit liegt.
Für Griechenland ist Mazedonien ein Teil Griechenlands und der neue Staat müsse sich anders nennen, zumindest müsse Mazedonien eine Beifügung erhalten wie Obermazedonien, Neumazedonien etc. Mazedonien selbst, das bis heute offiziell FYROM (Former Yugoslav Republic of Macedonia) heißt, meint allerdings, dass es bei einer Namensänderung seine „Identität“ verlieren würde. Alle Vermittlungsversuche zwischen den beiden Ländern, inklusive jene der UNO, sind bisher gescheitert. Man wird sehen, wann endlich Vernunft einkehrt.

Wann kehrt Vernunft ein?

Es zeigt sich also, dass es für Griechenland leicht ist, große Gesten zu machen und eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses zu fordern, aber wenn es um einen Konflikt mit dem Nachbarn aus dieser Region geht, sieht die Sache wesentlich komplizierter aus. Zwar konnte ich im Kleinen zwischen den griechischen KollegInnen und dem Berichterstatter hinsichtlich einiger Formulierungen vermitteln, aber der Niederschlag der nationalen Empfindlichkeiten bei den griechischen KollegInnen im EU-Parlament zeigt, wie groß die Schwierigkeiten, einen Kompromiss einzugehen, auch auf griechischer Seite sind.

Albanischer Boykott

Noch ein anderes Land aus der Balkanregion beschäftigte mich in dieser Woche in besonderem Masse: Albanien. Die dortige sozialdemokratische Opposition hat unter der Führung von Edi Rama, dem Bürgermeister von Tirana, beschlossen, nach der Wahl das neu gewählte Parlament zu boykottieren. Die Partei warf der Regierung Wahlbetrug vor. Internationale Beobachter waren sich nicht klar über die Korrektheit der Wahlen in den verschiedenen Wahlkreisen, aber die Gerichte entschieden zugunsten der Regierung.
In verschiedenen Interviews habe ich klar festgestellt, dass die Opposition ihre Rolle im Parlament und nicht außerhalb, auf der Strasse spielen müsse. Verschiedene Gruppierungen aus der Partei selbst, die dem Boykott des Parlaments kritisch gegenüberstehen, sprachen bei mir ebenso vor wie eine kleinere „sozialdemokratische“ Partei, die allerdings mit Berisha in die Regierung ging. Und natürlich gab es auch immer wieder Gespräche mit VertreterInnen von Edi Rama selbst sowie lange Telefonate mit ihm.

Ins Parlament zurückkehren

Meine Aufforderungen an die Sozialdemokraten, ins Parlament zurückzukehren, machten in Albanien immer wieder Schlagzeilen und das störte die Partei und ihren Vorsitzenden. So entschloss er sich, unserer Einladung zu folgen und kam nach Strassburg. Wir hatten dort ein gutes Gespräch und konnten eine Kompromissformel finden, nach der wir als europäische Sozialdemokraten die Rückkehr ins Parlament empfahlen, aber gleichzeitig die Regierung aufforderten, die letzten Wahlen neuerlich zu untersuchen. Die Opposition würde das Ergebnis der Wahlen voll anerkennen und nicht in Frage stellen, aber es sollten einige Wahlurnen geöffnet werden, um die Behauptungen der Opposition auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. So könnte die Angelegenheit aus der Welt geschafft werden, und Albanien könnte sich auf die wichtigen Reformen konzentrieren, um auch langsam in Richtung Europa zu gehen.

Gute Nachbarschaft als Grundvoraussetzung

All diese Fakten, aber auch die nach wie vor problematische Situation in Bosnien-Herzegowina und das Kosovo-Problem machen deutlich, wie weit entfernt wir von einer Vollendung des Integrationsprozesses dieser Region in die EU sind. 2014 kann das Jahr sein, in dem alle Länder des Balkans zumindest Kandidatenstatus haben oder sich vielleicht schon in Beitrittsverhandlungen mit der EU befinden. Aber mehr ist nicht drin. Ich hoffe, dass alle Länder dieser Region 2014 auf gutem Wege sind, aber noch viele Reformen müssen angegangen und durchgeführt werden und der extreme Nationalismus sollte gebändigt werden. Denn gute Nachbarschaft sollte eine Grundvoraussetzung für den Beitritt sein.

Straßburg, 11.2.2010