Ausblick auf die polnische Präsidentschaft

warschauBei einem Abschiedsessen für den ZDF-Korrespondenten Klaus Prömpers in Wien, das eigenartigerweise in Brüssel stattfand, meinte einer meiner Tischnachbarn, Europa leide darunter, dass die Osteuropäer sich noch nicht in die EU integriert haben. Ich widersprach heftig gegen diese Generalisierung. Das heutige Polen ist ein Beweis für die Berechtigung meines Widerspruchs.

Vorbereitung auf die Präsidentschaft

Für die größeren Fraktionen im EU-Parlament ist es üblich, sich unter anderem durch einen Besuch in den Hauptstädten der zukünftigen Präsidentschaften auf diese vorzubereiten. Auch wenn heute auf Grund des Vertrags von Lissabon die rotierenden Präsidentschaften nicht mehr dieselbe Bedeutung haben, machen solche Besuche der Fraktionsvorstände nach wie vor Sinn. So ging es in dieser Woche nach Warschau.

Ich habe Polen schon vor dem Beitritt zur EU oft besucht und war immer von diesem Land und seinen intellektuellen Kräften begeistert. Natürlich wusste ich auch schon damals, dass es auch die extrem konservative, bigotte Seite dieses Landes gibt. Und dann kamen schließlich auch die Brüder Kaczyński an die Macht. Und da regierte dann wirklich der Geist von Radio Maria.

Russland und die Ukraine einbinden

Heute ist dies wieder anders. Der „Präsidentenzwilling“ ist auf tragische Weise durch das Flugzeugunglück von Smolensk ums Leben gekommen. Und Ministerpräsident ist der Konservativ/Liberale Donald Tusk. Wichtig ist aber vor allem, dass es eine klare pro-europäische und nicht mehr von Ressentiments geprägte Regierung gibt. Mit Deutschland gibt es ein sehr gutes Verhältnis und mit Russland den Versuch eine pragmatische Partnerschaft herzustellen.

Sowohl Ministerpräsident Tusk als auch Außenminister Sikorsky sprach ich auf Russland als auch auf die Ukraine an. Dabei stimmte ich ihren Ansichten und Haltungen voll zu. Wir müssen fest dran arbeiten, die Ukraine an die EU zu binden, ohne deswegen den Handlungen der Regierung gegenüber unkritisch zu sein. Und mit Russland müssen wir eine Partnerschaft aufbauen, die es dem Land ermöglicht, sich in den nächsten Jahren ebenfalls mehr und mehr den europäischen Politiken und Werten anzunähern. Damit hat sich Polen deutlich von der früheren gegenüber Russland feindlichen Haltung entfernt und einen pragmatischen konstruktiven Weg eingeschlagen.

EU-Wachstumsstrategie

Aber nicht nur hinsichtlich der Außenpolitik, sondern auch der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik erwarten wir von der polnischen Präsidentschaft einiges. Am interessantesten ist das Vorhaben, im Herbst ein Programm für das Wirtschaftswachstum in der EU vorzulegen. Genau ein solches Programm und die entsprechenden Maßnahmen benötigen wir. Nun kann ich noch nicht abschätzen, was konkret die Polen vorschlagen werden. Aber zumindest wird ihr Programm die Gelegenheit sein, eine Wachstumsstrategie der EU zu diskutieren und dann auch eigene Vorschläge einzubringen.

In diesem Zusammenhang war auch bemerkenswert, dass die polnische Ministerin für Wissenschaft und Erziehung in der Debatte mit den MinisterInnen eine besondere Rolle einnahm. Dazu bemerkte ich, dass in früheren Zeiten an solchen Diskussionen eigentlich nie die Wissenschafts- und Erziehungsminister teilnahmen, da hier die europäische Kompetenz besonders schwach ausgeprägt ist. Aber heute wissen wir, dass Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum wesentlich von Erziehung, Wissenschaft und Forschung abhängen. Und das gilt für die Energiewende und für viele andere Fragen ebenso.

So kehrten wir eigentlich zufrieden und hoffnungsvoll nach Brüssel zurück. Nicht alle Versprechungen wird die polnische Präsidentschaft einhalten (können). Aber nach einer sehr problematischen ungarischen Präsidentschaft besteht Grund zur Hoffnung auf eine deutlich bessere.

Warschau, 25.5.2011