Die Sozialdemokratie muss wieder Themen vorgeben

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Meidlinger Markt, Wien

Das Wien Museum hat dankenswerterweise im Künstlerhaus eine faszinierende Ausstellung mit dem Titel „Kampf um die Stadt – Politik, Kunst und Alltag“ gestaltet. Unter anderem geht es dabei auch um die ideologische Auseinandersetzung zwischen Urbanem und Kosmopolitischem einerseits und Ländlichem und Traditionellem anderseits. Diese Auseinadersetzung wurde vor allem um die Politik und Gesellschaft im „Roten Wien“ geführt. Vom Wohnungsbau über die Erziehung bis zur Kultur haben sich in der Zwischenkriegszeit die Gegensätze immer mehr zugespitzt. So war nicht nur die eigentliche sozialdemokratische Wohlfahrtspolitik Anlass für heftige Kritik, sondern etwa auch ein Auftritt der „schwarzen“ Künstlerin Josephine Baker Gegenstand extrem rassistischer Attacken.
Sowohl die patriotische, fundamentalistisch-katholische Rechte als auch die deutschnationale, extreme Rechte nahmen sich kein Blatt vor den Mund. Im Laufe der Zeit wurde die sozialdemokratisch-aufgeschlossene Linke in ihrer Position immer mehr geschwächt. Obwohl sich die Rechte in eine Konservative und in eine – damals noch deutsch-nationale – Rechte aufgespalten hat, ist es der Linken nicht gelungen, der Rechten Paroli zu bieten.
Soweit zur Geschichte. Was aber auffällt, sind gewisse Parallelitäten zu heute. Auch heute ist die Rechte aufgespalten in eine moderate, konservative Rechte und in eine aggressivere, nationalistische Rechte. Gerade Letztere ist es aber, die in die Wählerschaft der Sozialdemokratie einbricht. Vor allem dann und dort, wo die Linke die ideologische=grundsätzliche Auseinandersetzung aufgibt und dieses Feld der Rechten überlässt.
Weder fordere ich eine Wiedereinführung von Straßenkämpfen durch paramilitärische Organisationen noch eine straffe Reideologisierung. Die heutige Zeit braucht keine Imitation der Zwischenkriegszeit. Aber dem Zangengriff der beiden Rechtsbewegungen muss eine stärkere profilierte Politik entgegengesetzt werden. Diese darf weder aufgeregt noch ungeduldig sein. Sie muss auch neue Entwicklungen zur Kenntnis nehmen. Aber sie darf sich Themen wie Verteilungsgerechtigkeit, Fairness und vernünftige staatliche Regulierung nicht als Themen wegnehmen lassen. Und sie darf sich nicht falsche Fragestellungen wie jene, sich zwischen Inländern und „Ausländern“ entscheiden zu müssen, aufzwingen lassen.
All die von den Rechten emotionalisierten Fragestellungen, insbesondere das „Ausländerthema“, lenken von den eigentlichen gesellschaftlichen Problemen ab. Es gibt kaum Themen, die heute die Sozialdemokratie vorgibt – und das ist eine der Ursachen für den deutlichen Rückgang bei den Wahlen. Das Zusammenleben zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, unter anderem den MigrantInnen, ist ein Thema, aber vor allem dort, wo es sich um sozial Schwache handelt. Das gilt es deutlich zu machen und in der Folge auch im Rahmen der Sozial- und Bildungspolitik Lösungen zu suchen. Aber nie dürfen wir zulassen, dass das Ausländerthema die soziale Frage verdrängt. Gerade das passiert allerdings schon seit längerem, vor allem in Österreich.

Gerade in Österreich ist die Frage der Verteilung von besonderer Relevanz. Denn die jüngste Studie aus dem Wirtschaftsforschungsinstitut hat eindeutig belegt, dass die durch den Markt bedingte Verteilung der Einkommen in den letzten Jahren sogar ungleicher geworden ist. Auch die Steuern und Abgaben schaffen keine Umverteilung, manche sprechen von einer gering progressiven Wirkung, manche wieder sogar von einer regressiven Wirkung. Das letztere wahrscheinlich dann, wenn man nicht nur die Einkommen, sondern auch die Vermögen und die extrem geringen Vermögensbesteuerung miteinbezieht.
Erst die Ausgaben des Staates, sowohl die finanziellen Transferzahlungen als auch die Sachleistungen, schaffen eine gerechtere Verteilung der Einkommen. Aber die Verteilungswirkung der einzelnen öffentlichen Ausgaben ist dabei sehr unterschiedlich. Die direkten Leistungen wie Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe haben den größten Umverteilungseffekt, währen die Gesundheits- und Bildungsleistungen nur einen geringen Beitrag zu einer gerechten Verteilung leisten. Wie schon erwähnt, würde man die extrem ungleiche Verteilung der Vermögen und die in Österreich ebenso extrem geringe Besteuerung der Vermögen bzw. der Vermögenszuwächse miteinbeziehen, so ergäbe sich noch ein anderes, weniger günstiges Bild.
All diese Aspekte müsste die Sozialdemokratie – wieder – stärker berücksichtigen. Unser Wille zu mehr Gerechtigkeit und Fairness darf nicht erlahmen. Dabei geht es nicht um einen neuen Klassenkampf, denn der wird ohnedies eher von der Rechten geführt, mit der permanenten Abwehr von Forderungen nach mehr Gerechtigkeit. Wir dürfen ihnen dabei nicht auf den Leim gehen, sondern müssen beharrlich die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Fairness aufwerfen und dürfen uns nicht durch die „Ausländerfrage“ ablenken lassen. Das ist ein eigenes Problem, das wir ebenfalls im Sinne der sozialen Gerechtigkeit „lösen“ müssen, durch beharrliche Integrationsbemühungen.
Die soziale Frage bzw. die Verteilungsfrage könnte man auch unter dem Aspekt der Fairness behandeln. Denn das scheint mir überhaupt die grundsätzliche Fragestellung zu sein. Manche versuchen, diese Problematik mit dem Hinweis auf den „Neid“ abzutun. Aber der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit der Einkommen, der Vermögen, vor allem aber der Chancen, hat nichts mit Neid zu tun, sondern mit einem Gefühl der unfairen Behandlung, man könnte auch sagen der Diskriminierung bzw. einem „natürlichen“ Streben nach fairer Behandlung. Wie gesagt, das ist nicht nur eine finanzielle Frage sondern auch eine des Zugangs zur Bildung, zu sozialen Einrichtungen, medizinischer Versorgung etc. All dies kann sinnvoller Weise unter dem Aspekt der Fairness diskutiert werden.
Und dieses Prinzip gilt es dann auch auf die europäische und internationale Ebene zu übertragen. Ist es fair, dass in einigen Ländern Steuertransparenz herrscht und in einigen anderen Ländern hingegen nicht? Ist es fair, dass es für die großen Einkommen Steuerparadiese gibt oder nicht? Und ist es fair, dass in Folge der Umweltverschmutzung in einigen Ländern andere ihre Lebensgrundlagen verlieren? Auch die Entscheidung, ob einige Länder Studienbeschränkungen einführen und andere, die dies nicht tun, dann für das Studium derjenigen, die ausweichen, aufkommen müssen, ist eine Frage der Fairness. Diese Debatten müssen geführt werden und natürlich kann man nicht immer einstimmige Antworten erwarten. Aber solche Fragestellungen zeigen jedenfalls auf, dass es nicht um „Europa gegen Österreich“ oder „Ausländer gegen Inländer“ geht. Es ist nicht die nationale Frage oder jedenfalls ganz selten, die unser Leben bestimmt, sondern die Frage nach Fairness und Gerechtigkeit.
Weder eine rein pragmatische Kosten-Nutzen Politik kann auf diese Fragestellungen eine taugliche Antwort geben noch der Rückgriff auf alte Ideologien. Vielmehr muss das Gerechtigkeitsempfinden eines natürlichen Hausverstands herangezogen werden – natürlich ergänzt um die Abschätzung langfristiger Konsequenzen politischen Handelns oder auch Nichthandelns und vor allem unter Einbeziehung der Zukunft der Kinder und Kindeskinder und deren Chancen. Wichtig ist jedenfalls, dass die Sozialdemokratie wieder Themen vorgibt und nicht nur den Themen anderer hinterherläuft und Rückzugsgefechte liefert.