Ein anderes Wirtschaftsmodell – aber welches?

P1010063Meine Anfrage an Präsident Barroso nach seinen persönlichen Lehren aus seiner ersten Amtsperiode bekam eine relativ klare Antwort: Ein neues Modell des Wirtschaftswachstums muss her, das alte hat ausgedient!
Ich stimme hier dem Kommissionspräsidenten voll zu.  Aber welches Alternativmodell sollen wir verfolgen? Welches könnte sich als nachhaltig herausstellen, oder jedenfalls doch für einige Zeit Gültigkeit erlangen? Vor allem: Welches wäre fähig, die ökonomische, ökologische und soziale Krise einigermaßen zu bewältigen? Darauf muss insbesondere die europäische Sozialdemokratie eine Antwort – oder mehrere stimmige Antworten – finden.
Aus meiner Sicht müsste es jedenfalls ein Wirtschaftssystem sein, das sowohl die Begrenztheit des Ökosystems Erde erkennt und darauf agiert, aber gleichzeitig die Ungleichheit nicht akzeptiert, sondern im Gegenteil wieder reduziert. Und das sowohl auf nationaler, europäischer als auch globaler Ebene. Diese doppelte Verantwortung gegenüber den Menschen heute als auch gegenüber den zukünftigen Generationen müssen tragende Grundsätze dieses neuen Wirtschaftssystems sein.
Dabei geht es nicht nur um die Herstellung ökologischer Produkte anstatt umweltschädlicher. Nein, der gesamte Produktionsprozess muss energieeffizienter und umweltfreundlicher sein. Und auf der anderen Seite sollte das Wirtschaftssystem stärker auf menschliche Bedürfnisse wie Anerkennung, Kommunikation, Bildung (und nicht nur Ausbildung), Solidarität etc. Wert legen. Dazu gehört auch, dass wir die stärker werdende Ungleichheit nicht akzeptieren. Und das ist nicht nur eine finanzielle Frage, sondern auch eine kulturelle, eine der Erziehung und der Ausbildung. Deshalb sind vor allem auch öffentliche bzw. gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen, von der Erziehung bis zur Gesundheit, notwendig. In einer globalisierten Welt müssen wir uns zweifellos auf einen stärkeren Wettbewerb einstellen. Es gibt aber auch Lebensbereiche, die nicht einer unbeschränkten Konkurrenz zu opfern sind. Und das sollte eines der Leitprinzipien der europäischen Sozialdemokratie sein.
Damit kommt es aber in Widerspruch zu einer forcierten Liberalisierungsstrategie. Denn der Markt, vor allem der ungezähmte, missachtet viele Interessen der heute lebenden Menschen und erst recht die der zukünftigen Generationen. Vor allem die vielen „externen Effekte“, also die Nebenwirkungen oder Kollateralschäden des wirtschaftlichen Handelns, werden nicht in den Preisen berücksichtigt. Und damit ist der Informations- bzw. Lenkungseffekt der Marktpreise nur sehr eingeschränkt nützlich bzw. extrem verzerrt und damit letztendlich falsch. Die letzte Finanzkrise hat dies wieder eindrucksvoll bewiesen. Die alte und die neo-liberale Theorie ist damit wieder einmal über den Haufen geworfen worden. Aber deren Vertreter geben natürlich keine Ruhe, vor allem wenn die Sozialdemokratie nicht deutlich die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen zur Korrektur der Fehlleitungen durch das „reine“ Marktgeschehen unterstreicht.
Und wie kommt die EU da ins Spiel? Kopenhagen hat ja gezeigt, dass Europa der einzige Kontinent ist, der den Klimawandel und die Klimapolitik ernst nimmt. Diesbezüglich sind wir jedenfalls bereit, den Markt zu lenken bzw. ihn für „politische“ Ziele zu verwenden. Da ist Europa nicht neo-liberal. Daraus sollten wir auch für die sozialen Zielsetzungen lernen. Auch diesbezüglich sollen wir den Markt als Instrument verwenden, ihn, wo notwendig, ergänzen und lenken und damit einen sozial verantwortlichen Markt herstellen.
Aber Europa ist nicht nur „Brüssel“, sondern besteht aus allen politischen Ebenen. In beiden Fragestellungen – der ökologischen und der sozialen – bedarf es Aktivitäten auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene. Sie sollten sich nicht gegenseitig behindern, sondern im Gegenteil ergänzen. Energiesparen, die Verwendung alternativer Energien etc sind auf allen Ebenen voranzutreiben. Das gleiche gilt für die Bekämpfung von Armut und sozialer Unsicherheit. Da gilt es europäische Rahmenbedingungen zu setzen, z.B. durch die Betonung der gemeinwirtschaftlichen Dienste und aller Maßnahmen gegen den Ausschluss von Menschen aus der Gesellschaft. Durchgeführt werden diese Maßnahmen aber eher auf regionaler und lokaler Ebene. Gerade als SozialdemokratInnen, die wir in vielen Ländern auf lokaler und regionaler Ebene stark sind, müssen wir die europäische Bedeutung dieser politischen Ebene neuerlich betonen.
Der europäische Mensch trennt seine Lebenswelten nicht nach politischen Ebenen, daher sollten wir die politischen Ebenen zusammenführen und nicht künstliche Trennlinien und Barrieren aufbauen. Das ist ja auch der Sinn des Lissabon-Vertrags, der sowohl das europäische als auch die nationalen Parlamente stärkt. Und beide sollten sich auch um die regionalen und lokalen Entscheidungsträger bemühen.