Eine albanische Woche

alb5_grDie erste Oktober-Woche im Europäischen Parlament war durch mehrere albanische BesucherInnen gekennzeichnet. Dabei stammten sie aus drei Ländern. Einerseits kam Sadri Ferati, der Minister für die lokale Verwaltung aus dem Kosovo in die Balkan Arbeitsgruppe des außenpolitischen Ausschusses, die ich leite. Dieser Minister hat insofern eine wichtige Funktion, als er der Gesprächspartner der vielen „serbischen“ Gemeindepolitiker ist. Der Ahtisaari-Plan, der die Grundlage für die Unabhängigkeit des Kosovo bildet, sieht ja eine weitgehende Dezentralisierung im Kosovo vor, um der serbischen Bevölkerung bzw. ihren Gemeinden eine hohe Autonomie zu gewähren. Damit sollen sie sich auch mit der Unabhängigkeit des Kosovo und der Lostrennung von Serbien besser abfinden können.

Kosovo und Bosnien-Herzegowina

Natürlich kam auch die Situation im serbisch dominierten Norden des Landes, also vor allem im nördlichen Mitrovica, zur Sprache. Hier gibt es starke nationalistische Kräfte, oftmals auch mit zumindest wirtschafskriminellen Gruppen in Verbindung, die sich mit der Lostrennung von Serbien keineswegs abfinden möchten. In Serbien selbst wird immer mehr die Idee lanciert, diesen Teil an Serbien abzutreten, und dafür könnte Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen. Ich fürchte allerdings, dass eine solche Lösung neue Unruhe in die Balkanregion bringen würde. Nicht nur in das vor allem von Albanern besiedelte Presovo-Tal, das heute zu Serbien gehört. Sondern auch nach Mazedonien, das einen hohen Anteil an albanischer Bevölkerung hat.
Auch die fragile Situation in Bosnien-Herzegowina könnte erneut destabilisiert werden. Zwar haben die Wahlen eine Stärkung der nicht-nationalistischen Kräfte in der muslimisch-kroatischen Föderation gebracht, gleichzeitig aber auch den bisherigen Ministerpräsidenten der Republika Srpska Dodik der zum neuen Präsidenten dieser Teilrepublik gestärkt. Und unmittelbar nach den Wahlen hat Milorad Dodik nochmals unterstrichen, dass er nur zwei Hauptstädte für „seine“ Serben anerkennt: Banja Luka und Belgrad, nicht jedoch Sarajewo. Auch wenn man diese Sprüche nicht so ernst nehmen sollte, im Falle einer Teilung des Kosovo ist mit neuen nationalistischen Sprüchen und Handlungen zu rechnen. Die Integration innerhalb Bosnien-Herzegowinas durch die Stärkung der zentralen Regierung und der nicht-ethnisch bestimmten Institutionen würde jedenfalls schwieriger werden.

Mazedonien

Der zweite Gast in unserer Arbeitsgruppe war Ali Ahmeti, der stellvertretende Ministerpräsident Mazedoniens. Er vertritt den albanischen Koalitionspartner der Regierung und war zuvor der Anführer der albanischen Widerstandsbewegung in diesem Land, bevor unter Mithilfe der EU das Abkommen von Ochrid geschlossen wurde, mit dem den Albanern ein starkes Mitwirkungs- und Mitspracherecht eingeräumt worden ist. Ahmeti sprach sich auch in unserem Gespräch gegen jegliche Grenzveränderungen im Balkan und gegen Träume von Großalbanien aus.
Von einem solchen Großalbanien, das aus Albanien, dem Kosovo und Teilen Mazedoniens entstehen würde, spricht heute nur mehr eine kleine radikale Minderheit. Aber eine Abtrennung des Nordens des Kosovo und die Wiedervereingung mit Serbien gefolgt von einer vermehrten Auswanderung von Serben aus dem Süden des Landes könnte diesen Träumen wieder neue Nahrung geben.

Serbien

Der dritte Gast war die Parlamentspräsidentin aus Serbien Slavica Dukić Dejanović. Am Tag, als wir im Plenum die Visaliberalisierung mit Albanien (und Bosnien Herzegowina) beschlossen haben, lud sie mich zum Mittagessen ein. Sie wollte sich einerseits für meine Unterstützung Albaniens in vielen Fällen bedanken. Anderseits erklärte sie mir, dass sie alles unternehme, um die Opposition der Sozialisten wieder für eine volle Mitwirkung im Parlament zu gewinnen. Zwar sind die Sozialisten, nicht zuletzt dank meiner Überredung, wieder im Parlament tätig. Sie nehmen aber kaum an den Abstimmungen teil. Dies vor allem, weil die Regierung nicht bereit ist, die Wahlurnen der letzten Parlamentswahlen zur Überprüfung von etwaigen Unregelmäßigkeiten öffnen zu lassen.
Was nun die Rechtmäßigkeit dieser Forderungen bzw. die Zulässigkeit nach der Verfassung betrifft, so gibt es zwischen der Opposition und der Regierung unterschiedliche Auffassungen. Ein kurzes Gespräch mit Vertretern der Opposition, die ebenfalls diese Woche das Parlament besuchten, bestätigte dies genauso wie mein Treffen mit der Parlamentspräsidentin. Ich sehe derzeit keine Chance, diese Diskrepanzen und Meinungsunterschiede kurzfristig zu überwinden. Alleine ein starkes internationales Engagement bei den im nächsten Jahr stattfindenden Lokalwahlen durch eine gut vorbereitete Wahlbeobachtung kann die Voraussetzung für einen neuen Brückenschlag zwischen Regierung und Opposition schaffen.
Brüssel, 8.10.2010