Es geht um Werte, nicht um Symbole

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Istanbul

Das Verhältnis eines aufgeklärten europäischen Staates zur Religion ist in letzter Zeit wieder Gegenstand einer ausführlichen Diskussion geworden. So sehr ich mich über die Reaktionen auf meinen letzten Beitrag in dieser Rubrik freue, so sehr waren manche Debattenbeiträge im EU-Parlament im Zusammenhang mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg entbehrlich. Ich finde es überhaupt äußerst problematisch, Gerichtsurteile durch Parlamentsresolutionen zu kommentieren oder gar zu kritisieren.
Aber das „Kreuz“ ist plötzlich zu einem kulturellen Symbol geworden. Mit dem Kruzifix lebt und stirbt unsere christlich abendländische Kultur. Es ist durchaus anzuerkennen, dass die christlichen Religionen – durch das Kreuz symbolisiert – in Europa insgesamt, jedenfalls in den Staaten der EU, den größten Einfluss gehabt haben und natürlich heute noch haben. Und das sollte auch nicht geleugnet werden.

Dies ist allerdings mit der Tatsache zu verbinden, dass heute – zum Teil wieder – andere Religionen einen größeren Stellenwert in unseren Gesellschaften haben. Und das muss auch im Ausbau von Gebetshäusern zum Ausdruck kommen.
Unabhängig davon müssen sich Religionen der Kritik stellen. Für die Entwicklung des christlichen Abendlandes ist der Übergang von einem unterwürfigen und unkritischen Verhältnis zur Religion zu einem aufgeklärten und kritischen Verhältnis sehr entscheidend. Natürlich ist das selbstkritische Verhalten immer das Beste. Und das gilt auch für die verschiedenen Religionsgemeinschaften. Darüber hinaus muss es gestattet sein, auch Kritik von „außen“ zu äußern, wenn sie die Grundregeln des Respekts einhalten. Ja, in einer Demokratie sind auch nicht-respektvolle Kritiken gestattet. Aber sie unterziehen sich selbst einer Abwertung.
Als Sozialdemokraten sollten wir jedenfalls beides tun, das Recht auf Kritik genauso verteidigen wie die Sensibilität vieler Menschen, wenn es um ihre Religion und ihren Glauben geht. Aber Religionen sind in unserem Europa auch(!) Teil des gesellschaftlichen Systems, sie stehen nicht über der Gesellschaft.

Soweit daher Religionen und der von ihnen verbreitete Glauben die gesellschaftlichen Entwicklungen und Werthaltungen beeinflussen, muss sich die Sozialdemokratie als gesellschaftliche Kraft einmischen. Die Erfolge im Kampf für Aufklärung und Gleichberechtigung können einer europäischen Sozialdemokratie nicht gleichgültig sein, sie müssen offensiv verteidigt werden. Dabei geht es nicht um Symbole wie das Kopftuch und um individuelle Einstellungen. Und nicht um Minarette. Es geht um die Akzeptanz und den Respekt von Werten und vor allem Gesetzen, die ja ohnedies zum Teil gegen die Einstellung und den Protest von christlichen Religionen erkämpft worden sind.
Gerade die Sozialdemokratie muss einen ausbalancierten Weg finden, alle Glaubensrichtungen zu respektieren und im Grundsatz gleichwertig zu halten, aber ebenso klar und kompromisslos die erkämpften Rechte zu verteidigen. Und das muss sie gegen wen auch immer tun. Vor allem auch gegen die „Neue Christliche Rechte“, die unter falschem Vorwand Hass und Zwietracht säht.