In Moskau II

L1000050Der eigentliche Grund unseres Russlandaufenthalts war die Beobachtung der Vorbereitungen für die kommende Parlamentswahl am 4. Dezember. Wir haben viele Argumente für und gegen die Korrektheit der Wahlen gehört. Technisch und organisatorisch dürften sie gut vorbereitet werden. In großem Ausmaß werden auch elektronische Maschinen zum Einsatz kommen, die die Stimmzettel lesen und dann die Zuordnung zu den Parteien bzw. KandidatInnen vornehmen. Ein Auszählen der Stimmzettel erübrigt sich dann. Aber wer kontrolliert die Programmierung der Geräte? Und was ist mit den schlecht bzw. unklar ausgefüllten Stimmzetteln? Wer überprüft in diesen Fällen den Willen und die Absicht des Wählers bzw. der Wählerin?

Wahlbeeinflussung

Aber es stellen sich noch viele andere Probleme, will man die Korrektheit und die Wahrhaftigkeit der Wahlen nachvollziehen. Viele Parteien von Links, Mitte und Rechts wurden nicht registriert und damit nicht zu den Wahlen zugelassen. Die Regierungspartei Vereintes/Einiges Russland genießt viele Startvorteile. Deren Chefs Medwedew und Putin werden permanent in den wesentlichen Fernsehprogrammen präsentiert. Die Partei versucht darüber hinaus, durch „ihre“ Gouverneure, Bürgermeister und Spitzenbeamte die WählerInnen zu beeinflussen. Sie versprechen im Falle eines günstigen Wahlausgangs in den verschiedenen Regionen oder Städten persönliche bzw. allgemeine Vergünstigungen von Pensionserhöhungen bis zu öffentlichen Investitionen und zwar in Abhängigkeit der Stimmanteile für die Regierungspartei. Angeblich werden Funktionäre auch aufgefordert, ihren ausgefüllten Stimmzettel zu fotografieren, um dann den Vorgesetzten den Nachweis einer „korrekten“ Stimmabgabe zu erbringen.

Eigenartige Parteienverhältnisse

So gibt es sehr eigenartige Parteienverhältnisse in Russland. Es gibt die dominierende Regierungspartei Vereintes Russland. Da aber Putin selbst die Schwäche dieser Partei eingesehen hat, hat er jetzt eine „Einheitsfront“ geschaffen, indem er viele parteilose Kandidaten auf die Liste zur jetzigen Wahl aufgenommen hat. Dann gibt es Parteien, die die Regierungspartei duldet und die bei den Wahlen zur Duma kandidieren. Das sind die Kommunisten, die „Liberaldemokraten“ des extremen Nationalisten Schirinowski und die Partei Gerechtes Russland. Diese ist eine Gründung Putins, um kritische und eher linkere WählerInnen anzusprechen. Inzwischen hat sich diese Partei aus den Fängen Putins gelöst und als europäische Sozialdemokraten haben wir vor einiger Zeit mit dieser Partei ein Arbeitsabkommen geschlossen. Dann gibt es noch Bewegungen die zum Teil nicht als Parteien registriert sind und daher keine Chance haben, an den Wahlen teilzunehmen. Dazu gehört auch eine extrem linke Gruppe namens Rotfront, die uns beim Treffen in Moskau ihr Leid der Unterdrückung geschildert hat.

Manipulation

Niemand in Russland zweifelt ernsthaft, dass die Partei Vereintes Russland die stärkste Unterstützung bekommt. Aber viele bezweifeln, dass die ausgezählten und bekanntgegebenen Stimmen sowie die Zuteilung zu den Parteien den tatsächlichen Willen der WählerInnen wiedergeben. Es wäre aber nicht nur für die Demokratie als solches, sondern auch für die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung Russlands besser, würden die Wahlen frei und transparent erfolgen. Putin könnte sich dann immer noch als starker Präsident in die politischen Entscheidungen mischen. Eine puristische Struktur wie etwa in Frankreich wäre – mit all den Fehlern und Mängeln, die auch dort zu bemerken sind – sicherlich eine erfolgreiche Alternative für Russland. Aber noch ist Putin dafür nicht zu haben und es bestehen Zweifel, ob er jemals dazu bereit ist.

Moskau, 3.11.2011