Russland und die EU: wie soll es weitergehen?

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Russland-Tagung, Wien

Anlässlich einer Tagung in Wien wurden Alexander Dynkin, der Leiter eines Forschungsinstituts der Russischen Akademie der Wissenschaft, Ursula Plassnik, die ehemalige Außenministerin und ich gebeten, einige Gedanken zum Verhältnis EU-Russland vorzutragen.

1) Ausgangspunkt meiner Überlegungen war meine Einschätzung, dass beide Partner, die EU und Russland, sich heute geschwächt gegenüberstehen. Beide sind, wenn auch auf unterschiedliche Weise, durch die Wirtschaftskrise tief getroffen. Allerdings, trotz der besonders akuten Krisensituation in einigen südlichen EU Ländern sind die strukturellen Probleme der russischen Wirtschaft größer. Und beide haben institutionelle Probleme. Russland erlebt Spannungen zwischen bzw. jedenfalls unterschiedliche Vorstellungen von Putin und Medvedev. Die EU muss erst langsam ausloten, welches Gleichgewicht der einzelnen Institutionen, also Rat, Kommission und Parlament, für unser globales Auftreten gefunden werden kann. Aus der Erfahrung der vergangenen Krisen heraus schließe ich, dass auch diesmal die EU aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gestärkt herausgehen wird – mit einer effizienteren, koordinierteren Wirtschaftspolitik. Notwendig wäre das sicher. Bei Russland ist die weitere Entwicklung aus meiner Sicht unsicherer. Zu erhoffen ist allerdings auch hier ein Reformschub.

2) Was sich dagegen deutlich abzeichnet, ist eine geänderte Umwelt, die einem neuen Verhältnis zwischen EU und Russland zuträglich ist. Die jüngste Entwicklung in der Ukraine mit dem neuen Präsidenten Yanoukovich wirkt sich sicherlich positiv auf das Verhältnis zwischen Russland und der EU aus. Wenn der neue Präsident es geschickt macht, kann er sogar eine bedeutende Rolle zur Stabilisierung nicht nur seines Landes spielen, sondern auch der gesamten Region und dem bilateralen Verhältnis EU-Russland Stabilität verschaffen. Besonders im Bereich der Energiepolitik, aber auch in Fragen der Sicherheit kann sich durch den Ausgang der Wahlen und durch eine moderate, nach beiden Seiten hin kooperative Haltung, eine neue Chance für das weitere Europa ergeben.

3) Auch die Situation im Südkaukasus ist wieder etwas stabiler geworden. Vor allem ist zu hoffen, dass der Abschluss eines Vertrags zwischen Armenien und der Türkei, auch wenn die Ratifizierung in beiden Parlamenten erst erfolgen muss, einen neuen Anstoß zur Lösung des Nagorno Karabach-Konflikts bewirkt. Gerade hier sollten die EU und Russland, gemeinsam mit der Türkei, neue Initiativen unternehmen. Vielleicht ist im Zuge dieser Initiativen auch eine Lösung der Konflikte mit Georgien oder zumindest eine Entspannung zwischen den Konfliktparteien möglich.

4) Was die Energiefrage betrifft, sind ebenfalls Zeichen der Entspannung sichtbar. Das besonders von Russland betriebene Projekt von North Stream, also einer Pipeline durch die Ostsee von Russland nach Polen, steht knapp vor der Genehmigung und dem Baubeginn. Das erfreut nicht alle Anrainerstaaten wie z.B. Polen, aber wenn die Entscheidung einmal gefallen ist, werden sich die Gemüter beruhigen. Und im Übrigen hat gerade Polen jüngst mit Gasprom einen Langfristvertrag abgeschlossen. Und sobald im Süden Nabucco vorangetrieben wird, also die Pipeline vom Kaspischen Meer über die Türkei Richtung Österreich, werden sich auch die russischen Gemüter beruhigen. Die Diversifikation der Gasversorgung Europas wird ohnehin der Versorgung mit Gas aus Russland nur sehr wenig anhaben. Und dasselbe gilt auch für die europäische Gesetzgebung zur Sicherheit der Gasversorgung und der verstärkten Liefersolidarität in der EU. All dies ist ein Beitrag zur Stabilität in Europa und damit im langfristigen Interesse beider Partner.

5) Das Verhältnis zwischen EU und Russland hängt sicherlich auch von der Rolle Russlands in der Nato und vor allem in der neuen Natostrategie ab. Knapp nach einer Diskussion im Außenpolitischen Ausschuss des EU-Parlaments mit Madeleine Albright, die beauftragt wurde, Vorschläge für eine neue Strategie der Nato zu entwickeln, hatte sie Gespräche in Russland und zwar besonders an der Akademie der Wissenschaften. Unser Mitdiskutant, der Leiter der Akademie, Alexander Dynkin bestätigte, dass die Gespräche gut verliefen, wenngleich man sich nicht in allen Punkten einig war. Entscheidend ist jedoch eine Verstärkung des sicherheitspolitischen Dialogs, der sich auch auf das Verhältnis Russland – EU positiv auswirken würde.

So bleibt zu hoffen, dass die Verringerung des Konfliktpotentials in unserer Nachbarschaft, die Entspannung der Energiesituation und eine größere Dialogbereitschaft auf sicherheitspolitischem Gebiet sich auch positiv auf das Verhältnis der EU zu Russland auswirken werden. Die generelle Entspannung sollte zu mehr Pragmatismus. aber nicht zu einem gegenseitigen Desinteresse führen. Neue Abkommen zwischen der EU und Russland sollten nicht nur eine verstärkte Zusammenarbeit ermöglichen, sondern auch einem Raum Entfaltungsmöglichkeit bieten, der für beide von großem Interesse ist: der Region des Schwarzen Meers. Das wäre eine der wichtigsten geopolitischen Aufgaben, die die EU und Russland zu erfüllen hätten. Die Sicherheit unserer Energieversorgung und die Stabilität unserer Nachbarschaft würden davon profitieren. Vor allem auch, wenn wir gemeinsam die Türkei in diesen Prozess einschalten.

Wien, 15.2.2010