In der Türkei I

L1020685

Mit BR Aziz Gülüm (links) in Hatay

Auf Einladung eines mit mir befreundeten Bezirksrates aus Wien Meidling habe ich mich am Ende der Juni-Strassburgwoche in eine für mich neue Region der Türkei begeben, nämlich in die Ursprungsheimat meines Freundes, nahe der syrischen Grenze. Angesichts der politischen Annäherung der Türkei an die arabischen Länder, unter anderem auch an Syrien, sollte diese Reise auch politisch interessant werden.

Gesprächskanäle offen halten

Da passte es auch, dass Martin Schulz und mich diese Woche eine Delegation aus dem türkischen Parlament besuchte. Zu meiner Überraschung ging es nicht um den Türkeibeitritt, sondern um den jüngsten israelischen Angriff auf ein türkisches Schiff, das Hilfsgüter nach Gaza bringen wollte. Und es ging um Israel und seine Politik im generellen. Als ich den Sprecher und stellvertretenden Vorsitzenden der Oppositionspartei CHP fragte, wie nun das Verhältnis zur von ihnen immer scharf kritisierten Regierungspartei AKP sei, antwortete er: Israel hat uns zusammengebracht.
Im Verlauf des Gesprächs plädierten sie für eine scharfe Verurteilung Israels, ihnen war unsere von mehreren Fraktionen verfasste Resolution nicht scharf genug. Sowohl Martin Schulz als auch ich, die wir beide die israelische Attacke als ungerechtfertigt und schädlich hielten, meinten allerdings, dass es bei aller Kritik an Israel gut wäre, würde die Türkei einige Gesprächskanäle zu diesem Land offen halten.

Das habe ich auch vor wenigen Tagen dem türkischen Botschafter in Brüssel geschrieben. Er hatte nämlich meine, vielleicht etwas zu pointiert vorgetragene Kritik an den stark gestiegenen Aktivitäten der Türkei am Balkan, zum Anlass einiger „Klarstellungen“ genommen. Gerade als einer, der die Notwendigkeit einer strategischen Partnerschaft der EU mit der Türkei immer wieder betont, freue mich über eine aktive türkische Außenpolitik. Aber so meinte ich in meiner Antwort an den Botschafter, ich wünschte mir eine stärkere Abstimmung mit der EU und ein Offenhalten verschiedener Gesprächskanäle.

Neue Führungsrolle?

In letzter Zeit allerdings finde ich die türkische Politik in manchen Fällen zu einseitig oder zu naiv. So war zum Beispiel das Abkommen mit dem Iran (gemeinsam mit Brasilien) kein Lösungsbeitrag. Im Südkaukasus geht auch nicht viel weiter, und mit Israel wird das Gesprächsklima immer schlechter. So läuft die Devise von Außenminister Ahmet Davutoglu, „Keine Probleme mit einem der Nachbarn“ Gefahr, blockiert zu werden.
Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass die Türkei nicht so sehr eine Vermittlerrolle im Nahen Osten ausüben möchte, sondern der neue Sprecher der islamischen Welt werden möchte. Einige Medien spekulieren darüber, dass die Türkei die Schwäche der arabischen Länder, insbesondere von Ägypten ausnützen möchte, um sich als regionale Führungsmacht zu etablieren.

Beitrag zum Frieden leisten

Wie dem auch sei, die Bemerkung des amerikanischen Verteidigungsminister Gates, dass Europa durch seine Weigerung, die Türkei als Mitglied aufzunehmen, für die neue Außenpolitik der Türkei verantwortlich sei, zeigt von großer Unkenntnis. Denn die Verhandlungen mit der Türkei stocken sowohl wegen mangelnder EU-Bereitschaft, sie zu beschleunigen als auch wegen zu geringen Reformbereitschaft in der Türkei. Und überdies haben die amerikanische kriegerische Intervention im Irak und die schwache Nah-Ost Politik sicherlich mehr zur Neuformulierung der türkischen Politik beigetragen als die EU.
Jedenfalls würde ich mir wünschen, dass die neue Außenpolitik der Türkei einen Beitrag zum Frieden in dieser Region leisten kann. So könnte sie wirklich Brücken zwischen der EU und der schwierigen Region im Mittelmeer und um das Schwarze Meer leisten. Dass ist genau das, was mir schon lange vorschwebt, wenn ich von der zentralen Funktion der Türkei in diesen beiden Nachbarregionen der EU spreche. So kann die Türkei für Europa und die USA, aber letztlich auch für Russland, einen hohen Bedeutungsgewinn erzielen. Wenn sie aber zu sehr auf die – durchaus verständlichen – Emotionen der Menschen in den arabischen/islamischen Ländern setzt, wir dieses Kapital verspielt.

Hatay, 17.6.2010