Zwischen Vergangenheit und Zukunft

xianDie Kommunistische Partei Chinas, die ja die eigentlich regierende Kraft ist und die Regierungs- und Staatsspitze stellt, hat Vertreter aller politischen Fraktionen im EU-Parlament und verschiedener nationaler Parteien zu einer Konferenz nach Peking und in die Hafenstadt Tianjin eingeladen. Vor allem geht es der Kommunistischen Partei Chinas darum, von den europäischen Parteien zu lernen und das für sie Brauchbare zu übernehmen. Aber natürlich will sie auch Offenheit und Flexibilität demonstrieren

Der 12. Fünfjahresplan

Auf Vorschlag der Einladenden versuchten wir, unsere Diskussionsbeiträge auch so zu gestalten, dass wir die Ziele des 12. Fünfjahresplans Chinas mit dem EU-Programm 2020 verglichen. Und es finden sich tatsächlich einige Parallelen. Auch wenn hier das Wort von Bertold Brecht gilt, nach dem man einen Plan machen kann und dann noch einen, aber am Ende halten beide nicht, so wird der chinesische wahrscheinlich eher halten. Hier steht jedenfalls eine zentrale Regierung dahinter, die die regionalen Behörden verpflichten kann. Und das ist leider beim EU-Programm 2020 nicht der Fall. Auch wenn gerade das EU-Parlament immer wieder Druck in Richtung Umsetzung macht. Dort, wo entsprechende Gesetze notwendig sind, können wir direkt einwirken.

Die chinesische Dynamik

Aber immerhin, auch in China wird nicht alles sofort und leicht umgesetzt. So erklärte uns der stellvertretende Chef der Nationalbank, dass auch er, so wie wir, für die Umsetzung der Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums kämpft. Aber die Umsetzung wird noch sehr lange dauern. Zwar dauert also einerseits manches lange, aber andererseits geht vieles mit ungeheurere Kraft und Dynamik vor sich. Hier müssen wir von China einiges lernen. Vor allem sollten wir unsere Überheblichkeit gegenüber Ländern wie China und den anderen BRIC-Staaten, vor allem Indien und Brasilien, ablegen.

Wenn ich die Dynamik der chinesischen Entwicklung sehe, dann glaube ich manchmal, dass ich der letzten Generation von EuropäerInnen angehöre, die in der Welt noch etwas zu bestellen hat. Vor allem wenn wir uns primär im Inneren streiten anstatt nach Außen selbstbewusst und mit klaren Zielsetzungen aufzutreten. Natürlich gibt es auch in China kritische und gefährliche Entwicklungen, vor allem sozialer Natur. Aber wir sollten nicht auf die Schwächen der Anderen vertrauen, sondern auf unsere eigene Stärke bauen können.

Wie lange noch?

Der letzte Teil unserer offiziellen Reise führte uns ins Landesinnere nach Shaanxi, konkret nach Xian. Auch diese Stadt hat inzwischen acht Millionen EinwohnerInnen, ist also so groß wie ganz Österreich und die Provinz Shaanxi ist fast so groß wie Spanien. Die Größe der Stadt und ihr Wachstum kommen in einer enormen Bautätigkeit hinsichtlich Infrastruktur und Wohnungsbau am stärksten zu Ausdruck. Auch hier sind allerdings die alten Wohnquartiere mit ihren von morgens bis spät abends frequentierten Straßenküchen zu sehen. Wie lange noch? Dabei geht es mir nicht um die Nostalgie der Europäer, die das ursprüngliche China erleben wollen – auch wenn ich bekenne, dass ich selbst zu diesen gehöre. Aber was ist mit den sozialen Beziehungen, die hier tagtäglich gepflegt werden? Gerade hier scheinen sie besonders ausgeprägt zu sein, wenn man sieht, wie gut sich die Menschen unterhalten, wie sie lachen, wie sie miteinander Spiele spielen. So habe ich es auch in meiner Jugend in Österreich nie erlebt und auch kaum sonst irgendwo.

Wie soll ein solches soziales Leben in den Hochhäusern mit ihren 30 und mehr Stockwerken aufrechterhalten werden? Ich bin keineswegs gegen Hochhäuser. Aber ich vergleiche in diesem Land die Möglichkeiten in den alten Wohnquartieren und in den neuen und frage mich, ob die chinesischen Planer und Politiker die sozialen Konsequenzen mit überlegt bzw. entsprechend Vorsorge getroffen haben. Die Besuche bei den Straßenküchen und ihren KundInnen standen allerdings gar nicht am offiziellen Programm, das erledigte ich in der Früh vor dem Frühstück und abends nach dem offiziellen Dinner.

Im „Terrakottamuseum“

Am zweiten Tag unseres Aufenthalts in Shaanxin bot man uns ein Kontrastprogramm. Zuerst besuchten wir ein „Bauerndorf“. Dieses stellte sich allerdings als ein sozialistisches Modelldorf dar. Die Parteivorsitzenden des Bezirkes und des Dorfes erklärten uns, dass in der ganzen Provinz (oder gar in ganz China?) Dörfer nach diesem Muster gebaut werden sollen. Dabei waren die sogenannten Bauern allerdings vor allem professionelle „Hobbykünstler“. Und die meist in der naiven Kunstrichtung gemalten Bilder waren gar nicht so schlecht. Ich erstand zwei für meine Brüsseler Wohnung.

Authentischer war da schon das „Terrakottamuseum“ außerhalb von Xian. Im Jahre 1974 fand ein Bauer, dem ich auch die Hand schütteln durfte und der eine Museumsbroschüre signierte, beim Bau eines Brunnens einige Tonscherben. Als man weiter forschte, entdeckte man ein Grabmal des Kaisers Qin Shi Huang, dem ersten Kaisers Chinas und Begründer der allerdings kurzlebigen Qin Dynastie. Er war auch der erste, der in China einen Zentralstaat durch entsprechende Regeln und Verwaltungsstrukturen einführte. Qin Shi Huang ließ sich mit einer Riesenarmee von Soldaten und Pferden aus Ton sowie mit Waffen und Kunstwerken aus Bronze bestatten. Man kennt die Bilder dieser außerordentlichen Grabstädte. Aber trotzdem macht ein Besuch großen Eindruck. Mich faszinierten vor allem zwei bronzene Pferdewagen mit ihren unterschiedlichen Karossen und Kutschern. Wenn man vor ihnen steht und sie in ihrer feingliedrigen Gestaltung betrachtet, glaubt man sich um Jahrtausend zurückversetzt. So erlebt man in China wie kaum anderswo die lange zurück liegende Vergangenheit und blickt im nächsten Moment in die Zukunft.

Xian, 18.5.2011