Gedenken an die Deportationen in den baltischen Staaten von 1941

EU_Parlament_Strassburg_Zinner-064Herr Präsident, lieber Kollege Kelam, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den baltischen Ländern, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute gedenken wir in besonderem Maße der Vertreibungen und Massendeportationen aus den baltischen Ländern. Diese Vertreibungen gehören zu den dunkelsten Ereignissen der europäischen Geschichte. Das vergangene Jahrhundert wurde in der Tat nicht zu Unrecht als Jahrhundert der Vertreibungen bezeichnet. Wir verbeugen uns heute alle vor den Opfern dieser unmenschlichen Handlungen.
Wir fordern in diesem Zusammenhang eine lückenlose Aufklärung der sowjetischen Geschichte und insbesondere der Gräueltaten des Stalinismus. Das heutige Russland sollte dies nicht als einen politischen Angriff verstehen, sondern als eine Unterstützung für die Aufarbeitung der eigenen Geschichte, die genau wie die Geschichte der anderen Länder Europas durch Sonnenseiten und Schattenseiten gekennzeichnet ist.
Aber so, wie wir uns der Opfer aus den baltischen Ländern erinnern, denken wir auch an die Armenier, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aus der Türkei vertrieben wurden. Wir gedenken des sogenannten Bevölkerungsaustausches zwischen der Türkei und Griechenland. Einen besonderen Höhepunkt erlangten die Deportationen in Europa in der Mitte des Jahrhunderts durch das Nazi-Regime und durch das kommunistische Regime der Sowjetunion. Auch die Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg haben tiefe Wunden geschlagen, ebenso die Vertreibungen während des Jugoslawienkrieges.

Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass viele Kolonialherrschaften durch Vertreibungen gekennzeichnet waren. Wir müssen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen von Vertreibungen und der Scheinbegründungen einfordern. Dazu gehört auch die Klärung der Schuld und die Bestrafung der Schuldigen, jedenfalls soweit das noch möglich ist, wie jetzt zum Beispiel im Falle Mladič. Aber die entscheidende Antwort ist die europäische Einigung, gerade auch mit den selbständigen baltischen Ländern, und ein klares Bekenntnis zur Fortsetzung des noch nicht abgeschlossenen europäischen Einigungsprozesses. Diese historische Aufgabe ist das, was wir nicht nur uns selbst, sondern gerade auch den Opfern der vielen Vertreibungen in Europa schuldig sind. Viele Politiker aus allen Ländern Europas, aus Ost und West, haben daran gearbeitet. Denken wir z. B. an die Danziger Erklärung, unterschrieben durch den polnischen Präsidenten Kwasniewski und den deutschen Bundespräsidenten Rau.

Weil wir aus der Vergangenheit lernen wollen, müssen wir wachsam sein, auch gegenüber ersten Ansätzen von Vertreibungen, wie z. B. im Fall der Roma. Wir müssen alle Aussagen zurückweisen wie etwa die, man müsse die arabischen Zuwanderer wieder in den Booten über das Mittelmeer zurückschicken, und wir müssen uns wehren, wenn einige die Errungenschaften Europas ohne Grenzen wieder aufheben wollen und zu einem neuen engstirnigen Nationalismus zurückkehren wollen.

Verneigen wir uns in Ehrfurcht vor allen Opfern von Vertreibung und Deportationen, aber bekennen wir uns einmütig zur Fortsetzung der europäischen Einigung als der einzigen wirklichen Garantie gegen eine Politik, die im vergangenen Jahrhundert so viel Unglück über die Menschen in Europa, aber auch darüber hinaus gebracht hat! Niemals vergessen!
Niemals wieder! Das waren Forderungen, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Sie haben nichts von ihrer Gültigkeit verloren, am besten sind sie in einem gemeinsamen Europa aufgehoben.