Maßnahmen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise, insbesondere in der Eurozone (18. April 2012)

3-10-07_Swoboda_2Herr Präsident! Vielleicht brauchen die französischen Konservativen schon die Kamaraderie von Georges Marchais, um die Wahlen zu gewinnen. Aber das ist eine andere Frage.

Herr Präsident Barroso, ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Vieles von dem, was Sie gesagt haben, kann ich unterstreichen. Ich frage mich aber: Ist das die Realität der Kommissionsaktivität? Denn wenn ich mir anschaue – Entschuldigung, dass ich darauf zurückkomme –, was zum Beispiel auch im Rahmen der Troika verlangt wird: nach wie vor eine allzu kurze Frist hinsichtlich der ausgeglichenen Budgets. Was sagen Sie Herrn Rajoy, wenn er mit Recht darauf hinweist, dass er das nicht erfüllen kann? Was sagen Sie Frau Lagarde, was sagen Sie Herrn Zoellick, die darauf hinweisen, dass da eine viel zu enge und kurzsichtige Politik der Budgetsanierung betrieben wird?

Nach wie vor verlangt die Kommission mehr Flexibilität und weniger Sicherheit in vielen Ländern. Das ist ein falscher Begriff von flexicurity , weniger Sicherheit und mehr Flexibilität. Und nach wie vor glaubt man, die Dinge zu lösen, indem man Gewerkschaft und Arbeitnehmer in die Schranken verweist und sie nicht mit in die Verantwortung nimmt. Wir wollen eine echte Wachstumsstrategie. Aber, Herr Präsident Barroso, wenn Sie sagen, ja, das ist die Subsidiarität: Auch beim Budget gibt es Subsidiarität. Auch Sie können nicht die Budgetprobleme lösen. Aber Sie drängen darauf, dass wir gemeinsame Gesetzgebungen haben. Warum handelt es sich bei der Beschäftigungspolitik nur um Erklärungen, um Wünsche, um Aufforderungen? Und beim Budget haben wir strenge Gesetze, Verpflichtungen, Sanktionen. Das ist ein Ungleichgewicht, das wir nicht akzeptieren können.

Wir brauchen eine echte Wachstumspolitik. Das ist unsere Forderung. Und wenn Herr Sarkozy dem Herausforderer François Hollande entgegenhält „il ne suffit pas de créer le mot croissance dans un traité pour l’obtenir “, warum braucht er dann einen Vertrag bei der Fiskalunion? Und warum macht er dann nicht schon längst eine Wachstumspolitik? Das ist durchaus möglich. Da vertraue ich lieber der Financial Times , die sagt „it is encouraging that an increasing number of politicians, including François Hollande, the French presidential hopeful candidate, are calling for a European growth strategy “. Was das Wachstum betrifft ist die Financial Times progressiver als Sarkozy, auch das beweist das. Ich habe auch schon erwähnt, was Herrn Zoellick vor kurzem gesagt hat, und was Frau Lagarde gestern bei der Vorstellung gesagt hat. Wir verlangen sehr viel vom IMF. Wir sind aber nicht bereit, eine Politik zu verfolgen, bei der der IMF uns auch entsprechend unterstützen kann. Denn Frau Lagarde verlangt dauerhafte fiskalische Anstrengungen, die genügend Raum für Wachstumsimpulse lassen.

Wenn Sie daher ein Beschäftigungspaket, wenn Sie ein Wachstumskonzept vorstellen, das wir unterstützen können, dann müssen sie auch Ihren Kolleginnen und Kollegen, die in die Länder gehen und dort auf die Budgetpolitik schauen, sagen, dass auch dort eine Budgetpolitik betrieben wird, die Wachstum zulässt. Denn das ist auch etwas, was ich von der Kommission fordere: eine Budgetpolitik, die Wachstum zulässt. Das ist die einzige Chance, um wirklich zu Wachstum zu kommen.

Leider ist Herr Draghi nicht da, aber das hängt natürlich auch mit der EZB zusammen. Denn viel von dem, was die EZB macht, macht sie eigentlich, ohne dass sie auch entsprechenden Rückhalt in der Politik hat. Obwohl ja auch die Europäische Zentralbank aufgefordert ist, die generelle Wirtschaftspolitik der EU zu unterstützen. Das werden viele übersehen, die die EZB kritisieren. Daher bräuchte man nicht unbedingt das Statut von vornherein ändern. Ich habe nichts dagegen, wenn wir das Statut ändern, wie Herr Sarkozy vorschlägt. Aber man müsste eine Wachstumspolitik machen, die dem entspricht, was die EZB als Hilfskonstruktion zu erreichen versucht.

Ich will nicht leugnen, Herr Präsident, dass es einige positive Vorschläge gibt. Sie haben sich in der Finanztransaktionssteuer weit vorgewagt. Da warten wir noch immer auf den Rat, Kollege Daul, und auf die Kolleginnen und Kollegen in den Regierungen, die noch immer sehr zögern. Sie haben jetzt ein Beschäftigungspaket vorgelegt. Das enthält viele Ansätze. Manches ist uns zu ambivalent, manches ist nicht klar genug zum Ausdruck gebracht. Wer aber die Statistiken klar liest, wird sehen, dass die Länder, die erfolgreich sind, nicht erfolgreich sind durch den Abbau von sozialer Sicherheit und Einfluss der Gewerkschaften, sondern im Gegenteil. Man braucht nur nach Deutschland schauen und in mein eigenes Land, Österreich, was auch wieder die Lügen straft, die glauben, soziale Sicherheit unbedingt abbauen zu müssen, und mehr Flexibilität und weniger soziale Sicherheit sei ein Wachstumskonzept. Das ist kein Wachstumskonzept.

Ich unterstütze, was Sie zu den europäischen Kapitalmärkten gesagt haben, dass wir Geld aufnehmen können. Ich unterstütze sehr wohl, was Sie zur Europäischen Investitionsbank gesagt haben, die schon längst mehr tun kann. Und dennoch besteht weiter das Problem, dass wir zu wenig gegen die Arbeitslosigkeit, besonders gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun. Denn, Herr Kommissionspräsident, das ist ja nicht nur eine wirtschaftliche Frage, Sie wissen das genau, das ist auch eine soziale und letztendlich eine politische Frage. Wie sollen wir die politische Demokratie in Europa retten, wenn wir so viele Menschen, so viele junge Menschen, in Arbeitslosigkeit haben, die resignieren, was letztendlich auch dazu führt, dass sie extremistische Parteien wählen, wenn Sie verzweifeln an diesem Europa, verzweifeln an der Demokratie in Europa. Das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen.

Und noch einmal, um Zoellick zu zitieren: „show people who want to work that you want them to work “. Das ist unsere Aufgabe, das müssen wir tun. Sonst fürchte ich, dass wir einen Kurs der Titanic fahren. Wenn wir vermeiden wollen, dass wir wirtschaftlich, politisch und sozial einen Titanic-Kurs fahren, dann ist es absolut notwendig, das, was im Beschäftigungspaket steht, in konkrete Gesetzgebung umzuwandeln. Deklarationen sind nicht genug, wir brauchen starke, verpflichtende Gesetzgebung auch auf diesem Gebiet der Beschäftigungspolitik.