Rede zu Beziehungen EU-Russland

Herr Präsident, Herr Ratspräsident, liebe Frau Kommissarin! Es gibt sehr viele Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland. Vor allem würde ich mir in Russland eine so freie Präsidentschaftswahl wünschen, wie ich sie jetzt in Amerika zumindest erwarte.

Großmächte haben aber auch gewisse Ähnlichkeiten, und ich hoffe, dass vielleicht manche von Ihnen vor kurzem die Sendung im Sender ARTE über das Porträt von Henry Kissinger gesehen haben. Kissinger und General Alexander Haig haben zur Intervention in Chile bzw. zu den fortlaufenden Interventionen in Lateinamerika Folgendes gesagt: Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika etwas stört, dann werden sie intervenieren und einen Regimewechsel herbeiführen. Sie haben sich dazu völlig gerechtfertigt bekannt. Ähnliches kann man vielleicht auch von Russland sagen – obwohl wahrscheinlich in weniger Fällen als in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Auch das Verhältnis zum internationalen Recht ist bei beiden Großmächten etwas gespalten. Gerade was die Interventionen in Lateinamerika betrifft, waren diese eindeutig gegen das internationale Recht. Der Irak-Krieg war eindeutig gegen das internationale Recht. Und Russlands Vorgehen in Abchasien und Südossetien war auch gegen das internationale Recht. Beim Kosovo-Problem werden wir erst sehen, ob der Internationale Gerichtshof feststellt, dass das Vorgehen gegen das internationale Recht war.

In beiden Fällen, Kollege Zaleski – und ich sage das deshalb, weil ich Sie sehr schätze -, haben Sie mit dem Satz völlig Recht: Es handelt sich um ein faszinierendes und starkes Land, aber unberechenbar. Das gilt für die USA genauso wie für Russland, und wir müssen darauf reagieren.

In beiden Fällen aber halte ich es für falsch, den Dialog abzubrechen. Wir haben auch nach der eindeutigen Verletzung des internationalen Rechts im Irak-Krieg – und zwar einer massiven Verletzung mit Tausenden von Toten – nicht gesagt: Jetzt brechen wir den Dialog mit den USA ab. Wir haben natürlich weiter mit den USA geredet.

Ich vergleiche nicht die innere Struktur der USA und Russlands. Es geht nur um das internationale Verhalten. Präsident Sarkozy hat völlig Recht – und ich danke ihm sehr für seine pragmatische, klare Politik: Wir müssen diesen Dialog führen!

Zweitens, wir müssen die Nachbarn stärken, insbesondere wenn es gleichzeitig unsere Nachbarn sind. Wir müssen der Ukraine und Georgien Stärke geben, damit sie auch mit dem schwierigen Großnachbarn Russland zurechtkommen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass das Verhalten rational ist, und das Verhalten von Saakaschwili war nicht rational! Und auch das Verhalten von Herrn Juschtschenko gegenüber Frau Timoschenko z. B. ist nicht rational! Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Nachbarn sich rational verhalten. Wenn sie das tun und unsere Stärke im Rücken haben, dann werden sich die Nachbarn auch gegen ein Russland wehren, das wieder versucht, Großmacht zu spielen.