Rede zum EU-Russland-Gipfel

Frau Präsidentin! Es ist nicht sehr sinnvoll, die Realpolitik gegenüber der Moralpolitik – wie Kollege Watson gesagt hat – auszuspielen. Wir brauchen beides: Wir brauchen eine realistische Einschätzung Russlands und einen klaren und festen Standpunkt, was die moralischen Fragen, also die ethischen Fragen, betrifft.

Viele von uns haben geglaubt, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Russland eigentlich von der Weltbühne verschwindet, und viele haben sich das gewünscht. Es ist nicht so gekommen, es ist vor allem auch nicht so gekommen, weil Russland sicherlich durch die steigenden Energiepreise höhere Einnahmen und eine erhöhte Kraft auch für weltpolitisches Auftreten hat. Das sollten und müssen wir zur Kenntnis nehmen, alles andere ist unrealistisch.

Was wir nicht einfach zur Kenntnis nehmen wollen, sind natürlich die negativen Entwicklungen, und sowohl die Ratspräsidentschaft als auch die Frau Kommissarin haben das deutlich gemacht. Wir wollen nicht einfach zur Kenntnis nehmen, dass es immer wieder Schritte zur Entdemokratisierung in Russland gibt, Schritte, die wir nicht akzeptieren können, die nichts mit der Fortentwicklung der Demokratie, sondern etwas mit der Rückentwicklung der Demokratie zu tun haben. Wir wollen nicht einfach zur Kenntnis nehmen, dass Russland leider nicht bereit ist, gegenüber seinen Nachbarn oder unseren gemeinsamen Nachbarn eine offene Partnerschaft einzugehen. Das wäre unser Interesse, und das sollen wir auch ganz klar und deutlich sagen: Wir wollen mit Russland gemeinsam diese Partnerschaft entwickeln, aber mit einem Russland, das die Selbständigkeit und Souveränität aller Nachbarn anerkennt.

Was wir nicht akzeptieren können ist, dass Russland einerseits als Mitglied zum Beispiel des Europarates oder der OSZE mit Recht Einfluss nehmen möchte, aber nicht andererseits die Verantwortung übernehmen möchte und sich zum Beispiel gegen Wahlbeobachtung wehrt. Wir sollten den Wahlen nicht prinzipiell misstrauen, aber ein Land wie Russland, das meint, dass seine Demokratie voll entwickelt ist, muss sich auch gefallen lassen, dass man das auch konkret überprüft. Wenn Russland im Europarat und in der OSZE eine große Rolle spielen will, dann fordern wir Russland auf, das auch zu demonstrieren, indem es Wahlbeobachter zulässt, damit klargestellt wird, dass die Wahlen transparent und fair ablaufen. Das ist das Interesse, das die Europäische Union gegenüber Russland klar zum Ausdruck bringen soll.