Rede zum Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm für 2005

Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Wie Kollege Schulz schon ausgeführt hat, haben Sie ein Programm vorgelegt, bei dem wir uns in vielen Passagen wiederfinden können, und ich möchte das ausdrücklich unterstreichen. Es liegt jedoch in der Natur von Abgeordneten, dass sie nie genug bekommen können; daher möchte ich mich auf jene Punkte konzentrieren, wo ich Sie bitte, noch ein bisschen weiter zu gehen.
Herr Präsident, Sie haben mit der Frage der better regulation begonnen, also einer anderen Gesetzgebung, die wir brauchen. Und Sie haben auch begonnen mit der Frage: Verstehen die Bürger, was wir wollen? Ich meine doch, dass wir uns in den nächsten Monaten oder in den nächsten Jahren auf jene Fragen konzentrieren sollen, die für die Bürger von großem Interesse sind. Und da fehlt uns das Engagement der Kommission in der Frage der öffentlichen Dienstleistungen, und zwar auch sehr konkret, was eine Rahmenrichtlinie betrifft.
Wenn die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass ein Postamt nach dem anderen verschwindet, dass immer mehr andere öffentliche Einrichtungen wegkommen, dass ganze Landstriche ausgeödet werden, dann fragen sie sich: Sind das die Auswirkungen von Europa? Und daher bitte ich Sie, sich nicht nur auf die Frage der privaten Dienstleistungen zu konzentrieren, sondern vor allem die Dienstleistungen im öffentlichen Interesse stärker zu berücksichtigen.
Zweitens: Am Beginn Ihres Programms steht der Wohlstand, und dann kommt die Solidarität. Sie betonen auch zu Recht mehrmals die Verbindungen zwischen Wohlstand und Solidarität. Auch da ersuche ich Sie, noch weiter zu gehen. Es gibt für uns im europäischen Gesellschaftsmodell eigentlich keine Förderung des Wohlstands, ohne dass damit auch Solidarität verbunden ist. Und Solidarität ist für uns kein Hindernis für Effizienz, kein Hindernis für Wettbewerbsfähigkeit, nicht einmal, wie vor allem das nordische Modell zeigt, ein Hindernis für Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Wenn wir Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt wollen, ist es umso wichtiger, soziale Netze zu haben, um die Menschen im Fall des Falles aufzufangen.
Solidarität bedeutet für uns aber auch, den öffentlichen Sektor nicht auszuhungern und zu vernachlässigen. Wir brauchen für Wachstum, für Beschäftigung, auch für eine gerechte Einkommensverteilung einen lebendigen – nicht hypotrophen -, einen lebendigen, angemessenen öffentlichen Sektor. Wir brauchen mehr Infrastrukturinvestitionen, das haben Sie zu Recht gesagt, wir brauchen mehr Investitionen, vor allem auch in die Bildung und in die Gesundheit. Und hier komme ich wieder zu den Dienstleistungen; das ist für uns als Sozialdemokratische Fraktion ein ganz wichtiger Punkt, da wir die öffentlichen Dienstleistungen ausbauen wollen. Was die privaten Dienstleistungen betrifft, möchte ich ein Wort von Präsident Juncker aufgreifen: Wir wollen eine Öffnung des Marktes für Dienstleistungen, aber wir wollen kein soziales Dumping. In diesem Sinne müssen wir die Dienstleistungsrichtlinie überarbeiten.
Solidarität in Verbindung mit Wohlstand heißt natürlich auch, gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen Solidarität zu üben, auch gegenüber verschiedenen Minderheitsgruppen – hier tun wir gerade in diesen Tagen im Parlament etwas -, vor allem auch gegenüber der großen Minderheitsgruppe der Roma und Sinti. Ich glaube, dass es angemessen wäre, bei dieser Gelegenheit hier mal ein klares Wort zu sagen.
Solidarität heißt natürlich auch internationale Solidarität, die wir zu üben haben, und damit komme ich zum letzten Punkt: Europa ist eine zivile Großmacht. Wir sind eine soft power, aber soft power heißt nicht weak power, sanfte Macht heißt nicht schwache Macht, und das, glaube ich, müssen wir hervorheben. Wenn wir, was jetzt auch von der amerikanischen Seite anerkannt wird, in der Ukraine so erfolgreich waren und einen vernünftigen Weg weitergehen müssen, ohne die letzten Schritte vor dem ersten Schritt zu setzen, wenn wir auch auf dem Balkan erfolgreich sein werden, dann müssen wir diese Art und Weise, internationale Politik zu gestalten, beispielsweise auch im Iran anwenden. Und da muss man auch den amerikanischen Freunden – und ich betone: Freunden – klar sagen: Es geht nicht an, dass der militärische Weg Vorrang hat, sondern wir müssen versuchen, so weit wie möglich den zivilen Weg, den Weg der Verhandlungen, den Weg der Einbindung zu gehen; das ist die europäische Art und Weise.
Damit schließe ich keineswegs aus, dass es eine militärische Komponente gibt. Wenn wir sagen, wir sind eine zivile Großmacht, brauchen wir auch eine militärische Komponente, damit wir der zivilen Großmacht Europa Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit verleihen.
Herr Präsident, Sie sind etliche Schritte gegangen; als Sozialdemokraten wünschen wir, dass wir noch weitere Schritte gehen. Angesichts der Tatsache, dass die USA, China und Russland eine ganz andere Vorstellung von der Welt haben, müssen wir die europäische Vorstellung von der Welt zuspitzend auch gegenüber unseren eigenen Bürgern vertreten.