Rede zum Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm für 2006

Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Kommissarinnen und Kommissare! Vieles von dem, was im Programm steht und was Präsident Barroso heute gesagt hat, können wir sicherlich unterstützen, insbesondere – und ich möchte diesen Punkt von Enrique Barón Crespo aufgreifen – die Versuche von Kommissar Mandelson, eine ausgeglichene Verhandlungsrunde in Hongkong zustande zu bringen. Trotz seiner Skepsis hoffe ich doch, dass wir dies zustande bringen.
Herr Präsident, Sie sagen in Ihrem Programm, das ein sehr ambitioniertes Programm ist, dass Sie das ganze Potenzial Europas freisetzen wollen. Aufgrund der Überlegungen unserer Fraktion glaube ich allerdings, dass darin einige wesentliche Punkte fehlen.
Ich möchte mit den Unruhen in den französischen Städten beginnen. Sicherlich sind das französische Ereignisse. Aber dahinter liegen doch tiefere Ursachen. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum wir als Fraktion immer darauf hingewiesen haben, wie wichtig der soziale Zusammenhalt ist, denn dort wo Arbeitslosigkeit, Mangel an Integration, Isolation und Diskriminierung herrschen, kann es leicht zu solchen Unruhen kommen. Was diesbezüglich im Programm auch eindeutig fehlt, ist eine klare Aussage zur Bedeutung öffentlicher Dienstleistungen. Gerade in den Städten sind sie besonders wichtig, um zum Beispiel auch denen, die weniger Chancen haben, entgegenzukommen und ihnen zu helfen.
Ein zweites Kapitel, das Sie angesprochen haben, Herr Kommissionspräsident, ist die Energiefrage. Ich schätze den Herrn Energiekommissar sehr und arbeite gut mit ihm zusammen. Aber wir haben schon des Öfteren darauf hingewiesen, wie wichtig es angesichts der Entwicklungen ist, dass die gesamte Kommission sich klar zu einer alternativen Energiepolitik bekennt. Es wäre außerdem wichtig, Herr Kommissionspräsident, dass Sie das, was in Amerika fast durchwegs praktiziert wird, auch in Europa aufgreifen, nämlich die großen Konzerne dazu verpflichten, wenigstens einen Teil ihrer horrenden Gewinne dazu zu verwenden, um verstärkt in Forschung und Entwicklung zu investieren. Wir sind neugierig auf das Grünbuch, das schon längst vorliegen sollte. Wir werden jedenfalls eine sehr heftige und ernsthafte Debatte dazu führen.
Drittens das Forschungspotenzial: Wir müssen das Forschungspotenzial wecken. Wir diskutieren jetzt das Siebte Forschungsrahmenprogramm. Aber gibt es innerhalb der Kommission auch eine Umsetzungskonzeption? Das European Institute of Technology ist beispielsweise in Ihrem Programm nur sehr vage und vorsichtig erwähnt. Sie müssen hier mit mehr Mut und Entschlossenheit auftreten und auch ein Konzept der europäischen Universitäten präsentieren. Wir müssen aufhören, Amerika durch den Export junger Forscher nach Amerika zu subventionieren. Wir bilden sie aus und lassen sie dann nach Amerika gehen, weil sie in Europa zu wenig Chancen haben. Wir brauchen auch ein Konzept, um vor allem Klein- und Mittelbetrieben besseren Zugang zu den Forschungsmitteln zu gewähren. Auch das ist absolut notwendig.
Was das Thema „bessere Rechtsetzung“ betrifft, so gebe ich Ihnen Recht. Wir müssen zu besseren Gesetzgebungsverfahren kommen. Das liegt im Interesse vieler großer Unternehmen, im Interesse der Klein- und Mittelbetriebe, aber auch im Interesse des einzelnen Bürgers. Wir unterstützen den Plan der Frau Vizepräsidentin. Aber bessere Rechtsetzung ist auch eine Aufgabe für uns, das Parlament. Wir müssen dem Bürger viel stärker denn je jede einzelne Gesetzesinitiative erklären, begründen und rechtfertigen. Wir müssen mit der notwendigen Sensibilität vorgehen. Wir müssen zielorientierter handeln. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass die Kommission die Gesetzmäßigkeit im Sinne der einzelnen Maßnahmen überprüft, sondern darauf, ob die Länder die Ziele, die jeweils mit der europäischen Gesetzgebung verbunden sind, auch erfüllen können.
Zur Frage des Sozialen: Sie haben mit Recht darauf hingewiesen. Nur wird in dem Programm viel zu wenig deutlich, dass die wirtschaftliche Entwicklung mit der sozialen Entwicklung Hand in Hand gehen muss. Hier würde ich mir wünschen, dass Sie im nächsten Jahr seitens der Kommission einen Bericht über die Fortschritte bei der Erweiterung vorlegen. Ich möchte das Thema Erweiterung – vielleicht in einem etwas anderen Sinn – aufgreifen. Viele Bürger sind skeptisch. Aber viele Bürgerinnen und Bürger in den alten Ländern haben den Eindruck, dass die Erweiterung dem Herabnivellieren sozialer Standards und der Steuern dient. Wenn ich mir die Debatte anschaue, die wir mit Ihnen, Herr Präsident und mit Kommissar McCreevy geführt haben, dann glaube ich nicht, dass wir genügend vermitteln konnten, wie wichtig uns diese soziale Frage ist. Und wenn ich jetzt im Zentralorgan der Kommission, in der Financial Times, lese, dass Herr McCreevy absolut gegen die Steuerharmonisierung ist, so frage ich mich: Ist es tatsächlich unser Ziel, dass wir unsere direkten Steuern immer weiter senken und unsere sozialen und sonstigen Infrastrukturleistungen nicht finanzieren können? Ist es unser Ziel, dass wir das gemeinsame Europa auf einem viel niedrigeren sozialen Standard erreichen? Unser Ziel muss sein, dass wir – die alten und die neuen Länder gemeinsam – ein soziales Europa erreichen. Ich wünsche mir, dass die Kommission nächstes Jahr einen Bericht dazu vorlegt.
Die Financial Times hat vor kurzem geschrieben, dass viele Staatsmänner großer Länder – Schröder, Chirac, Blair – in den nächsten Jahren abtreten werden. In Polen haben wir eine völlig neue Regierung. Die Kommission muss in dieser Zeit, in der neue Regierungen und neue Regierungschefs kommen, die mit Europa vielleicht nicht so vertraut sind, eine Führungsrolle in diesem Europa übernehmen, sonst geht der europäische Gedanke immer mehr verloren. Wenn Sie diese Führungsrolle übernehmen, werden wir Sie unterstützen, aber bitte übernehmen Sie eine Führungsrolle im Sinne eines sozialen Europas!