Rede zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2010

EU_Parlament_Strassburg_Zinner-039Hannes Swoboda, im Namen der S&D-Fraktion  Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Damen und Herren Kommissare! Danke, dass Sie heute so zahlreich da sind, was ich von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen nicht sagen kann. Mit Scham muss ich feststellen, dass nicht alle, die nicht da sind, nicht da sind. Sie sind nämlich schon da, aber nicht hier, wo sie sein sollten. Das ist sehr traurig.
Da wir keine Gemeinsame Entschließung haben, werden wir Ihnen unsere einzelnen Punkte übermitteln und Sie können das im Detail begutachten. Herr Präsident, wir stimmen mit Ihnen überein, dass es um die Wettbewerbsfähigkeit geht bei gleichzeitiger sozialer Sicherheit in einem Europa der Nachhaltigkeit.

Da gilt es natürlich vor allem auch die Arbeitslosigkeit, die nach wie vor zum Teil steigt oder zumindest unangemessen hoch ist, und – ich danke, dass Sie das erwähnt haben – die Armut zu bekämpfen, etwas, was bei einigen Regierungschefs nicht so sicher ist. Wie soll das aber geschehen in Zeiten der Konsolidierung der Budgets? Denn natürlich müssen wir die Budgets konsolidieren. Aber das kann – und da bitte ich die Kommission, darauf zu achten –, nur mit Augenmaß geschehen und in einer zeitlichen Abfolge, die nicht die anderen Ziele, die notwendig sind – nämlich die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut –, wieder zunichte macht.
Weil vor Kurzem in Cordoba der Gipfel zur Roma-Frage stattgefunden hat, bei dem zwar nicht Sie, aber doch zwei Mitglieder der Kommission waren – Frau Vizepräsidentin und der Kommissar für Soziales –, möchte ich bei dieser Gelegenheit doch sagen, wie wichtig diese Frage ist. Ich habe vor Kurzem in Serbien Roma-Siedlungen gesehen. Es ist unfassbar, dass so etwas in Europa existiert. Ich bitte die Kommission, alles daran zu setzen, in dieser Frage wirklich ernsthaft auch dieses Problem der Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Ich komme im Zusammenhang mit der Budgetkonsolidierung zum nächsten Punkt: Wir brauchen weitere Investitionen. Wir haben das heute Früh mit Vizepräsident Kallas diskutiert: Wir haben zu wenig investiert, z. B. in transeuropäische Netze. Heute sehen wir, wo wir die Probleme haben, weil wir nach wie vor hinterherhinken mit dem, was damals im so genannten Delors-Plan entworfen worden ist.

Da bitte ich, wenn Sie von Partnerschaft reden, Herr Kommissionspräsident: Gerade was die Budgetfrage und die zukünftige Budgetplanung betrifft, brauchen wir diese Partnerschaft, denn wir sehen ja schon jetzt bei Kleinigkeiten, wie der Rat die Budgets auf der europäischen Ebene kürzen will. Das können wir uns nicht gefallen lassen.
Herr Präsident, Sie haben vom Monti-Bericht gesprochen. Das ist sicherlich ein wichtiger Bericht, und es ist auch gut, dass Sie Herrn Monti damit beauftragt haben, der sicherlich ein Experte auf diesem Gebiet ist. Aber wenn wir vom gemeinsamen Markt sprechen, dann müssen wir von der sozialen Marktwirtschaft reden. Und da sind für uns insbesondere auch die gemeinwirtschaftlichen Dienste ganz wichtig. Sie haben zugesagt, dass Sie Vorschläge für eine Rahmenrichtlinie vorlegen werden. Wir wollen nicht alle einzelnen Punkte hier behandeln, aber ich glaube, dass wir für die europäische Identität gerade auf diese gemeinwirtschaftlichen Dienste zählen müssen, gerade auch angesichts der Verkehrsprobleme, die wir gesehen haben und die zeigen, wie wichtig z. B. gemeinwirtschaftliche Bahndienste sind. Es ist nebensächlich, ob sie von privater oder von öffentlicher Hand angeboten werden, aber geregelt und gesichert müssen sie vor allem durch eine gemeinsame europäische Politik der gemeinwirtschaftlichen Dienste werden.

Ich komme zum letzten und entscheidenden Punkt: Sie haben von der Wirtschaftskrise gesprochen und auch von Griechenland und anderen Ländern, die in einer Krisensituation sind. Wir haben schon das letzte Mal in Diskussionen mit Herrn Van Rompuy festgestellt, dass das, was der Europäische Rat in diesem Fall geleistet hat, keine europäische Spitzenleistung war. Hätte man das Ganze schon vor zwei oder drei Monaten gemacht, dann hätte man Griechenland hohe Zinszahlungen erspart. Sie haben darauf hingewiesen, aber ich glaube, wir brauchen mehr als Hinweise. Wir brauchen die starke Stimme der Kommission, die diese Dinge einfordert.

Ich gebe Ihnen auch Recht. Es geht nicht darum – weil das immer wieder missverstanden wird –, dann einzugreifen, wenn die Krise einmal da ist und die Defizite ins Uferlose gehen. Es geht darum, dass das durch eine entsprechende Überwachung der wirtschaftlichen und budgetären Entwicklung möglichst verhindert wird. Ich höre schon jetzt wieder Regierungen, die sagen: Nein, nein, unsere Statistik und unsere Budgetgestaltung dürfen Sie nicht einsehen! Das ist nicht akzeptabel. Wenn wir das, was in den letzten Monaten und Jahren geschehen ist, verhindern wollen, dann müssen wir das tun. Warum muss denn eine Regierung ihre Statistiken und ihre budgetäre Entwicklung verheimlichen? Natürlich hat sie einen Spielraum, sie muss einen Spielraum haben, aber insbesondere in der Eurozone muss der Spielraum ein solcher sein, dass er mit den europäischen Zielsetzungen, mit den europäischen Zielrichtungen übereinstimmt.
Herr Präsident, wir sind bereit zur speziellen Partnerschaft, die Sie erwähnt haben.

Aber diese Partnerschaft muss auf einer starken Position des Parlaments, aber auch der Kommission beruhen. Wir verhandeln in diesen Tagen noch über das Rahmenabkommen. Es regelt einige Details, aber entscheidend ist der Geist, der dahintersteckt. Und dieser beinhaltet auch, dass Sie, wenn einige Regierungschefs den Vertrag von Lissabon missbrauchen wollen, um ihre Position zu stärken, auch klar sagen: Nein, der Vertrag von Lissabon soll Europa stärken! Daher brauchen wir eine starke Stimme der Kommission. Dann werden wir auch mitgehen und Sie unterstützen, wenn wir auch in einzelnen Details unterschiedliche Meinungen haben. Aber wir müssen beide für ein starkes Europa kämpfen. Gerade in diesen Tagen, angesichts des Verhaltens einiger Regierungschefs, ist das sehr wichtig.

Straßburg, 20.4.2010