Rede zum Standpunkt der Europäischen Union zur Anhörung am Internationalen Gerichtshof über die israelische Mauer

Frau Präsidentin! Ich schätze den Ratspräsidenten sehr, aber ihm ist heute nichts anderes übrig geblieben, als uns drastisch vor Augen zu führen, wie unfähig die Europäische Union ist, in einer der wichtigsten Fragen eine klare Position einzunehmen. Nicht einmal eine heisere Stimme kommt heraus, sondern überhaupt keine Stimme.
Was machen wir? Wir enthalten uns in einer ganz wichtigen Frage, bei der es genau auch um die Legalität geht. Denn es ist ja nicht so – und da bin ich ganz der Meinung von Herrn Cohn-Bendit -, dass es um eine Mauer geht, die an einer ganz bestimmten Grenze gezogen wird. Da kann man dafür oder dagegen sein. Sondern Sie, Herr Ratspräsident, sagen selbst, und auch die Europäische Union sagt, dass tief ins palästinensische Gebiet hineingebaut wird. Genau bei einer solchen Maßnahme, bei einer solchen Annexion, wo es auch darum geht festzuhalten, wie eine solche Grenzbefestigung rechtlich zu beurteilen ist, sagen wir: Tut uns leid, keine Meinung, bzw. jeder einzelne Staat soll tun, was er will. Ja, wozu haben wir das Bestreben einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wenn wir in den wichtigsten Fragen einfach sagen: Wir haben keine Meinung. Das ist der Slogan, das ist das Motto der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik in dieser Frage. Das halte ich für beschämend.
Es geht nicht darum, Israel einseitig zu verurteilen. Ich bin auch wieder ganz der Meinung von Herrn Cohn-Bendit: Wer diese Mauer verurteilt und kritisiert, der muss genauso jede Art der terroristischen Aktivität nicht nur verurteilen, sondern versuchen zu bekämpfen.
Aber mit einer solchen Position wird man nichts erreichen. Mit einer Position, bei der ich in dieser wichtigen Frage eigentlich nichts sage, verärgert man die palästinensische Seite, aber man gewinnt ja deshalb nicht die israelische Seite, da Israel natürlich Druck ausgeübt hat, dass wir hier keine Position beziehen. Aber Israel wird uns deshalb nicht verstärkt in den Friedensprozess einbeziehen. Und ich finde es traurig, dass die europäischen Außenminister und Regierungschefs das nicht anerkennen und nicht erkennen. Ihnen, Herr Roche, blieb heute nichts anderes übrig, als uns das so zu präsentieren.
Ich habe aber noch zwei Fragen an Sie, nämlich an den Vorsitz. Die erste Frage bezieht sich auf die Pläne Scharons, den Großteil – bisher ja nicht alle, aber den Großteil – der Enklaven, der Siedlungsgebiete, im Gaza-Streifen zu räumen. Was bedeutet das? Das Räumen – d´accord, einverstanden – Jubel für Scharon. Aber bedeutet das, dass jetzt andere Bereiche, insbesondere im Gebiet der Westbank und in Ost-Jerusalem, erweitert werden? Meine Frage an Sie, Herr Ratspräsident: Hat die Europäische Union wenigstens hier klar Stellung bezogen? Unterstützung für das Räumen dieser Gebiete, aber keinerlei Unterstützung und keinerlei Verständnis, wenn das heißt, dass andere Gebiete in der Westbank annektiert werden.
Die zweite Frage, die ich an Sie habe: Es wird jetzt groß von einem neuen Nahostplan im weitesten Sinn des Wortes von den Amerikanern gesprochen. Joschka Fischer hat auf der Wehrtagung in München dazu Stellung genommen. Weiß die Europäische Union etwas von diesem Plan? Hat die Europäische Union etwas zu diesem Plan zu sagen, und umfasst dieser Plan auch ganz konkrete Schritte, was das eigentliche Kernproblem betrifft, nämlich Israel und Palästina? Da wäre es interessant, ob Europäische Union und Rat etwas dazu sagen könnten.