Rede zum Tätigkeitsprogramm des britischen Vorsitzes

Herr Präsident, Herr Premierminister Tony Blair! Sie treten ein schweres Erbe an. Wir hatten gestern Premierminister Juncker in diesem Haus, wir haben seine Emotionalität, sein Engagement für die europäische Sache sehr geschätzt und ihm großen Beifall gespendet. Sie haben heute die andere Hälfte der Wahrheit gebracht, und ich kann sehr viel von dem verstehen. Und wenn viele Kolleginnen und Kollegen die Vorurteile, die sich in den letzten Jahren aufgebaut haben, abbauen würden, dann würden sie mit sehr viel von dem, was heute hier gesagt wurde, übereinstimmen.
Wir brauchen aber Ihr volles Engagement in Europa, Ihr persönliches und das Ihres Landes. Es ist nicht leicht bei der britischen Presse und Öffentlichkeit, aber was wir brauchen ist ein Opting in und kein Opting out, und ich hoffe, Sie sind ein Ratspräsident, der dieses Opting in vertritt.
Lassen Sie mich ein paar Punkte nennen: Erstens, die Arbeitslosigkeit. Sie haben hier in Großbritannien enorme Erfolge erzielt. Wer es objektiv betrachtet, muss das zugeben. Sie sind von einer sehr hohen Arbeitslosigkeit während der Thatcher-Ära zu einer sehr niedrigen Arbeitslosigkeit, einer der niedrigsten in Europa, gelangt. Das brauchen wir. Wir brauchen allerdings auch, wie Kollege Schulz gesagt hat, Jobs die Würde geben, gerade auch im Zusammenhang mit der Erweiterung. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Worte zu Gunsten der Erweiterung. Wir müssen jedoch darauf achten, dass es nicht zu neuen Spaltungen kommt, und nicht zum Missbrauch von Arbeitnehmern aus Osteuropa, die leider immer wieder extrem unterbezahlt werden.
Zweitens, was die Frage der Dienstleistungsrichtlinie betrifft: Sie haben vollkommen Recht. Wir brauchen einen gemeinsamen Markt an Dienstleistungen. Wir müssen das aber stufenweise machen. Und wir brauchen auch etwas, was Sie nicht erwähnt sondern nur indirekt angesprochen haben: öffentliche Dienstleistungen. Sie müssen, wie Sie selbst erwähnen, in Großbritannien aufgrund von Mangelerscheinungen massiv in öffentliche Dienstleistungen, z.B. Verkehr, Gesundheit und Wohnen, investieren. Auch das muss ergänzend zum Dienstleistungssektor erfolgen, den wir liberalisieren.
Wenn die Menschen sehen, dass dieses Europa für einen gemeinsamen Markt ist, aber gleichzeitig auch für jene öffentlichen Dienstleistungen, die ihnen sehr am Herzen liegen, dann werden sie auch die Liberalisierungsschritte durchaus akzeptieren.
Zur Erweiterung: Sie haben vollkommen Recht. Wir können nicht Stopp machen. Wir müssen die Erweiterung allerdings in beiden Bereichen besser vorbereiten: in den neuen Mitgliedstaaten, aber auch in den bestehenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union, denn es wurde oft zu Unrecht damit argumentiert, dass die Erweiterung eben zum Schaden der bestehenden Mitglieder ist. Sie haben mit Recht gesagt, das stimmt nicht. Aber wir müssen das auch gegenüber der eigenen Bevölkerung vertreten.
Ganz entscheidend ist auch die Außenpolitik. Herr Premierminister, Großbritannien hat traditionell gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie haben besonders gute Beziehungen zu Präsident Bush. Das kann ein Vorteil für Europa sein, wenn klar ist, dass Sie auch für Europa sprechen, wenn klar ist, dass Sie die europäische Position in Washington vertreten. Wenn Sie das tun, dann werden wir voll auf Ihrer Seite sein.
Eines der größten Projekte – sie haben es erwähnt – ist der Nahe Osten. Wir brauchen diesen Frieden im Nahen Osten, der Nahe Osten ist unsere Nachbarschaft. Es ist nicht irgendeine Region in der Welt. Es ist unsere Nachbarschaft, und wir brauchen den Friedensschluss zwischen den Palästinensern und den Israelis. Sie haben versprochen, da sehr aktiv zu sein. Das waren Sie in den letzten Monaten auch, aber die kritische Phase kommt erst, wenn wir bedenken, dass der Abzug aus Gaza unmittelbar bevorsteht. Aus einer europäischen Position heraus darf es nicht Gaza first und Gaza last heißen, sondern wir müssen hier eine fortschrittlichere Position beziehen.
Und zuletzt: Pflegen Sie Ihre guten Beziehungen zu Washington, aber Brüssel ist London näher als Washington. Auch wenn Präsident Bush Sie in Washington braucht, wir brauchen Sie hier in Brüssel.