Rede zur Erweiterung / Kandidatenländer

Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Je näher das Datum des Beitritts rückt, desto häufiger werde ich und wahrscheinlich auch andere Kolleginnen und Kollegen gefragt, waren wir nicht übereilig? Kommt dieser Beitritt, diese Erweiterung nicht zu früh? Wenn man natürlich der Meinung ist, vor dem Beitritt sind alle Probleme zu lösen, dann kommt das Datum zu früh, dann könnten wir alle wahrscheinlich nicht Mitglied der Europäischen Union sein.
Wenn man aber der Meinung ist, dass der Zeitpunkt richtig ist, um jetzt und ab jetzt gemeinsam mit diesen Ländern in einer gemeinsamen Union diese Probleme zu lösen, dann, glaube ich, ist das Datum richtig. Denn diese Länder haben trotz aller berechtigten Kritik in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um sich zu modernisieren, die Gesellschaft weiterzuentwickeln.
Dennoch bin ich der Meinung, dass wir auf einige Probleme besonders achten sollen: Korruption ist schon erwähnt worden, auch Kriminalität. Ein Problem, das ich hier herausstreichen möchte, ist das soziale Problem, die soziale Frage. Denn ich bin der Meinung, dass es nicht nur um Preisstabilität geht, um Nulldefizit, um Steuersenkungen, sondern dass es vor allem darum geht, Wachstum zu erreichen, neue Arbeitsplätze zu schaffen – und zwar stabilere Arbeitsplätze – und die soziale Stabilität in diesen Ländern zu unterstützen und zu fördern. Dass es da Probleme gibt, haben die letzten Wochen und Monate gezeigt, z. B. im Fall der Roma und Sinti in der Slowakei. Man kann eine relativ logische Kette ziehen von Steuersenkungen, Senkung der Ausgaben, Senkung der Sozialausgaben zu diesen jüngsten Unruhen. Ich will das nicht nur an diesem einen Problem festmachen, und es gilt natürlich auch für andere Länder.
Wenn wir bedenken, dass es etwa 6 bis 8 Millionen Roma und Sinti in Europa insgesamt gibt, dann, glaube ich, hat der Wunsch mancher – auch meiner Wenigkeit – nach einem Kommissar, der auch für diese Frage zuständig ist, nämlich die Integration der Minderheiten Europas und insbesondere der Roma und Sinti, durchaus seine Berechtigung. Ich würde die Kommission jedenfalls bitten, der Frage der sozialen Integration – gerade auch der Integration der Roma und Sinti – große Aufmerksamkeit zu schenken, auch nach dem 1. Mai. Ich weiß, dass Herr Kommissar Verheugen sich der Bedeutung dieser Frage sehr bewusst ist, und ich glaube, die gesamte Kommission sollte diese wichtige Frage in den nächsten Wochen und Monaten, ja in den nächsten Jahren mittragen.