Rede zur Vorbereitung des informellen Gipfels der Staats- und Regierungschefs (Lahti, 20. Oktober 2006)

Frau Präsidentin, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissionspräsident! Es besteht kein Zweifel daran, dass wir in einer sehr schwierigen Lage sind, was unser Verhältnis zu Russland betrifft. Der jüngste Mord an Frau Politkowskaja ist ja nicht der einzige und auch kein sehr selten vorkommendes Ereignis. Es ist etwas, was uns beschämt macht, was aber natürlich Russland noch viel mehr beschämen sollte.
Lassen Sie mich auf drei Problembereiche eingehen, in denen wir in den Beziehungen zu Russland große Schwierigkeiten haben. Erstens, wie schon erwähnt, die Menschenrechtsfrage, die Meinungsfreiheit. Was wir besonders bedauern, ist, dass Russland nicht erkennt, dass diese Missachtung, die in Russland gegenüber der Meinungsfreiheit und den Menschenrechten besteht, Russland selbst am meisten schadet. Sie schadet zwar vielleicht auch uns, weil sie die Beziehungen zu Russland beeinträchtigt. Aber Russland selbst ist am meisten davon betroffen, weil es in seiner positiven, demokratischen Entwicklung behindert ist.
Zweitens, die Nachbarschaftspolitik. Wir werden zwar heute nicht über Südossetien und über Transnistrien diskutieren. Aber auch hier gilt: Die Nachbarschaftspolitik, die Russland betreibt, ist für uns als Europäische Union inakzeptabel.
Es geht nicht an, dass Russland entscheidet, was das Schicksal der Südossetier oder der Menschen in Transnistrien ist. Das müssen die Menschen dort selbst entscheiden, sie müssen es frei entscheiden und nicht unter Druck, unter militärischem Druck, vielleicht sogar von Russland. Daher müssen wir hier ein ganz offenes Wort mit Russland reden.
Der letzte Punkt ist die Energiefrage: Ich geben allen Recht, die sich für eine gemeinsame Energiepolitik aussprechen. Der Kommissionspräsident hat das in klaren und deutlichen Worten gesagt. Aber hätten viele von denen, die heute applaudieren, auch vor einem Jahr applaudiert, wenn wir gesagt hätten, wir brauchen eine gemeinsame Energiepolitik? Und werden sie gemeinsam applaudieren, wenn es darum geht, dass auch sie ihre eigenen Präferenzen entsprechend neu orientieren sollen? Denn wenn wir eine gemeinsame Energiepolitik fordern, dann ist noch nicht gesagt, welche. Und wenn wir daran gehen, die Energieeffizienz zu steigern, alternative Energieformen zu entwickeln und im Verkehrsbereich, im Wohnungsbaubereich entsprechende Maßnahmen zu setzen, dann werden viele aufstehen und sagen: Nein, das haben wir nicht gemeint.
Aber zurück zu Russland: Das Problem das wir heute haben, ist, dass die energiepolitischen Beziehungen zwischen der EU und Russland ungleichgewichtig sind, dass Russland – mit Putin an der Spitze – aus der Energiepolitik leider immer mehr eine politische Machtfrage macht und nicht einen wirtschaftlichen Faktor wie bei uns. Und wenn wir mit Russland ins Geschäft kommen wollen, dann eindeutig nur, indem wir als gleichberechtigte Partner miteinander verhandeln.
Russland muss eines bedenken: Die Energiereserven, insbesondere die Gasreserven, sie gehen zu Ende. Nicht heute, aber in acht, zehn, vielleicht auch erst in zwölf Jahren. Und was macht Russland dann? Es wäre also auch im eigenen Interesse Russlands wahrzunehmen, dass es unsere Technologie, unser Know-how, unsere Finanzierung braucht, und daher gleichberechtigte energiepolitische Beziehungen mit Europa aufzubauen. Wenn wir uns, gerade was die Energiefrage betrifft, Auge in Auge gegenüberstehen können, dann werden wir auch zu guten Lösungen kommen. Ansonsten wird nicht nur die Europäische Union darunter leiden, sondern auch Russland. Daher sollte Russland erkennen, wo seine wahren, langfristigen Interessen liegen. Es kann aus dem Dialog mit uns, mit der Europäischen Union viel lernen.
Brüssel, 11.10.2006