Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates (28./29. Juni 2012) – Mehrjähriger Finanzrahmen und Eigenmittel (13. Juni 2012)
Herr Präsident! Ich würde mir wünschen, dass alle, die dem Kollegen Daul heute applaudiert haben, dann auch beim Twopack den Beweis liefern, dass das, was Kollege Daul gesagt hat, auch die Meinung z. B. der EVP ist und dass man wirklich jene Lösungen findet, um aus der Krise herauszukommen. Kollege Daul, am Nachmittag werden wir dann sehen, wie ernst der Applaus gemeint war. Aber unseren Applaus können Sie dafür haben!
(Beifall)
Herr Präsident der Kommission, Sie haben uns ein interinstitutionelles Abkommen angeboten. Meine Fraktion ist bereit dazu. Aber ein Abkommen hat nur Sinn, wenn es Substanz hat. Wenn es sich dadurch erschöpft, dass wir sagen „Ja, wir brauchen jetzt die Vollendung des Binnenmarkts und sparen, und das wird alles Wachstum bringen“, was ja bisher auch bei den Regierungen noch immer die Mehrheitsmeinung ist, dann macht ein solches Abkommen keinen Sinn. Das Abkommen macht auch nur Sinn, wenn wir bereits bei dem Gipfel, der vor uns steht, wirklich konkrete Maßnahmen treffen. Denn soll ich den vielen Millionen von jugendlichen Arbeitslosen sagen, „Ihr habt keinen Job, aber ihr bekommt ein interinstitutionelles Abkommen!“? Das wird sie nicht sehr begeistern.
Ich will das nicht lächerlich machen, was Sie gesagt haben, ich nehme das ernst. Ich will nur darauf aufmerksam machen, was wir wirklich brauchen. Wir brauchen rasche Entscheidungen, rasche Entscheidungen in den nächsten Tagen! Wir haben ein Verschuldungsproblem, die Schulden sind im Wachsen und nicht im Sinken begriffen, weil unsere Regierungschefs noch nicht begriffen haben, worum es geht, und nicht den Mut haben, das, was Sie vorgeschlagen haben und was wir vorgeschlagen haben, anzupacken, dass wir gemeinsam das Schuldenproblem lösen.
Plötzlich redet man von einer Bankenunion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnert Euch doch: Vor zwei Jahren haben wir das vorgeschlagen. Die Kommission war in dieser Richtung, und die Regierungsleute und die Finanzminister haben gesagt: „Nein, nein, nein, das ist viel zu viel!“, und „Diese europäische Überwachung der Banken muss reduziert werden. Wir brauchen viel mehr nationale Regelungen.“ Zwei Jahre Bedenkzeit brauchen die Regierungschefs! Die Regierungschefs brauchen heute zwei Jahre, um auf die richtigen Ideen zu kommen! Dasselbe betrifft auch andere Dinge, die Sie erwähnt haben, Herr Kommissionspräsident. Das ist die Situation heute.
Vor Kurzem haben wir eine große Konferenz mit Jugendlichen aus ganz Europa gehabt, nicht parteigebunden. Da waren sehr viele junge Menschen dabei, die haben etwas gemacht und nicht nur geschimpft, dass nichts geschieht. Sie haben ein kleines Unternehmen gegründet, sie haben Startups aufgebaut. Aber sie haben gesagt: „Und wo ist jetzt die Nachfrage, wo kann ich mein Produkt absetzen? Wer sorgt jetzt dafür, dass es Wachstum gibt? Wer investiert in die Infrastruktur?“
Daher sage ich: Ja, wir können über ein Abkommen reden, sehr ernsthaft. Aber jetzt müssen wir handeln. Ich kann wieder einmal nur den „Economist“ zitieren. Sie werden das sehen und kennen: Das Schiff ist in tiefem Wasser und die Frage besteht – der Frage kann ich mich nur anschließen:
Please can we start the engine now, Mrs Merkel?’ Yes, we have to start the engine now and not in one or two years, when it is too late.
Lassen Sie mich auch einige Worte zum Budget sagen. Das Budget ist ja ein Element der Wachstumsstrategie. Wenn jetzt viele sagen: Wachstum ja, aber Budget nein, oder wir reduzieren das Budget, wie unsinnig ist das! Denn gerade das Budget enthält in seinen vielen Elementen viel mehr als nationale Budgets, Aspekte einer Wachstumsstrategie.
Um jemanden zu zitieren, der kein Sozialist ist, sondern ein Parteikollege von Herrn Lewandowski, nämlich den Finanzminister von Polen, der in einem Gespräch zu mir gesagt hat: Da reden alle davon, dass wir jetzt mehr in Forschung und Entwicklung investieren müssen und nicht so viel in Infrastruktur und Kohäsionsfonds. Wir brauchen aber auch Mittel zum Wachstum. Wir brauchen doch auch Möglichkeiten, in all den Regionen, die nach wie vor wirtschaftlich sehr schlecht dastehen, zu investieren.
(Beifall)
Darum macht es keinen Sinn, einfach dieses Budget zu kürzen, sondern wir müssen es effizienter und sinnvoll gestalten. Aber wenn wir über mehr Wettbewerbsfähigkeit reden, wenn wir sagen, wir müssen etwas unternehmen, um uns auch global wettbewerbsfähig zu machen, dann dürfen wir das Budget nicht kürzen – das ohnedies ein geringes Budget ist, aber ein Element dieser Strategie, und auf dieses Element dürfen wir absolut nicht verzichten. Daher müssen wir gemeinsam diesen Weg gehen.
Ich begrüße es ausdrücklich – auch wenn Sie kritisiert worden sind, Herr Präsident Barroso –, dass Sie beim Gipfel der Kohäsionsländer in Bukarest waren. Die Erklärung hätte etwas stärker sein können, denn auf der einen Seite gibt es die, die nur kürzen wollen und die immer mehr kürzen wollen, und auf der anderen Seite Erklärungen. Aber es war eine gute Initiative, die gesetzt worden ist. Denn wir dürfen nicht nur auf die hören, die immer sagen, wir müssen die Mittel kürzen. Wir müssen auch auf die hören, die diese Mittel verwenden.
Überhaupt: Diese Unterscheidung Nettozahler und Nettoempfänger, als ob das eine die Guten, das andere die Armen sind, die Almosen empfangen. Die Nettoempfänger empfangen keine Almosen, sie bekommen einen guten Anteil dafür, dass sie ihre Wirtschaft steigern. Und wenn ich aus einem Nettozahlerland komme, aus Österreich, dann weiß ich genau, dass auch mein Land viel davon profitiert, dass in Ungarn, Rumänien, Polen und in vielen anderen Ländern auch die EU finanziert. Also hören wir auf mit dieser Trennung der guten Nettozahler und der schlechten Nettoempfänger.
(Beifall)
Zum Abschluss, Herr Präsident: Wir haben dem Rat gestern mit wenigen Ausnahmen in großer Einmütigkeit gesagt: So geht es nicht, wie bei Schengen entschieden worden ist. Ich hoffe, wir behalten diese Einmütigkeit in der Budgetfrage, dass wir dem Rat, aber vor allen denen, die nur blind kürzen wollen, klar sagen: So geht das nicht. Und wenn wir keine Einigung finden – ich bin dankbar für Ihre Worte, Herr Wammen –, dann gehen wir halt auf das Budget 2013 und schreiben es fort. Wir können damit leben. Ich hoffe, der Rat kann auch damit leben.
(Beifall)