AL-EU-AL

Mein Freund Fatmir Velaj, ein österreichischer Künstler mit albanischen Wurzeln und Gründer der Kulturinitiative „Forum Weltoffen“, und ich haben Fotos und Acrylbilder im Nationalmuseum von Tirana ausgestellt.
Den heutigen Sonntagmorgen verbringe ich in Vlora, im Süden von Albanien, auf der halben Strecke zwischen Tirana und der griechischen Grenze. Ich höre das Meer in der Bucht von Vlora rauschen und genieße den wunderbaren Blick aus meinem Zimmer in einem einfachen, aber äußerst idyllisch gelegenen Hotel.

„Durchwurschteln“ in der Visapolitik

Anlass meiner Reise nach Albanien war eine Einladung zu einem Referat beim jährlich stattfindenden „Crans Montana Forum“, bei dem diesmal die Visafrage und die Visapolitik der EU im Mittelpunkt standen. Ich habe versucht zu vermitteln, dass es sehr schwierig ist, von einer einheitlichen europäischen Visapolitik zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um ein „Durchwurschteln“, da die EU eine extrem widerspruchsvolle Visapolitik betreibt. Immerhin, in letzter Zeit gab es einige Verbesserungen. Vor allem für StudentInnen, Wirtschaftstreibende und Personen, die regelmäßig zu Zwecken des öffentlichen Interesses in die EU reisen, gibt es entsprechende Richtlinien. Außerdem wurde die Visagebühr, die am 1.6.2006 für die Länder Südosteuropas erhöht worden ist, wieder gesenkt.
Trotzdem: Es gibt noch immer viel zu viele Beschränkungen und Hürden für die betroffenen Länder. Zumindest mittelfristig sollten daher die bestehenden Stolpersteine zur Gänze aufgehoben werden. Die Gefahr einer massiven Fluchtwelle ist nicht gegeben. Vielmehr versuchen viele Menschen, eben weil sie nicht hin- und herreisen können, diese Region zu verlassen. Sie wollen sich nicht der teilweise beschämenden und erniedrigenden Prozedur aussetzen, sich stundenlang um Visa anstellen zu müssen, wenn sie einmal kurz in ein Land der EU fahren möchten. Für das Selbstverständnis dieser Region und für das Kennenlernen der EU, aber auch für den Austausch von Ideen und Gedanken ist die bis vor kurzem sehr beschränkte und jetzt etwas erleichterte Visapolitik der EU jedenfalls noch immer ein Hindernis.

Kooperationsausstellung im Nationalmuseum Tirana

Mein Freund Fatmir Velaj, ein österreichischer Künstler mit albanischen Wurzeln und Gründer der Kulturinitiative „Forum Weltoffen“ hatte die Gelegenheit wahrgenommen, mich anlässlich meines Aufenthaltes in Albanien einzuladen, mit ihm gemeinsam einen Teil meiner Fotos und Acrylbilder auszustellen. Ich bin bei solchen Anlässen immer eher zurückhaltend, weil ich mich nicht als Künstler verstehe, sondern als Hobbymaler bzw. als jemanden, der aus Passion malt und fotografiert. Trotzdem habe ich schließlich zugesagt, diese gemeinsame Ausstellung mit dem Titel „Albanische Gefühle – Europäische Impressionen „, die als Auftaktsveranstaltung seiner neuen Plattform „AL-EU-AL“ zur Vertiefung der Beziehungen zwischen Albanien und EU im Nationalmuseum von Tirana stattfand, durchzuführen.
Fatmir Velaj hat nicht nur seine eigenen Werke präsentiert, sondern die Ausstellung auch hervorragend kuratiert und gestaltet. Unsere gemalten Bilder wurden in abwechselnder Reihenfolge gehängt, zum Teil thematisch orientiert. Es wurden auch unsere Fotografien gezeigt. Meine Schwarz-Weiß-Fotos fokussierten eher auf die Schattenseiten, Konflikte und Armut in dieser Welt. Die Farbfotos von Fatmir Velaj hingegen zeigten Perspektiven von Wien und spiegelten ein zufriedenes und beschauliches Leben wieder, gewissermaßen das Potential einer friedlichen Welt. Mich persönlich hat diese Art der Gestaltung unserer Ausstellung sehr beeindruckt.

Eröffnung durch den Staatspräsident

Fatmir Velaj und ich haben uns außerdem sehr gefreut, dass der albanische Staatspräsident Alfred Moisiu unsere Ausstellung eröffnet hat. Als ich mich bei ihm dafür bedankt habe, meinte er, das sei für ihn selbstverständlich. Seine Eröffnungsrede sei auch eine Anerkennung meiner Tätigkeit im Interesse des Landes und er wisse, dass ich ein Freund Albaniens bin, was er durch seine Präsenz und eine kurze Rede anerkennen wollte. Auch der ehemalige Ministerpräsident Ilir Meta, heute Vorsitzender einer kleineren sozialdemokratischen Partei und andere Politiker wie Neritan Ceka, Pellumb Xhufi, Musa Ulqini oder der Vizekulturminister Neritan Alibali sowie Verwandte und Bekannte von Fatmir Velaj waren bei der Ausstellungseröffnung dabei.
Einer davon ist Pandi Madhi, der Sohn des bekannten albanischen Malers Guri Madhi, der kurz vor dem Zusammenbruch des Kommunismus gestorben ist. Er hat vor allem in seinen früheren Perioden sehr heroische Darstellungen der albanischen Geschichte und Gegenwart gemalt. Sein Sohn lud mich in Madhis Atelier ein, das im obersten Stockwerk eines sozialen Wohnbaugebäudes liegt. Es erstreckt sich über zwei Geschosse und ist eine Art Erinnerungsraum von Guri Madhi. Dort sind die verschiedenen Epochen nachzuvollziehen, der Übergang vom sozialistischen Realismus zu freieren Art des Malens, die Guri Madhi zweifellos mehr entsprochen hat als die Vorgaben, die ihm oft gemacht wurden.

Gemalte Geschichte des Kommunismus

Besonders angesprochen hat mich ein Bild, das die Auseinandersetzung zwischen der Kommunistischen Partei Albaniens und den übrigen kommunistischen Führern im Jahr 1961 zeigt. Auf der einen Seite ein überlebensgroßer, mächtiger Enver Hoxha, der eine Rede hält sowie die Funktionäre der kommunistischen Partei Chinas, die sich damals ebenfalls von Moskau distanziert haben. Und auf der anderen Seite Chrustschow, Breschnew, Ulbricht und die kommunistische Führung, die sich mit Grauen abwenden und von den rednerischen Donner- und Blitzschlägen eines Hodschas geschlagen werden.
Als sich schließlich die Chinesen mit den Russen versöhnt haben bzw. Enver Hoxha mit den Chinesen gebrochen hat, musste der Künstler die chinesischen Vertreter retuschieren. Und als Hodscha sich mit seinem Stellvertreter überworfen hat, lautete der Auftrag, auch den Stellvertreter zu retuschieren. Das verweigerte der Künstler allerdings, und so wurde das Bild in der Öffentlichkeit nicht mehr gezeigt. Er musste auch Bilder, auf denen nackte Frauen zu sehen waren, retuschieren, also mit Kleidung übermalen. Eine wirklich groteske Situation. Gegen Ende seines Lebens befreite sich Guri Madhi immer mehr von diesen strengen Regeln. Auch wenn er seine Bilder nicht mehr ausstellen konnte, war es für ihn dennoch eine Befriedigung, trotzdem seiner künstlerischen Tätigkeit nachzugehen.

Innerparteiliche Demokratie

Am nächsten Morgen besuchte mich der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei und Bürgermeister von Tirana, Edi Rama. Er entschuldigte sich, dass er nicht zur Ausstellungseröffnung gekommen war, er hatte nicht gewusst, dass ich persönlich anwesend war. Nach einem kurzen Gespräch gingen wir gemeinsam in ein Wahllokal der Sozialdemokraten. An diesem Samstag haben in ganz Albanien Urwahlen stattgefunden, bei denen die Vorsitzenden der einzelnen Lokalorganisationen, die Delegierten zum Parteitag und der Vorsitzende der Partei gewählt worden sind. Das Wahllokal war brechend voll, und es waren viele Journalisten anwesend, weil bekannt war, dass Edi Rama dort wählen wird.
Dieser Wahlgang ist ein interessantes Beispiel von direkter Demokratie auf Parteiebene. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob er zu populistischen Auseinandersetzungen in der Partei führt oder zu einer Weiterentwicklung der Demokratie. Ich habe jedenfalls Respekt vor der Entscheidung der albanischen Partei, das so zu handhaben. Es wird die Partei insgesamt ohne jeden Zweifel mobilisieren.

Keine Rede vom Armenhaus

Gegen Mittag brach ich schließlich gemeinsam mit Fatmir Velaj in den Süden des Landes, in seine Geburtstadt Vlora auf. Vlora liegt am Meer und ist eine sehr schöne Stadt, die sich prächtig entwickelt hat – nicht zuletzt in touristischer Hinsicht. Man findet kleine und mittlere Hotels am Meer sowie Restaurants. Anders, als man sich das arme Albanien vorstellt, wenn auch noch eher bescheiden. Auch in Durres, das auf dem Weg von Tirana nach Vlora liegt, findet ein regelrechter Bauboom statt. Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass dahinter ein bestimmter Plan oder eine besondere Ordnung steht. Trotzdem, das heutige Albanien ist ein anderes als vor 10 oder 15 Jahren, das ich auch selbst gesehen habe.
Am Abend organisierte Fatmir eine Diskussion mit der Titel „Europa – so fern so nah“, die an der Universität von Vlora stattfand. An ihr nahmen auch der ehemalige Ministerpräsident und jetzige Vorsitzende nicht nur der kleinen Sozialdemokratischen Partei, sondern auch des Integrationsausschusses des albanischen Parlaments, Ilir Meta sowie der Generalkonsul Italiens, Herr Tomassoni und der Rektor der Universität von Vlora, Bilal Shkurti sowie Fatmir selbst und ein bekannter Journalist, Henri Cili, teil. Wir diskutierten gemeinsam über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten Albaniens, der EU beizutreten. Es war eine lebendige Debatte, an der sich auch das Publikum beteiligte. Im Mittelpunkt stand die Frage, warum Albanien nicht bereits Mitglied der EU ist. Andere Länder hätten ebenfalls Probleme wie Korruption und seien Mitglieder in der EU.

Der Beitritt ist möglich

Derartige Fragen sind natürlich nicht immer leicht zu beantworten. Gerade die aktuellen Entwicklungen in Bulgarien und Rumänien bereiten uns große Sorgen. Die Einen ziehen sie als Argument dafür heran, dass dann auch Albanien beitreten kann, die Anderen in der EU plädieren gerade deshalb dafür, die Entwicklung langsam voranzutreiben. Korruption gibt es aber nicht nur in Albanien, Bulgarien und Rumänien, sondern auch in älteren Mitgliedsstaaten. Es ist immer schwierig, die Balance zwischen der Forderung, alle Bedingungen zu erfüllen und der Überlegung, den Ländern eine Chance zu geben, sich innerhalb der EU zu entwickeln, zu halten.
Allzu schnell wird es trotzdem nicht gehen. Theoretisch könnte Albanien aus meiner Sicht 2014 oder 2015 Mitglied sein. Ob das so sein wird oder ob es ein paar Jahre länger dauert, kann derzeit nicht gesagt werden – das hängt von der Entwicklung in Albanien wie auch der EU ab. Dennoch: Die Politik in Albanien ist in jedem Fall aufgerufen, die notwendigen Voraussetzungen für die Integration des Landes zu schaffen. Ich denke beispielsweise an den Infrastrukturbereich. Die Fahrt von Tirana nach Vlora kann nur teilweise auf akzeptablen Strassen bewerkstelligt werden. Andererseits war ich bei meiner Ankunft in Tirana überrascht, dass ein neuer und moderner Flughafen gebaut worden ist und die Verkehrsverbindung von dort aus heute viel besser funktioniert als das früher der Fall war.

Ein schönes Land

Auch in Vlora wurde eine Ausstellung mit Bildern von Fatmir Velaj und mir gezeigt, gewissermaßen als Ergänzung und Dependance zur großen Ausstellung in Tirana. Insgesamt war es für mich eine Gelegenheit, das Land besser kennenzulernen und nicht immer nur in den Hauptstadt zu verweilen. Und viele Gespräche mit Professoren, Bürgermeistern und anderen zu führen. Mein Eindruck von Albanien hat sich vervielfältigt und vertieft. Es war eine äußerst angenehme Reise in ein Land, das ich schon öfters besucht habe und in dem mir immer ganz besonders herzlich für mein Interesse und meine Unterstützung gedankt wird.

Vlora, 13.5.2007