Albanischer Herbst

Wir können europäisches Steuergeld nicht dazu verwenden, um übertriebene albanische Entschädigungsleistungen zu finanzieren.
Die Entwicklung in Süd-Osteuropa bzw. auf dem Balkan steht immer wieder im Mittelpunkt meiner Tätigkeit als Abgeordneter im Europäischen Parlament – bei öffentlichen Veranstaltungen, bei Treffen mit PolitkerInnen aus der Region, bei Interviews, etc.

Regierungstreffen

Vergangene Woche besuchte ich Donnerstag und Freitag mit der Süd-Osteuropadelegation des EU-Parlaments wieder einmal Albanien. Der neue Ministerpräsident Berisha war gerade nicht im Land. So trafen wir einige Mitglieder seines Kabinetts aus dem Innen- und Justizbereich sowie Bildungsminister Genc Pollo. Dieser war vor Jahren aus Berishas Partei ausgetreten, koaliert aber jetzt mit ihm. Auch mit dem albanischen Außenminister führten wir ein Gespräch. Ihn kenne ich ebenso wie Pollo gut durch meine parlamentarische Tätigkeit.
Die konservative Partei von Berisha – die Demokratische Partei – hat die Wahlen im Sommer dieses Jahres gewonnen und bildet mit Koalitionsparteien eine Regierung, die sich auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen kann. Hauptziel der Regierung ist der Kampf gegen Korruption. Dabei wünschen wir alle dieser Regierung viel Erfolg. Allerdings haben viele, auch unabhängige, Vertreter den Eindruck, dass dieser Kampf vor allem gegen Mitglieder der früheren Regierung und jetzigen Opposition geführt wird. Auch einige Botschafter der europäischen Mitgliedsstaaten äußerten diese Befürchtung.

Edi Rama, SP-Vorsitzender

Diese Meinung vertrat naturgemäß insbesondere auch der neue Parteivorsitzende der Sozialisten und Bürgermeister von Tirana, Edi Rama. Ich besuchte ihn am späten Donnerstagnachmittag, um über die neuen Entwicklungen bei den Sozialisten nach dem Abgang von Fatos Nano informiert zu werden.
Edi Rama gab die Hauptschuld an der Wahlniederlage seiner eigenen Partei und den durch sie verursachten Fehlern. Dabei hat er einen schwierigen Stand. Nachdem er als einziger unabhängiger Kandidat für das Bürgermeisteramt angetreten war, ist er erst vor kurzer Zeit der Partei beigetreten. Schwer macht es ihm zudem auch sein Vorgänger, der aller Wahrscheinlichkeit nach versucht, den Vorsitz der Partei zurückzuerobern. So scheint mir die Partei tief gespalten zu sein. Ein Umstand, den Berisha und seine Regierung weidlich ausnützen werden. Soweit es in unserer Macht als europäische Sozialdemokraten steht, werden wir jedenfalls die Reformkräfte um Edi Rama unterstützen.

Schleppende Reformen

Mit der Parlamentspräsidentin und den Abgeordneten, die unsere PartnerInnen im gemischten parlamentarischen Ausschuss sind, besprachen wir verschiedene aktuelle Fragen – von der Reform des Wahlgesetzes bis zur Neuregelung der Entschädigung verstaatlichten Eigentums. Das Wahlgesetz ist leider noch immer nicht gerecht und transparent und wie die früheren Regelungen Anlass zum Streit.
Bei der Entschädigungsfrage wiederum dürfte die Regierung Vorschläge unterbreitet haben, die die finanziellen Möglichkeiten des Landes weit übertreffen. Der Hoffnung der engagierten und attraktiven Parlamentspräsidentin, die EU könnte den Entschädigungsfonds finanziell unterstützen, entgegnete ich meine Überzeugung, dass wir europäisches Steuergeld nicht dazu verwenden können, um übertriebene albanische Entschädigungsleistungen zu finanzieren.

Brüssel, 27.11.2005