Alles ist offen

Ob sich die notwendigen Reformen in Kroatien so schnell bewerkstelligen lassen, dass Ende 2008 oder jedenfalls Anfang 2009 der Beitrittsvertrag abgeschlossen werden kann, muss aus heutiger Sicht bezweifelt werden.
Nach den Abstimmungen im EU-Parlament flog ich gestern Abend über Frankfurt nach Zagreb. Unmittelbar nach der Ankunft luden die Chefs der Privatuniversität VERN mich und Wolfgang Petritsch zu einem herrlichen Fischessen ein. Die Universität hatte mich gebeten, heute Vormittag vor den StudentInnen über Kroatiens Weg in die EU zu referieren.

Es geht um die Zukunft der Region

Schon beim Abendessen entspann sich eine zum Teil heftige Diskussion über die Zukunft der Region insgesamt. Selbstverständlich stand dabei die Kosovofrage im Mittelpunkt. In den vergangenen Tagen hat sich ja abgezeichnet, dass die EU einen langsamen, aber sicheren Anerkennungsprozess in Gang setzen wird. Viele befürchten, einen weiteren Zerfallsprozess – in Bosnien Herzegowina, in Mazedonien und in anderen Ländern. Das ist nicht auszuschließen, aber ich glaube trotzdem, dass bei einer klaren Haltung der EU entscheidende Schritte zur Separation verhindert werden können.
Was die innenpolitische Situation betrifft, so waren am Tisch Anhänger von Sanader, also der HDZ als auch der SDP unter meinem Freund Zoran Milanovic anwesend. In allen Fällen muss jedenfalls der nationale Konsens in Fragen des EU-Beitritts gewahrt werden, welche Regierung auch in den nächsten Tagen gebildet werden wird. Ich gehe davon aus, dass die konservative HDZ, die mehr Stimmen bekommen hat, nicht zuletzt auf Grund der Auslandskroaten insbesondere aus der Herzegowina, von President Mesic den Regierungsauftrag bekommen wird. Allerdings hat sich heute Nachmittag bei unserem informellen Besuch bei Zoran Milanovic im SDP-Hauptquartier herausgestellt, dass Zoran noch immer auf eine Koalitionsbildung der SDP mit einigen kleineren Parteien, insbesondere der Minderheiten, hofft. Er möchte den Wahlsieg im Sinne einer starken Zunahme an Stimmen und Mandaten für die Sozialdemokratie voll ausnützen. Aber er ist noch jung und kann auf die nächste Wahl vertrauen. Er sollte sich jedenfalls den vergangenen Wahlsieg nicht vermiesen lassen.

Noch viel zu tun

Zu meinem Vortrag an der Universität sind trotz vorweihnachtlicher Zeit 60-70 StudentInnen gekommen. Auch einige JournalistInnen und das kroatische Fernsehen waren vertreten. In der Diskussion ging es zunächst um die nächsten Schritte nach der Regierungsbildung. Einerseits müssen die notwendigen Schritte gesetzt werden, um die Grenzkonflikte zu regeln – insbesondere jene mit Slowenien und hinsichtlich der Fischereizone auch mit Italien. Aber kleinere Konflikte gibt es auch mit den übrigen Nachbarn. Es muss nicht alles vor dem Beitritt gelöst werden, aber die notwendigen Lösungsverfahren müssen in Gang gesetzt werden.
Andererseits stehen wichtige innenpolitische Reformen an: Der Kampf gegen die Korruption, die Justizreform und die Verwaltungsreform sowie einige wirtschaftliche Maßnahmen, insbesondere die Reform der Schiffbauindustrie. Ob sich diese Reformen so schnell bewerkstelligen lassen, dass Ende 2008 oder jedenfalls Anfang 2009 der Beitrittsvertrag abgeschlossen werden kann, muss aus heutiger Sicht bezweifelt werden. Aber erst dann kann die Zustimmung des EU-Parlaments erfolgen und im Anschluss der Reigen der Ratifizierung in allen Mitgliedsstaaten. Kroatien muss sich also schon sehr anstrengen, um am 1.1.2011 Vollmitglied der EU zu sein.

Buchpräsentation

Mittags stellten dann Christoph Solioz und ich das von uns herausgegebene Buch „Conflict and Renewal: Europe Transformed. Essays in Honour of Wolfgang Petritsch (Hannes Swoboda & Christophe Solioz (Hrsg.), Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2007, 407 Seiten) zu Ehren von Wolfgang Petritsch vor. Auch diese Präsentation war ein voller Erfolg und ein Beleg des österreichischen Engagements in der Region Südosteuropa – noch dazu aus sozialdemokratischer Sicht.

Zagreb, 14.12.2007