Am Vorabend der Entscheidungen

Die Zusammenarbeit mit anderen Sozialdemokratischen Parteien am Balkan ist für die Vorbereitung der stufenweisen Integration dieser Region in die Europäische Union ein wesentliches Element.
Heute ging es frühmorgens nach Zagreb. Mein Kollege Jan Marinus Wiersma und der Fraktionsmitarbeiter Robert van de Water haben im Flughafenhotel in Wien-Schwechat übernachtet. Und ich war ebenfalls gestern Abend nach Wien gekommen, um im Club Jedinstvo mit einigen Vertretern Serbiens und einem vorwiegend jungen Publikum über Serbiens Weg in die Europäische Union zu diskutieren.

Zwischenstopp Wien

Nicht alle haben bei dieser Veranstaltung meinen Hinweis auf die notwendige Zusammenarbeit mit dem Haager Gerichtshof, also dem Kriegsverbrechertribunal, gut geheißen. Und ein Diskussionsteilnehmer hat immer wieder auf den Stolz der Serben verwiesen, der nicht verletzt werden dürfe. Insgesamt war es aber aus meiner Sicht eine gute und spannende Diskussion.
Heute ging es weiter nach Zagreb. Wir wurden am Flughafen abgeholt. Dort ergab sich zunächst eine Kompetenzfrage zwischen dem persönlichen Mitarbeiter von Sanader und dem von der Sozialdemokratischen Partei geschickten Kollegen. Wir lösten das Problem, indem wir uns aufteilten, und ich fuhr mit Sanaders Mitarbeiter in die Stadt.

Bei Ivo Sanader

Der erste Termin fand beim kroatischen Ministerpräsidenten Ivo Sanader statt. Wir waren sehr überrascht, dass Sanader zu diesem Treffen sogar seine Außenministerin und den Chefverhandler mit der EU eingeladen hatte. Dadurch wollte er offenbar die Bedeutung des Gespräches, das er mit uns geführt hat, demonstrieren. Im Anschluss gaben Sanader und ich Erklärungen vor der Presse ab, die zweifellos von dem Optimismus getragen waren, dass es am darauf folgenden Montag zum Beginn der Verhandlungen kommen sollte.
Allerdings galt es zuvor noch eine Hürde zu überwinden. Denn genau an diesem Freitag war auch Carla Del Ponte, die Chefanklägerin von Den Haag, in Zagreb. Sie führte letzte Gespräche und wollte offensichtlich herausfinden, ob sich eine volle Zusammenarbeit mit Den Haag, denn das war ja die Vorraussetzung, feststellen ließe.

Bei Ivica Racan

Nach dem Gespräch mit Sanader ging es in die Zentrale der Sozialdemokratischen Partei, wo der frühere Premierminister und jetzige Parteiführer Ivica Racan uns empfing. Auch der frühere Außenminister Tonino Picula und andere führende Parteivertreter, die ich seit langer Zeit sehr gut kenne, waren anwesend.
Im Anschluss an dieses äußerst angenehme Gespräch stellten sich Racan und ich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz den Fragen zahlreicher Journalisten aus den Printmedien sowie vom Fernsehen und dem Radio. Schon am Abend konnte ich mich davon überzeugen, dass unser Besuch sowohl im Fernsehen als auch in den Zeitungen einen durchwegs positiven Niederschlag gefunden hatte. Von Straßburg aus hatte ich einige Tage zuvor außerdem einer bekannten kroatischen Wochenzeitung ein fast einstündiges Interview gegeben, das in der Samstag-Ausgabe erscheinen sollte.

Bei Stipe Mesic

Nach einem ausgezeichneten Mittagessen in einem typischen kroatischen Fischrestaurant und einer kurzen Pause besuchten wir am Nachmittag Staatspräsident Stipe Mesic. Mesic war der letzte Ministerpräsident des alten Jugoslawien. Sein Rücktritt hat mit dazu beigetragen, dass Jugoslawien zerbrochen ist. Der Staat in seiner alten Form wäre nicht zu halten gewesen, wenngleich ein friedliches und stufenweises Auflösen möglich gewesen wäre. Aber im Nachhinein ist man bekanntlich immer klüger und weiß die besseren Lösungen zu definieren.
Mesic war einige Stunden vor unserem Treffen gemeinsam mit Ministerpräsident Sanader mit Carla Del Ponte zusammengetroffen. Seine Eindrücke waren gedämpft positiv. Es müsse möglich sein, meinte Mesic, dass Carla Del Ponte zu einer positiven Beurteilung kommt. Sie hätte allerdings im Gespräch selbst und gegenüber der Presse nur einige schwer zu interpretierende Hinweise gegeben.

Stolperstein Del Ponte?

Einerseits meinte Del Ponte vor der Presse, sie sei ziemlich enttäuscht, dass der seit langer Zeit gesuchte General Gotovina noch immer nicht vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, wo er angeklagt ist, erschienen ist. Andererseits hatte sie schon mehrmals bei Stipe Mesic und Ministerpräsident Sanader nachgefragt, ob diese denn bereit seien, bei einer eventuellen Eröffnung der Verhandlungen in den nächsten Tagen auch weiterhin mit dem Kriegsverbrechertribunal vollständig zusammenzuarbeiten. Das war ein gewisser Hinweis darauf, dass sie diese Eröffnung zumindest in Erwägung gezogen hatte.

Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten der Region

Schließlich begaben wir uns wieder auf das sichere Terrain eines Arbeitsgespräches mit Vertretern der Sozialdemokratischen Partei, bei dem wir die weitere Zusammenarbeit unsererseits mit der Partei diskutiert haben. Diese Zusammenarbeit ist nicht nur in Hinblick auf Kroatien selbst wichtig, sondern könnte auch eine große Ausstrahlung auf die gesamte Region haben.
Die Zusammenarbeit mit anderen Sozialdemokratischen Parteien in der Region ist für die Vorbereitung der stufenweisen Integration dieser Region in die Europäische Union ein wesentliches Element. Am 17./18. Oktober soll in Laibach seitens unseres Vorstandes eine Diskussion mit den sozialdemokratischen Vertretern dieser Region stattfinden. Eine Tagung, die Jan Marius Wiersma und ich durch ein dort zu diskutierendes Dokument vorbereitet haben.

Zagreb, 30.9.2005