Am Vorabend eines schrecklichen Jahrestages

Der 1. September 1939 ist nicht nur der – unmittelbare – Beginn des Zweiten Weltkrieges, sondern indirekt auch die Geburtsstunde der sowjetischen Expansion, aber zuletzt auch des neuen Europas.
Es ist ein herrlicher Spätsommerabend, und ich sitze auf der Terrasse „meiner“ Wohnung in Brüssel.

Der Ort des Geschehens

Es müsste ein unbeschwerter Abend sein. Aber es ist der Vorabend des 70. Jahrestags des Beginns des Zweiten Weltkrieges. Und da gehen meine Gedanken nach Danzig/Gdansk, also an den Ort des Geschehens. Nicht zufällig begann hier der Angriff der Deutschen, waren doch die starke deutschsprache Bevölkerungsgruppe und die wechselhafte Geschichte der Stadt der Vorwand für die deutsche Aggression. Der 1. September 1939 ist aber nicht nur der – unmittelbare – Beginn des Zweiten Weltkrieges, sondern indirekt auch die Geburtsstunde der sowjetischen Expansion, aber zuletzt auch des neuen Europas.

Fruchtbarer Boden

Viele Theorien werden dieser Tage gewälzt, wer alles Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatte – neben Nazideutschland: der Westen mit seiner Appeasementpolitik, Russland auf Grund der Bereitschaft zum Molotow-Ribbentrop-Pakt, ja sogar Polen auf Grund seines Widerstands gegen einen Kompromiss über Danzig. Eindeutig schuld waren jedenfalls der übersteigerte Nationalismus, die klassische Macht- und Herrschaftspolitik und eine Wirtschaftspolitik, die weit entfernt von einer Sozialen Marktwirtschaft war. All dies gab für rassistische Vorurteile und insbesondere für einen aggressiven Antisemitismus einen fruchtbaren Boden ab.

Nationalismus nicht mit Patrotismus verwechseln

Erst als man begann, sich ein anderes, ein gemeinsames Europa vorzustellen, konnten Nationalsozialismus, Faschismus und später dann auch Kommunismus als dominierende politische Ideologien und Herrschaftssysteme überwunden werden. Aber die Auseinandersetzung mit diesen Ideologien darf niemals unter- oder gar abgebrochen werden. Denn der Nationalismus gibt diesen Kräften immer wieder neue Nahrung. Es geht also nicht um das Zurückdrängen oder gar „Verbieten“ patriotischer Einstellungen. Da verwechselt die Rechte bewusst Nationalismus mit Patrotismus. Die österreichischen Patrioten haben durch die deutsche Annexion, die allerdings auch aus Österreich heraus betrieben wurde, ihre Heimat verloren. Und die Polen haben durch den deutschen Angriff – wieder einmal – ihre Heimat verloren, das Land wurde brutal zerstört und viele Menschen getötet.

Solidarität mit Polen

Darum gilt Polen dieser Tage unsere besondere Solidarität – in der Hoffnung, dass dieses Land in der Mitte Europas sich in Zukunft stärker für das neue Europa engagiert. Und auch in der Hoffnung, dass Russland sich nicht nur – mit vollem Recht – als wichtiger Teil der antifaschistischen Allianz sieht, und das mit ungeuren Opfern, sondern auch als Besatzungsmacht nach dem Krieg. Diese Ambivalenz muss auch die heutige russische Führung anerkennen. Und für den blutrünstigen Diktator Stalin kann es keine Anerkennung und keine Entschuldigung geben. Russlands grandiose Leistung während des Zweiten Weltkrieges ist trotz Stalin anzuerkennen.

Brüssel, 31.8.2009