Auf dem richtigen Weg

Die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei haben, mehr als bei den bisherigen Beitrittskandidaten, einen offenen Ausgang.
Noch vor den Abstimmungen über die Parlamentsempfehlungen hinsichtlich der Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei wollte die Fraktionsspitze der SPE sich in der Türkei ein eigenes Bild machen. Auf Grund vieler anderer Verpflichtungen standen dafür nur zwei knappe Tage zur Verfügung, die wir auf Ankara und Istanbul aufteilten.

Ehrliche Bemühungen

In Ankara trafen wir Ministerpräsident Erdogan, Innenminister Yücelen, den Chef der Opposition Denis Baykal sowie den Europaausschuss des Parlaments. Auffallend war eine ziemlich klare, aber zumeist auch pragmatische Linie aller Politiker was die kommende Entscheidung des Staats- und Regierungschefs am 17. Dezember betrifft. Natürlich erwartet man eine positive Entscheidung und diese möglichst klar und ohne allzu große Einschränkungen.
Auffallend waren aber auch – vor allem im Gespräch mit dem Innenminister – die Bemühungen, gemeinsam mit der EU die schon beschlossenen Gesetze auf dem Gebiet der Menschen- und Minderheitsrechte umzusetzen. Insbesondere das Bemühen, die Folter – im Bereich der Polizei – durch Aufklärung, Schulung und Maßnahmen der Kontrolle zurückzudrängen. Vieles bleibt noch zu tun, das gaben auch die türkischen Vertreter zu, aber in enger Kooperation mit der EU könnte dies in den nächsten Jahren erfolgreich geschehen.

Zivilgesellschaft positiv gesinnt

Die Gespräche mit den Vertretern der „Zivilgesellschaft“ bestätigten im wesentlichen dieses Bild, allerdings doch mit mehr Kritik und nuancierter. So berichteten sie uns, dass die Sendungen in kurdischer Sprache ausschließlich im staatlichen Rundfunk und Fernsehen übertragen werden und auch dies nur zwischen einer halben und ganzen Stunde pro Woche.
Die Vertreter der Aleviten wiederum meinten, dass es ihnen besonders schlecht gehe, da die gemäßigte islamische Regierung stark am offiziellen Sunnismus orientiert ist und kein Verständnis für die „Sekte“ der Aleviten aufbringt. Dennoch, auch die kritischen Vertreter der Nichtregierungsorganisationen warben für die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei.
Und was die in Europa immer wieder aufgeworfene Frage nach der Dauerhaftigkeit der Trennung von Staat und Religion in der Türkei betrifft, meinte mir gegenüber ein Vertreter der regierenden islamischen AK-Partei, dass diese Trennung auch schon im osmanischen Reich weit gediehen war und den Nicht-Islamen vielfach Religionsfreiheit garantiert wurde. Durch Atatürk ist dies in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts fest in der Gesellschaftsordnung der Türkei verankert wurde.

Bestätigung

Die Gespräche in Ankara und Istanbul haben mich in meiner positiven Haltung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen bestätigt. Nach all den vielen Versprechungen, die wir der Türkei in der Vergangenheit gegeben haben, sollten wir in Verhandlungsgesprächen ausloten, ob ein Beitritt möglich ist.
Dazu müssen sich sowohl die Türkei als auch Europa vorbereiten – parallel zu den Verhandlungen. Erst nach etlichen Jahren wird man dann auf beiden Seiten zu einem endgültigen Urteil kommen. Die Verhandlungen mit der Türkei haben also, mehr als bei den bisherigen Beitrittskandidaten, einen offenen Ausgang.
Istanbul, 25.11.2004