Auf dem Weg nach Brüssel

Wir müssen nach vorne blicken. Zu viel ist zu tun, um das Projekt Europa neu zu gestalten.
Nach Wochen der Österreichpräsenz geht es wieder nach Brüssel. Die ersten Vorbesprechungen der Delegationsleiter und des – alten – Vorstands sollen die Weichen für unsere Arbeit in den nächsten Jahren stellen.

Trauerarbeit

Bei den meisten Delgationen gibt es sicher noch Trauerarbeit auf Grund der Wahlverluste zu leisten. Aber wir müssen nach vorne blicken, zu viel ist zu tun, um das Projekt Europa neu zu gestalten. Und das in einer Atmosphäre der Angst und des Versuchs, Europa abzuschotten.
So sehr ich diese Versuche ablehne und für unfruchtbar halte, so sehr müssen wir uns den dahinter liegenden Ängsten stellen. Die Lösungen der inneren Probleme in den einzelnen Mitgliedstaaten und in der EU als solches müssen Vorrang haben bzw. müssen jedenfalls parallel zur Neugestaltung der EU und der Beziehungen zu unseren Nachbarn erfolgen. Dazu zähle ich die hohe Migration und die Ansuchen um Asyl in einigen Ländern wie Österreich genauso wie die gestiegene Kriminalitätsrate. Auch die offenen Integrationsprobleme mit den bereits zugewanderten Menschen, insbesondere aus der Türkei, müssen verstärkt beachtet werden.

Themen nicht den Populisten überlassen

Diese Themen dürfen weder den Rechten noch den Populisten für ihre politischen Zwecke überlassen werden. Für Österreich heisst das, dass weder die FPÖ noch Hans Peter Martin bzw. die Kronen Zeitung hier ein offenes Feld für ihre Kampagnen haben sollten. Für die ÖVP und noch mehr für die Grünen sind diese Themen nicht so ausschlaggebend und letztendlich nicht so den Kern ihrer Wählerschicht treffend wie für die SPÖ. Das war gerade bei den Wahlen fürs EU-Parlament ablesbar.
Daher waren und sind die Vorschläge zur Aufstockung der Polizei und zu verstärkten und gemeinsamen Grenzkontrollen an den Schengenaussengrenzen richtig. Was die Asylgesetzgebung der EU betrifft, so müssen die Regelungen der die einzelnen Mitgliedstaaten übergreifenden Probleme Vorrang haben. Dazu zählt z. B. die bessere Verteilung der Asylbewerber auf die einzelnen Mitgliedstaaten und die Einhaltung gemeinsamer Standards bei der Anerkennung des Asyls. Beim Recht auf Arbeit für Asylbewerber sollten die Mitgliedstaaten auf die jeweilige Arbeitsmarktlage Rücksicht nehmen können.

Dritter Weg mit der Türkei

Was die Frage eines Beitritts der Türkei zur EU betrifft, habe ich schon lange vor dem Wahlkampf Stellung bezogen. Die Reformen in der Türkei gehen sehr langsam vor sich und dasselbe gilt auch für die EU selbst. Es ist nicht abzusehen, wann wir zu einer wirklichen Annäherung kommen, jedenfalls geht der Prozess viel langsamer vor sich als viele erwartet bzw. erhofft haben. Eine Aufnahme der Türkei mit den jetzigen oder nur geringfügig verschobenen politischen Verhältnissen würde überdies die Mehrheitsverhältnisse im Rat und vor allem im Parlament drastisch verschieben. In absehbarer Zeit sind weder die islamisch orientierten Parteien, vor allem die regierende AKP, noch die laizistische, aber sehr nationalistische Opposition Verbündete für eine moderne und aufgeklärte Gestaltung Europas.
Mit den derzeit vorherrschenden Parteien und traditionellen Einstellungen der türkischen Bevölkerung würde der Beitritt der Türkei eine Verstärkung der konservativen Tendenzen in Europa bewirken. Das mag sich ändern, aber das ist zurzeit nicht absehbar und daher muss aus dem bisher nicht erfolgreichen Verhandlungs- und Reformprozess die Konsequenz gezogen werden. In diesem Sinne sollten wir auf etwas anderes zusteuern: ein dritter Weg in unseren Beziehungen sollte unsere gemeinsamen Interessen definieren und daraus sollte ein tragfähiges strategisches Bündnis zwischen der EU und der Türkei und in weiterer Folge mit der Ukraine etc. gestaltet werden.

Ängste ernstnehmen

In der Zwischenzeit könnten die Integrationsprobleme in der EU, aber vor allem auch in den Mitgliedssaaten gelöst werden. Für Österreich heisst das vor allem, dass aktiv an der Integration der türkischstämmigen Bevölkerung gearbeitet werden muss. Es liegt geradezu im Interesse dieser Bevölkerungsgruppe, dass das Thema des Türkeibeitritts aufs Eis gelegt wird. Denn mit dem möglichen Türkeibeitritt wird von der Rechten soviel Schindluder getrieben und Hass verbreitet, dass nicht vernünftig über die offenen Integrationsprobleme gesprochen werden kann. In der Folge kann dann auch keine breite und erfolgreiche Integrationsstrategie durchgeführt werden. Wir brauchen aber den guten Willen beider Seiten und viele gute Beispiele einer erfolgreichen Integrationsarbeit.
Bei all dem bleibe ich ein begeisterter Europäer, aber ebenso bleibe ich bei der Überzeugung, dass unsere Wählerschicht nur angesprochen werden kann, wenn wir deren Ängste ernst nehmen und eine breite und umfassende Integrationsarbeit leisten. Dann wird auch unsere Strategie für ein soziales Europa überzeugender sein. Sie muss aber auch personell und sachlich als eine umfassende und engagierte Strategie entworfen und durchgeführt werden. Und nicht nur als eine dem Wahlkampf aufgesetzte kurzfristige Kampagne. Was ich in diesem Sinne tun kann, werde ich auch tun – im EU-Parlament und zu Hause. Ich hoffe nur, dass es dafür genug Unterstützung, zumindest in der SPÖ, gibt.

Wien, 15.6.2009