Auf der Insel

Wir werden die Engländer, die eher eine Free-Traid Tradition haben, nicht überzeugen und sie werden uns, die wir die Anpassungsprobleme deutlicher sehen, nicht überzeugen. Aber auch mit diesen Unterschieden kann man an einem gemeinsamen sozialeren Europa arbeiten.
Bereits in der ersten Arbeitswoche des Europäischen Parlaments stand eine Delegationsreise des Präsidiums unserer Fraktion nach Großbritannien auf dem Programm. Die britische Regierung war im Vorjahr unter Premierminister Brown neu gebildet worden und es war unsere Absicht, mit dieser neuen Regierung, die ja für viele Fragen der EU – von der Wirtschafts- über die Außenpolitik bis zum Reformvertrag – eine wichtige Rolle zu spielen hat, Kontakt aufzunehmen.

Im House of Commons

Mir ist bewusst, dass Großbritannien in der EU und insbesondere in Österreich nicht immer gern gesehen wird. Auch ich selbst habe massive Bedenken, was viele politische Handlungen der Briten betrifft. So ist das traditionell gute, oftmals unkritische Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika aus meiner Sicht zweifellos negativ. Wenngleich auch der am Kontinent, so auch in Österreich, oftmals vertretene primitive Antiamerikanismus ebenfalls kaum zu einem vernünftigen Verhältnis zu den USA beiträgt.
Die Gespräche, die wir hier in London geführt haben, waren äußerst hochrangig angesetzt. Mittwochabend fand ein ausführliches Arbeitsgespräch bei einem typisch britischen Essen im House of Commons statt. Mehrere Kabinettsminister waren anwesend, ebenso wie die Generalsekretärin der Partei und führende Berater von Gordon Brown und wir führten eine spannende und interessante Diskussion. Wir unterhielten uns darüber, wie wir europäische Politik generell gestalten sollen und wie wir die skeptischen BürgerInnen von der Bedeutung und Notwendigkeit Europas überzeugen können. Österreich und Großbritannien sind der offiziellen Statistik nach jene Länder, in denen die Skepsis gegenüber der EU und dem gemeinsamen Europa am stärksten ausgeprägt ist.

Bei Umweltminister Hilary Benn

Der gestrige Tag begann mit einem Arbeitsfrühstück mit Hilary Benn, dem britischen Umwelt- und Energieminister. Im Mittelpunkt unseres Gespräches standen die globale Erwärmung und die entsprechenden Konzepte der EU. Ich schnitt bei dieser Gelegenheit die Frage an, wie wir unseren BürgerInnen den freien Handel vermitteln können, wenn sie oft das subjektive Gefühl haben, dass unsere Handelspartner sowohl in der Umweltpolitik als auch bei Menschenrechtsfragen keineswegs den akzeptierten Mindeststandards genüge tun und sich damit unfaire Handelsbedingungen beschaffen.
Ich habe diese Frage nicht zuletzt deshalb an Hilary Benn gerichtet, weil er während der Präsidentschaft Großbritannien unter Toni Blair Entwicklungsminister gewesen ist. Er ist zweifellos einer der bekanntesten und fortschrittlichsten Politiker, die dieses Land hat. Benn kommt aus einer politischen, weit links stehenden Familie. Er antwortete mir, dass es notwendig sei, auf unsere Handelspartner verstärkt Druck auszuüben, damit sie einigermaßen adäquat und im Verhältnis zum jeweiligen Entwicklungsstand ihre Aufgaben, insbesondere in der Umweltpolitik erfüllen. Jedem Land sollten im Rahmen von internationalen Vereinbarungen analog zu seinem jeweiligen Entwicklungsstandard entsprechende Auflagen erteilt werden, die es in der Folge zu erfüllen hat. Hilary Benn nahm auch als Vertreter Großbritannien beim Klimagipfel in Bali teil, wo diese Fragen im Detail diskutiert worden sind. Entsprechend strikte Vereinbarungen wurden allerdings trotzdem nicht getroffen.

In Downing Street 10

Nach dem Treffen mit Hilary Benn führen wir zur Downing Street 10, dem Amtssitz des Premierministers. Wie man immer wieder auf Fotos sehen kann, handelt es sich um kein gewaltiges Gebäude – zumindest nicht von außen. Man betritt das Haus durch einen kleinen, schmalen Eingang, und erst nach genauerem Umsehen entdeckt man, dass Downing Street 10 entsprechenden Platz für den Premierminister selbst, seinen Stab und seine Familie, die ebenfalls hier lebt, bietet. Die Räume sind in bescheidenem, angenehmem Stil gehalten.
Unser Treffen fand im Kabinettsitzungssaal statt. Zunächst sprachen wir mit dem Fraktionsvorsitzenden Geoff Hoon, der ja in Großbritannien auch die Position eines Kabinettmitgliedes hat. Hoon hatte bis kurzem die Funktion des Europaministers inne, war auch schon Abgeordneter im Europäischen Parlament und hat verschiedene andere Positionen in der britischen Regierung ausgeübt.

Kommt ein Referendum?

Hoons Aufgabe besteht derzeit vor allem darin, den Reformvertrag durch das Parlament zu steuern. Großbritannien hat nicht die Absicht, zumindest was die Regierung betrifft, ein Referendum durchzuführen. Trotzdem soll eine sehr ausführliche und detaillierte Diskussion über etwa zehn Tage hindurch im Parlament geführt werden, um die verschiedenen Aspekte und Inhalte des Vertrags ausführlich zu diskutieren. Ob es letztendlich zu einem Referendum kommt, hängt einerseits von den Mehrheiten im Unterhaus, im House of Commons, ab, andererseits aber auch von den Einwänden, die das House of Lords machen könnte. Das verleiht der ganzen Angelegenheit eine gewisse Unsicherheit.
Nachdem sich Portugal nach längerem Zögern entschlossen hat, kein Referendum durchzuführen, bleibt abzuwarten, wie sich die Britischen Inseln verhalten. In Irland muss verfassungsmäßig ein Referendum durchgeführt werden und in Großbritannien wirken nach wie vor politische Kräfte, insbesondere auf der konservativen Seite, dahingehend, dass es ein Referendum gibt. Auch in Großbritannien wollen in erster Linie die Gegner – mit Unterstützung der Medien – mobilisieren, um den Reformvertrag und die Stärkung der EU zu Fall zu bringen.

Gordon Brown, der „Anti-Blair“

Nach diesem Gespräch fand unser Treffen mit Gordon Brown, der einen sympathischen und pragmatischen Eindruck auf uns machte, statt. Brown strahlt nicht das Flair und Charisma eines Toni Blair aus. Er ist gedrückter, spröder, vielleicht auch ernsthafter. Es könnten kaum zwei unterschiedlichere Typen hintereinander den Vorsitz in der britischen Regierung haben. Und es grenzt an ein Wunder, dass die beiden so lange zusammenarbeiten konnten.
Wir diskutierten mit Brown verschiedene Fragen der Globalisierung und der diesbezüglichen Einstellung der EU-Mitgliedsländer. Und ich befragte ihn zu seinen Erfahrungen der Migration im Zusammenhang mit Europa, wissend, dass unzählige Menschen aus den neuen Mitgliedsländern in den letzten Jahren nach Großbritannien gekommen sind. Und wissend, dass Großbritannien zuerst sehr stolz über die Öffnung seiner Grenzen war, aber dann die Grenzen für die Bulgaren und Rumänen wieder geschlossen hat.

Zuwanderungsprobleme

Mein bulgarischer Kollege hat an diesem Punkt nachgestoßen und letztendlich gestand Brown ein, dass diese massive Zuwanderung Probleme der Integration geschaffen hat. Es wurden 50.000 Polen erwartet, gekommen sind allerdings 500.000. Aus dieser Erfahrung heraus hat Großbritannien für die Rumänen und Bulgaren die Grenzen nicht sofort geöffnet, sondern die bestehende Möglichkeit, die Grenzen noch für einige Jahre dicht zu halten, ausgenützt. Ich habe meinen KollegInnen, die auf eine sofortige Öffnung der Grenzen gedrängt haben, immer wieder gesagt, dass das Öffnen der Grenzen für die einen zu großen Problemen führen wird und schließlich die nachfolgenden bestraft werden, wenn die Grenzen wieder zugemacht werden. Der österreichische Weg, hier vorsichtig vorzugehen, ist absolut richtig.
Es ist nach wie vor meine völlige Überzeugung, dass Migration ohne Integration nicht akzeptabel ist. Insofern stehen wir vor dem gemeinsamen Problem, wie wir gerade auch in dieser Frage vorgehen können. Wir wollen Integration und wissen, dass Migration ein bestehender Faktor ist. Aber wir müssen uns auch anstrengen, um den positiven Beitrag der MigrantInnen zur wirtschaftlichen Entwicklung mit der Notwendigkeit zu verbinden, eine vernünftige Integrationspolitik zu betreiben. Die MigrantInnen müssen motiviert werden, sich tatsächlich entsprechend an die neuen Länder anzupassen. Und jenen, die schon hier sind, muss vermittelt werden, dass sie entsprechende Angebote machen müssen, damit die Integration der Neuankömmlinge funktionieren kann.

Im Außenministerium

Nach dem Besuch bei Gordon Brown ging es weiter ins Außenministerium, das gleich eine Strasse weiter liegt. Hier trafen wir Außenminister David Miliband und Europaminister Jim Murphy. Der Außenminister ist ein Theoretiker des Neuen Weges von Toni Blair und ist von dieser auch sehr unterstützt worden. Er hat eine Zeit lang seine Gegenkandidatur zu Gordon Brown angemeldet, diese aber dann zurückgezogen. Ich nehme an, dass ihm in diesem Zusammenhang das Außenministerium versprochen wurde.
Miliband ist noch sehr jung. Vielleicht spekuliert er damit, dass jetzt zwar Gordon Brown dran ist, dieser aber vielleicht ohnedies die Wahlen verlieren wird und er in der Folge das Amt übernehmen kann. Jetzt allerdings ist Miliband Außenpolitiker und so haben wir mit ihm Fragen vom Kosovo bis zum Nahen Osten sowie die Frage der Mittelmeerunion, wie sie Sarkozy ursprünglich vorgeschlagen hat und sie jetzt versucht anzupeilen, besprochen. Ich habe vorgeschlagen, dass der Europaminister von Zeit zu Zeit auch am Fraktionsvorstand im Europäischen Parlament teilnimmt, damit wir mit ihm gemeinsam eine Reihe von Fragen erörtern können, die sich ja immer wieder stellen, wenn es um konkrete Gesetzgebung und andere politische Entscheidung geht.

Hohe Wertschätzung

Insgesamt hat dieser Besuch eine hohe Wertschätzung der britischen Regierung für das Europäische Parlament und im Besonderen für unsere Fraktion und unsrer Fraktionsführung gebracht hat. Es hat sich gezeigt, dass sich auch ein derart großes Land wie Großbritannien bzw. seine politischen VertreterInnen Zeit nehmen, um mit uns über die zukünftige Gestaltung Europas zu diskutieren. Die Vorstellungen sind nicht immer die gleichen. In der generellen Ebene sind sie ziemlich identisch. Wenn es allerdings ins konkrete geht, haben die Briten wahrscheinlich eine andere Vorstellung, zum Beispiel vom gemeinsamen von Markt. Immerhin gibt es aber auch eine Reihe von Berührungspunkten.
Mir hat gut besonders gefallen, was Gordon Brown gesagt hat, als es um die Frage nach den Unterschieden zwischen uns Sozialdemokraten und den Konservativen bzw. Rechten ging. Er meinte, die Rechten wollten entweder das Land abschotten und zusperren – das versprechen sie zumindest den BürgerInnen. Oder sie würden das Land und Europa völlig den globalen Trends ausliefern, ohne sich um das Soziale zu kümmern. Wir Sozialdemokraten müssten unsere Länder, müssten Europa vorbereiten und öffnen, damit wir in den globalen Beziehungen wettbewerbsfähig werden bzw. bleiben. Aber wir müssten gleichzeitig darauf achten, dass die sozialen Probleme gering gehalten bzw. gelöst werden.

Der Teufel steckt im Detail

Das ist für Gordon Brown entscheidend. Und das ist eine sehr richtige Definition dessen, was rechts und links ist. Wenn es allerdings ums Detail geht, gilt der alte Spruch „der Teufel steckt im Detail“. Und in diesem Zusammenhang haben wir zweifellos eine etwas sozialere, die Briten würden sagen, protektionistischere Position als Großbritannien.
Nun, damit kann man leben. Wir werden die Engländer, die eher eine Free-Trade Tradition haben, nicht überzeugen und sie werden uns, die wir die Anpassungsprobleme deutlicher sehen, nicht überzeugen. Aber auch mit diesen Unterschieden kann man an einem gemeinsamen sozialeren Europa arbeiten. Und genau das scheint mir das Ziel zu sein, das wir in den Nächsten Jahren mit besonderer Stärke verfolgen müssen.

London, 11.1.2008