Auf der Suche nach Frieden

Wir sind nach Syrien gereist, um dort das Klima in Richtung Friedensprozess und stärkerer Kontakte mit Europa zu verbessern.
Die Nah-Ostkrise beschäftigt uns in diesen Tagen unter Unterlass. Aber wir stehen nicht nur fassungslos vor den Entwicklungen der vergangenen Wochen und Monate. Wir wollen vielmehr versuchen, einer neuen Krise oder gar einem neuen Krieg vorzubeugen und entscheidende Schritte für einen wirklichen Friedensprozess in die Wege zu leiten.

Kontaktpflege

Martin Schulz ist vor wenigen Tagen, eigentlich im Auftrag der SPD, aber auch in inoffiziellem Auftrag des deutschen Außenministers Steinmeier nach Syrien gereist. Steinmeier hatte ursprünglich selbst vorgehabt, nach Syrien zu fahren, um dort das Klima in Richtung Friedensprozess und stärkerer Kontakte mit Europa zu verbessern. Eine höchst unnotwendige Rede von Präsident Assad am Vorabend seiner geplanten Abreise hat es Steinmeier allerdings unmöglich gemacht, seine Reise tatsächlich anzutreten. Und so wird jetzt versucht, neue Kontakte zu knüpfen, um diesen Besuch zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.
Eine Delegation unserer Fraktion, der meine italienische Kollegin Fraktionsvizepräsidentin Pasqualina Napoletano, die Berichterstatterin für Syrien und Koordinatorin im Außenpolitischen Ausschuss, Veronique de Keyser sowie die Vorsitzende des gemischten parlamentarischen Ausschusses zwischen dem Europäischen und den Parlamenten der Maschrik-Länder und ich selbst angehört haben, hat sich ebenfalls auf den Weg nach Syrien gemacht. Wir wollten weitere Kontakte pflegen und gewissermaßen „nacharbeiten“.

Omajaden-Moschee

Die meisten von uns sind am heutigen Samstag mit einer AUA-Maschine aus Wien in Damaskus angekommen. Uns blieb zunächst ein wenig Zeit, um die Altstadt zu besichtigen. Ich bin bereits mehrmals in Damaskus gewesen und habe schon vor Jahren eine Delegation der Fraktion im Europäischen Parlament geleitet. Die Altstadt von Damaskus ist aber immer wieder faszinierend.
Am meisten hat mich auch diesmal wieder die Omajaden-Moschee mit ihrem großen, unwahrscheinlich anziehenden Hof in ihren Bann gezogen. Besagter Hof ist von seinen architektonischen Dimensionen und Proportionen her wunderschön. Und es spielt sich jede Menge Leben darin ab. Trotzdem findet man hier eine Mischung aus Bewegung und gleichzeitiger Ruhe.

Die offene Seite des Islam

An diesem sonnigen Tag mit dem blitzblauen Himmel über der Moschee und ihrem Innenhof hat mich ein erhebendes Gefühl erfasst. Auch die vielen BesucherInnen aller Religionen schätzen womöglich an der Omajaden-Moschee, dass sie nicht die üblicherweise eher verschlossene, abweisende Seite der islamischen Religion zeigt, sondern die offene und freudige Seite des Islam präsentiert. Vielleicht ist das im laizistisch-sekulären Syrien ja auch kein Zufall.
Und trotzdem: Nicht nur ich hatte den Eindruck, dass die Anzahl der Frauen, die einen Schleier oder ein Kopftuch tragen, eher gestiegen sein dürfte. Das ist aus meiner Sicht beunruhigend, könnte es doch ein Zeichen für eine stärkere innere Orientierung und eine restriktive Haltung der islamischen Kräfte in Syrien sein.

Der Großmufti von Syrien

Um es vorwegzunehmen: Am Abend vor meiner Abreise aus Damaskus habe ich den Großmufti von Syrien getroffen. Der österreichische Botschafter in Syrien, Karl Schramek, hatte mir im Vorfeld erzählt, dass der Großmufti ein äußerst offener und gesprächsbereiter Mann ist, und ich war sehr froh, dass ich ihn treffen konnte. In der Tat: Der Großmufti erwies sich wirklich als ein sehr offener, kompetenter und fröhlicher Gesprächspartner. Die jüngsten Erklärungen des Papstes, mit denen dieser dem Islam eine immanente Gewaltbereitschaft mit Hinweis auf Zitate aus byzantinischen Zeiten unterstellt hatte, haben den Großmufti von Syrien nicht sonderlich berührt. Er erwartet sich auch gar keine Entschuldigung des Papstes, sondern besteht lediglich darauf, dass ein intensiver Dialog geführt werden sollte.
Von ihm mögen vielleicht in manchen religiösen Bereichen konservative Strömungen ausgehen – das kann ich nicht beurteilen. Aber bei der Frage des Dialoges zwischen den Religionen, bei der grundsätzlichen Frage des sekulären Staates und vor allem bei der Frage eines Zusammenlebens zwischen der muslimischen und der europäischen Welt – die heute ebenfalls einen stärkeren muslimischen Einfluss hat als früher, aber dennoch klar christlich bzw. laizistisch geprägt ist – ist der Großmufti ein sehr angenehmer und kompetenter Gesprächspartner.

Vorverurteilung

Zurück zum ersten Tag. Am Abend haben wir die europäischen Botschafter in der Vertretung der Europäischen Kommission getroffen und uns auf unsere Gespräche für den kommenden Tag vorbereitet. Der französische Botschafter zeigte sich skeptisch bis ablehnend gegenüber Kontakten mit Syrien. Natürlich trat er als Sprecher seines „Herren“, Chirac, auf. Dieser ist beleidigt, weil Syrien die französischen, sprich die Chirac´schen Interessen nicht genügend vertritt. Es heißt, dass dadurch auch verschiedene Geldflüsse an den französischen Präsidenten bzw. an gewisse Fonds versiegt sind.
Wie immer es auch sei: Rafiq al-Hariri, der frühere Premierminister im Libanon, der ermordet worden ist, war ein sehr starker Finanzier von Herrn Chirac. Der Mord an Rafiq al-Hariri ist – aus welchen Gründen auch immer – absolut unentschuldbar. Aber Syrien vorzuverurteilen, ohne ein Urteil über dessen Beteiligung an diesem Mord zu kennen, ist für mich inakzeptabel. Nicht zuletzt deshalb, weil wir Syrien brauchen, um einen Fortschritt im Friedensprozess zu erreichen.

Damaskus, 17.9.2006