Auf in den Kampf

Es ist an der Zeit, den Fehdehandschuh, den Milosevic der Opposition und der internationalen Gemeinschaft zugeworfen hat, aufzugreifen. 
Das Ost-West-Institut, eine Einrichtung mit Sitz in Prag, Moskau, New York, Kiew, Brüssel und Helsinki, hat zu einer Tagung eingeladen, die unter Vorsitz des slowakischen Außenministers Kukan in der slowakischen Hauptstadt stattfand.
Kukan ist nicht nur Außenminister, er ist auch einer der Abgesandten der Vereinten Nationen für den Balkan. Der so genannte Bratislava Prozess, den er initiiert hat, ist ein Prozess, der Veränderungen innerhalb Jugoslawiens herbeiführen soll, um Demokratie und Kooperation mit den Nachbarn in Jugoslawien wieder herstellen zu können. Es waren etwa 40 – 50 Vertreter der Opposition nach Bratislava gekommen. Etliche von ihnen, aber auch etliche Experten oder mehrere Experten auf dem Gebiet der Entwicklung am Balkan hatte ich schon vorher kennen gelernt.

Geänderte Vorzeichen

Die Diskussion in Bratislava hat durch die Entscheidung von Milosevic, die bestehende Verfassung in Jugoslawien aufzuheben und sich als direkt gewählten Präsidenten in Jugoslawien etablieren zu lassen, neue Aktualität bekommen. Einige waren ob dieser neuen Entwicklungen deprimiert. Einige meinten dagegen, es gäbe nun eine neue Chance – durch diese Zuspitzung, durch die Organisierung von allgemeinen Wahlen – Milosevic zu stürzen.

Den Fehdehandschuh aufgreifen

Ich kann mich weder zu den Pessimisten noch zu den Optimisten rechnen. Aber ich meine doch, dass man die Chance ergreifen sollte, den Fehdehandschuh, den Milosevic der Opposition und der internationalen Gemeinschaft zugeworfen hat, aufzugreifen.
Ich meinte aber auch in meinem Beitrag im Rahmen der Diskussion, dass ich es absolut für notwendig halte, dass man sich auf Seiten der Opposition und der oppositionellen Kräfte auf eine Persönlichkeit einigen müsste. Und dass dies kaum jemand sein könne, der bisher erfolglos im Rahmen der Opposition tätig war: weder Draskovic noch Djindjic und auch keiner von den Anderen.
In der Diskussion wurde unter anderem jemand genannt, der einer der ersten Gründer einer politischen Parteienopposition gegen Milosevic war, nämlich Micinovic – ein älterer, mir sehr sympathisch erscheinender jugoslawischer Politiker. Es wurde aber auch im Rahmen der Konferenz die Idee geboren oder unterstützt, jemanden zu nehmen, der mit Politik bisher kaum etwas zu tun hatte. Einen Schriftsteller, einen Künstler, einen Schauspieler, jemand, der Stimmen gewinnen könnte, weil er nicht aus dem üblichen politischen Establishment kommt. Ein Anderer wieder meinte mir gegenüber, Djukanovic selbst, der Präsident von Montenegro, sollte versuchen zu kandidieren und so auch gleich die Chance zu eröffnen, dass Montenegro im jugoslawischen Bundesverband verbleiben könnte.

Mastermind Montenegro

Sicher ist, dass der Präsident von Montenegro eine große Rolle spielen sollte. Er könnte noch einmal klar machen, dass es durch einen anderen Präsidenten als Milosevic, durch jemanden, der sich auch zur jugoslawischen Föderation bekennt, gelingen könnte, Jugoslawien als Staat zu bewahren. Montenegro könnte also durch Djukanovic klar machen, dass durch die Abwahl von Milosevic Montenegro auch weiterhin eine Chance bekommt, bei Jugoslawien zu bleiben. Es ist unfassbar, wie Milosevic Schritt um Schritt all jene, die nicht zu Serbien gehören, für Jugoslawien verliert.
Weiter meinte ich in meiner Wortmeldung, dass die internationale Gemeinschaft, vor allem auch die Mitgliedsländer der Europäischen Union, nicht ihre Hoffnung, die mit der Jugendorganisation OTPOR verbunden ist, zum Ausdruck bringen soll, sondern auch die Jugend tatkräftig unterstützen soll. Jene, die im Ausland studieren wollen, jene, die im Land selbst bleiben und dort studieren und arbeiten wollen, aber auch das intellektuelle Potenzial des Landes durch Austausch und Kommunikation unterstützen möchten. Gerade auf diesem Gebiet müssten die Sanktionen deutlicher differenziert werden.

Sanktionen differenzieren

Die Sanktionen waren überhaupt das Hauptthema dieser Gespräche. Viele forderten die Aufhebung der Sanktionen, da es hier nur immer wieder zu Stimmungen gegen die Opposition gekommen ist. Eine Sprecherin meinte, auch die Anpassung der Sanktionen helfe nicht wirklich, denn wenn einmal eine Maßnahme grundsätzlich das Ziel verfehle, dann würde das Anpassen nur zu einem Zick-Zack-Kurs führen, aber nicht dazu, dass das Ziel, nämlich das Verschwinden von Milosevic, erreicht würde.
Ein Anderer meinte, die Demokratisierung Jugoslawiens gehe parallel zur Zusammenarbeit mit Jugoslawien. Eine Isolation, eine Zurückweisung Jugoslawiens stärke Milosevic. Würde man versuchen zu kooperieren, würde das die Demokratie, die demokratischen Kräfte stärken. Die Geschichte zeigt, dass das höchstwahrscheinlich stimmt – auch wenn Milosevic nicht in normale Kategorien und in normale geschichtliche Logik einbaubar ist. Zum jetzigen Zeitpunkt die Sanktionen total aufzugeben, würde gerade von Milosevic als großer Sieg gefeiert werden.
Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich stärker zu differenzieren, wogegen sich innerhalb der EU vor allem England und die Niederlande wehren, außerhalb der EU vor allem die USA. Und es müsste die Opposition nach Außen, aber vor allem auch nach Innen eine Vertrauenswürdige Person nominieren, mit der dann auch ein weiterer Abbau der Sanktionen verhandelt werden könnte. Der vor allem dann eintritt, wenn es bei den nächsten Wahlen zu einer Änderung käme.

Ruf nach starkem Oppositionsführer

Die Tagung hat, wie schon erwähnt, weder dem Optimismus noch dem Pessimismus Nahrung gegeben. Aber klarer als je zuvor bin ich heute davon überzeugt, dass keiner der gegenwärtigen politischen Führer aus der Opposition fähig ist, die Opposition selbst zu einigen, bzw. eine Alternative zu Milosevic nachzustellen. Viele haben sich im Laufe der letzten Jahre kompromittiert, die Einen mehr, die Anderen weniger.
Jetzt bedarf es einer neuen Persönlichkeit, der sicherlich viel Unterstützung signalisisert werden muss – und zwar sehr flexible, immer wieder an die Situation angepasste Unterstützung für Otpor und für die unabhängigen Medien. Und es bedarf einer klaren, finanziell untermauerten Strategie, um dem Oppositionskandidaten die Möglichkeit zu geben, ohne vom Westen kompromittiert zu werden, der Bevölkerung in Jugoslawien eine neue Hoffnung, eine neue Chance zu geben. 
Bratislava, 8. Juli 2000