Aus der Mitte Berlins in die Zukunft weisen

In der historischen Mitte Berlins treffen die Geschichte Preußens, der DDR und der Bundesrepublik aufeinander. 
Heute hatten wir die zweite offizielle Sitzung der Internationalen Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“.

Der Plan für die Entscheidungsfindung

Erst vor einer Woche bin ich hier in Berlin gewesen, um vor dem Kulturausschusses des Deutschen Bundestages über unsere Arbeiten zu berichten. Mein Ziel, mit unseren Beratungen in einem Jahr fertig zu sein, wurde sehr geschätzt und mit Applaus aufgenommen. Auch die von uns angepeilte Vorgehensweise wurde begrüsst: Wir wollen zuerst Überlegungen anstellen, wie der Stadtraum von der städtebaulichen Situation her gestaltet werden soll und welche Nutzung wir an diesem zentralen Ort haben wollen. Natürlich gilt es auch zu prüfen, wie das ganze zu finanzieren ist. Erst dann kann überlegt werden, ob das Schloß wieder aufgebaut oder der Palast der Republik erhalten werden soll bzw. ob es mögliche Kombinationen gibt oder etwas ganz Neues errichtet werden soll.
Ich habe gewußt, dass dieser Punkt die heikelste Aufgabe und die kontroverseste Frage ist. Aber es muss dennoch die letzte Frage sein, denn sonst bleiben wir wieder in einem fast ideologischen Streit stecken, ohne der Politik einen Rat bzw. eine Hilfestellung zu geben.

Vielfalt der Kultur versus Globalisierung

Heute haben wir uns mit drei Dingen beschäftigt. Einerseits hat Professor Lehmann, der Präsident der Stiftung preußischer Kulturbesitz, noch einmal seine Vorschläge erläutert, die Sammlung von Dahlhelm, nämlich das Museum und die Sammlungen der aussereuropäischen Kultur, in die Mitte der Stadt zu verlagern. Er hat aber klar und deutlich gemacht, dass es nicht um die Musealisierung der Stadt bzw. von Berlin Mitte geht, sondern dass Berlin ein bißchen lebendiger werden muss. Und dass die Vielfalt von Kultur in einer zunehmend globalisierten Welt, die eher auf Einheitlichkeit und Monostrukturen ausgerichtet ist, erhalten werden muss.
Zu diesen Themen soll es Ausstellungen, Vorträge, Veranstaltungen und Diskussionen geben und daher gil ts, wenn es zu einer Übersiedlung von Dahlhelm nach Berlin Mitte kommt, an diesem Standort ein sehr modernes, lebendiges Museumskonzept zu entwickeln und zu verwirklichen.

Modernes, lebendiges Museumskonzept

Diesen Gedanken hatten wir schon beim letzten Mal angesprochen, und auch bei meinem Hearing in Berlin vorige Woche habe ich mich mit einem früheren Kollegen aus dem Berliner Senat, Volker Hassemer, zusammengesetzt. Wir waren beide der Ansicht, dass Berlin an diesem Standort zeigen kann, dass es nicht nur um Berliner, deutsche und europäische Kultur geht, sondern um mehr, dass dieses Berlin die Kraft und Fähigkeit hat, namens Europas die Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen – und zwar nicht nur im traditionellen musealen Sinn, sondern auch darüber hinaus – zu führen und voranzutreiben.
Nun gibt es inzwischen ja auch in anderen Städten entsprechende Museen, die nicht mehr diesen vielleicht etwas verstaubten kolonialen Ansatz zur Kultur der „primitiven“ Völker haben, sondern durchaus modernere Ansätze vertreten. Dennoch könnte hier in Berlin, als Ergänzung zu den verschiedenen anderen musealen Einrichtungen, eine sehr faszinierende kulturelle Einrichtung entstehen, die allerdings auch nur ein Drittel der möglichen Kubatur an diesem zentralen Platz Berlins in Anspruch nehmen würden.
Wir haben darüber diskutiert, inwieweit nicht die Landesbibliothek an diesem Standort eine größere, neuere und zugleich zentrale Heimat finden könnten. Bibliotheken, die, so scheint es, trotz Internet und neuer Telekommunikationsmittel nach wie vor einen großen Anziehungspunkt darstellen – vielleicht manchmal sogar wieder stärker, weil sie das Immaterielle und Entgegenständlichte des Internets kontrastieren und auch wieder Fühl- und Angreifbares präsentieren.

DDR-Stadträume

Bei dieser Gelegenheit haben wir uns weiters mit dem Stadtraum beschäftigt. Ein ehemals in der DDR lebender und wirkender Experte auf diesem Gebiet und Mitglied unserer Kommission hat versucht, Überlegungen des Stadtraumes aus der DDR-Zeit zu schildern und zu adaptieren. Er hat sich aber doch zu diesem Grundmuster der Plätze aus der DDR-Zeit bekannt. Dies ist zum Teil sehr kontroversiell diskutiert und die Platzfolge aus DDR-Zeiten, verbunden mit großen Achsen, sind von den anderen eher kritisch beleuchtet worden.

Die Plätze der DDR waren Plätze, die für Aufmärsche konzipiert waren, Plätze, die eigentlich ausgeronnen sind, die nicht gefasst waren. Mit Recht wurde darauf verwiesen, dass man nach Rom oder Wien, zum Teil auch nach Paris blicken sollte, wo die Plätze grossteils von dicht bebauten Stadtteilen umgeben sind und es einen entsprechenden Überraschungseffekt gibt, wenn man auf diese Plätze trifft.

Palast der Republik

Das dritte Thema, mit dem wir uns beschäftigt haben, war der Palast der Republik. Der Palast der Republik, von den kommunistischen Machthabern der DDR in Windeseile erbaut, beinhaltete einerseits sowohl die Volkskammer, das Parlament der DDR, als auch viele Einrichtungen für die Bevölkerung – Säle für Konzerte, zum Tanzen etc.
Dadurch bekommt der Palast der Republik natürlich eine andere Bedeutung als bloß als Hülle für ein Scheinparlament, das allerdings letztendlich auch den Einigungsprozeß mit Westdeutschland vollzogen hat. Wir haben eine ganze Weile theoretisch diskutiert und uns gefragt, inwieweit diese Einrichtungen in die zukünftige Bebauung übermittelt und übertragen werden soll und dadurch die Grundidee des Volkskulturhauses transportiert werden könnte – eine Idee, die es ja auch in der Zwischenkriegszeit sehr stark gegeben hat. Wir haben uns gefragt, ob dies nicht auch ein Hinweis darauf ist, dass an diesem Ort etwas errichtet werden soll, das nicht nur einer kleinen Elite zu gute kommt – wie Einrichtungen für ein Gästehaus des Außenministeriums, Konferenzsäle etc.

Den Ort mit Leben füllen

Mit Recht ist, so meine ich, in dieser Diskussion die Idee aufgekommen, weiterhin, wie das schon beim Museumskonzept für die außereuropäischen Kulturen und bei der freien Stadtbibliothek angeklungen ist, danach zu trachten, dass in diesem Stadtraum, vielleicht auch in diesem Gebäude, tatsächlich die Möglichkeit gegeben wird, weiten Teilen der Bevölkerung Aktivitäten zu eröffnen und sie zu animieren, nach Berlin Mitte zu kommen, also den Ort nicht bloß den Touristen und Kulturinteressierten zu überlassen.
Ich habe mir den Palast der Republik auch von innen angesehen, zumindest jenen Teil, der inzwischen bereits von Asbest befreit ist. Der erste Teil, zugleich jener Teil, in dem die Volkskammer der DDR beheimatet war, ist heute wieder zu besichtigen. Sicher machte das Skelett des Gebäudes, das wir besichtigen konnten, Eindruck auf uns. Aber deswegen gibt es noch keine zwingende Argumentation, das Gebäude zu erhalten bzw. umzugestalten. Der Palast der Republik ist jedenfalls heute etwas ganz anderes, als er es jemals gewesen ist. Und inwieweit man die Einrichtung, die es ja auch nur sehr teilweise und nur als Modellstücke gibt, in eine neue Gebäudekonstruktion an diesem Standort einbauen sollte, wird man sich ebenfalls noch überlegen müssen.
Ja, es ist eine spannende Aufgabe, wie schon mehrmals betont: Die Geschichte Preußens, die Geschichte der DDR und die Geschichte der Bundesrepublik treffen an dieser Stelle aufeinander. Und ich meine doch, dass es vor allem gilt, aus der Mitte Berlins in die Zukunft zu weisen. Nutzungen anzubieten, die weit über Berlin hinaussehen und die auch weit über das erste Jahrzehnt dieses neuen Jahrtausends hinauszeigen. 
Berlin, 16. März 2001