Bayrisches Selbstbewußtsein

Die bayrische CDU präsentiert in einer sehr überzeugenden Art ihre Konzeption, die man vielfach als Kombination von Lederhose und Laptop darstellt. 
Gestern abend gab es in Brüssel eine Einladung der Hypo-Vereinsbank aus Bayern – jener Bank, die die Bank Austria vor kurzem übernommen hat. Diesmal hatte sich die Bank vorgenommen, den Europaabgeordneten ihre Strategie zu vermitteln und sie zu einem so genannten parlamentarischen Akt eingeladen. So wie einige Parlamentarier der ÖVP und der verschiedenen deutschen Fraktionen kam auch ich dieser Einladung nach.
Im Mittelpunkt des Abends stand die Präsentation der strategischen Ziele dieser Bank, wobei vor allem immer wieder betont wurde, wie wichtig die Übernahme der Bank Austria sei, um die wirtschaftlichen Aktivitäten der bayrischen Hypo-Vereinsbank in Osteuropa zu stärken. In diesem Zusammenhang war interessant zu beobachten, mit wie viel Selbstbewusstsein sich dieses bayrische Kreditinstitut präsentierte, und zwar als ein Institut, das die europäische Dimension über die heutige EU hinaus verstanden hat und beeinflussen und weiterentwickeln will.

In der Tradition von Franz Josef Strauß

Ich hatte ja schon in der Vergangenheit immer wieder Kontakte mit Vertretern bayrischer Institutionen nicht nur auf der Ebene der Stadt München, sondern auch der bayrischen Landesregierung. Unvergessen bleibt für mich, wie ich als Vertreter von Helmut Zilk und damit der Stadt Wien an der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals teilnahm. Von bayrischer Seite wurde dieses Ereignis mit Hofzeremoniell begangen. Die verschiedenen Aktivitäten und Initiativen von Edmund Stoiber, in ihrem Selbstbewusstsein anschliessend an Franz Josef Strauß und Max Streibel, machen deutlich, dass Bayern nicht darauf verzichten möchte, eine bedeutende Rolle im europäischen Einigungsprozess zu spielen.

München, die Hauptstadt Österreichs

Vor kurzem publizierte die Schweizer „Weltwoche“ einen Artikel unter dem Titel: „München, die neue wirtschaftliche Hauptstadt Österreichs.“ Viele Unternehmungen gehören bereits heute Unternehmen mit bayrischen, vor allem münchnerischem Hauptsitz. Dabei verstehen sich diese Unternehmen natürlich nicht als bayrische, sondern als europäische und inzwischen als Weltunternehmen. Aber natürlich stärken sie durch ihre Standorte in München und anderen Städten das Selbstbewusstseins Bayerns.
Die Region Bayern, Österreich, vielleicht ergänzt durch Italien, jedenfalls Nord- und Südtirol ist eine reiche Region, mit politisch leicht autoritären Tendenzen, einer starken Hegemonie des politischen Konservativismus in Bayern und in Südtirol und dem Versuch der Österreichischen Volkspartei – teilweise in Konkurrenz zur FPÖ -, eine solche rechte politische Hegemonie auch in Österreich herzustellen. In diesem Zusammenhang macht es wenig Sinn, die enge wirtschaftliche Verflechtung und die Kontakte in diesem Raum bekämpfen zu wollen.

Laptop und Lederhose

Es geht eigentlich vielmehr darum, welches politische Konzept die Sozialdemokratie den autoritären konservativen Konzepten gegenüberzustellen hat. Die bayrische CDU präsentiert in einer sehr überzeugenden Art ihre Konzeption, die man vielfach als Kombination von Lederhose und Laptop darstellt, also einer sehr traditionalistischen politisch-kulturellen Hegemonie auf der einen Seite und einer sehr modernistisch-technologisch fortschrittlich, durchaus der Globalisierung offen stehenden wirtschaftspolitischen Konzeption auf der anderen Seite.

Sozialdemokratisches Gegenkonzept

Unseren konservativen bis rechtsnationalistischen Strömungen ist das bisher nicht gelungen. Haider hat es immer schon angestrebt, die ÖVP scheint dieses Vorhaben derzeit übernehmen zu wollen – aber in beiden Fällen ist das nationalistische bzw. konservative Element zu engstirnig, zu sehr korporatistisch verankert. In dieser Frage könnte und müsste die Sozialdemokratie eine Position entwickeln, die wirtschaftlich aufgeschlossen ist, die politisch ein liberales Element vertritt und dieses mit einer sozialen Komponente so verbindet, dass sozial überzeugende Vorschläge vorgebracht werden. Dabei müssten wir den Menschen, insbesondere den Liberalisierungsverlierern und -benachteiligten, mehr tatsächliche Sicherheit und mehr Orientierungspunkte als die konservativ-kulturellen bzw. nationalistischen ideologischen Konzeptionen, die ihnen von der rechten Seite angeboten werden.
Diese Konzeption ist sicherlich in jenem Raum, in dem wir uns befinden, in diesem Alpenbogen, in den ich die Schweiz durchaus mit einbeziehen würde, sicher sehr schwer zu finden. Vielleicht sind hier die Brüche zwischen den traditionellen Lebensformen und dem wirtschaftlichen Modernisierungs- und Wohlstandsprozess der vergangenen Jahre und Jahrzehnte besonders stark. Und vielleicht müssen hier die liberalen Kulturkonzepte, aber auch die Sozialangebote mit höherer Überzeugungskraft und viel mehr Ausdauer und Detailarbeit angeboten werden, um von einer Bevölkerung akzeptiert zu werden, die den sozialdemokratischen Ideen eher skeptisch gegenüber steht. Aber gerade weil diese schwieriger zu vermitteln sind, sind sie umso wichtiger und müssen umso nachhaltiger in unsere politischen Strategien einbezogen werden. 
Brüssel, 19.10.2000