Beim gekränkten russischen Bären

Von russischer Seite gibt es großes Unverständnis , wie Europa, insbesondere aber die USA, die Kaukasuskrise gesehen haben, wie sie einseitig auf die Seite von Saakasvilli und Georgien gestanden sind und die Aggression und den Beginn der Attacke durch Saakasvilli ignoriert haben.
Heute früh sind wir mit einer kleinen Delegation des Europäischen Parlaments nach Moskau gekommen, wo wir uns einige Tage aufhalten werden.

Ein ausgewogenes Team

Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Martin Schultz, ich als sein erster Stellvertreter und einige weitere Mitglieder anderer Fraktionen besuchen die russische Regierung, haben uns im Vorfeld auch bemüht, einige Experten ausfindig zu machen, die das „andere“ Russland repräsentieren. Auch unsere eigene Delegation ist in ihrer Meinungsvielfalt ausgeglichen. So ist Katrin Saks mit uns gekommen, ehemals Ministerin in Estland, die starke Kritik an Russland übt, aber auch Giulietto Chiesa, der sehr russlandfreundlich und äußerst verständnisvoll gegenüber Putin ist.
Auch ein „Realist“, der so ähnlich denkt wie ich, ist dabei: Robert Goebbels, ehemaliger Wirtschaftsminister und stellvertretender Vorsitzender unserer Fraktion für wirtschaftliche Angelegenheiten. Insgesamt sind wir ein gutes Team. Wir decken das Spektrum unserer Fraktion ab und können uns umfassend auf Diskussionen mit den Vertretern Russlands einlassen.

Beim Energieminister

Das erste Treffen galt heute Anatoly Yanovskiy, dem stellvertretenden Minister für Industrie- und Energiefragen, der sich insbesondere mit der Energiecharta beschäftigt hat. Es war ein durchaus freundliches Gespräch. Auf meine Frage hin hat Yanovskiy allerdings klargestellt, dass die Region Zentralasien eine Region ist, die für die Energieversorgung Russlands bzw. über Russland auch Europas da ist. Er meinte, das sei eine Frage der Wirtschaftsgeographie, Russland liege einfach näher und könne dort über existierende bzw. auszubauende Pipelinesysteme billiger zu Erdöl und Erdgas kommen.
Vor diesem Hintergrund mache es nicht viel Sinn, dass Europa versucht, sich einzumischen. Gesagt hat Yanovskiy ökonomisch, ich denke allerdings, er meinte auch den politischen Einfluss. Auf der anderen Seite ist Yanovskiy aber durchaus bereit, sich für eine stärker energiepolitische Kooperation im Sinne der Gegenseitigkeit zwischen Russland und Europa einzusetzen.

„Just-Russia-Party“

Nach diesem ersten eher fachlich orientierten Gespräch ging es weiter in den Föderationsrat, also in die erste bzw. zweite Kammer des russischen Parlaments. Wir trafen dort Serguey Mironov, den Präsidenten dieser Kammer, der formal der zweite Mann im Staate nach dem Staatspräsidenten ist. Er ist auch Vorsitzender der „Just-Russia-Party“, also „gerechtes Russland“. Diese Partei ist von Putin selbst gegründet worden, allerdings mit einem etwas linkeren Spektrum, was die innenpolitischen Fragen betrifft und hat auch die Aufgabe, sozialdemokratische bzw. sozialistisch orientierte Stimmen einzufangen. Das Wahlergebnis war allerdings nicht berauschend.
Mironov selbst ist ein strammer Nationalist. Das war wohl auch der Grund, warum die Fragen im Zusammenhang mit dem Kaukasus, der Kaukasuskrise und dem Krieg um Südossetien weiten Raum in seinen Darstellungen eingenommen haben. Im Anschluss an das Treffen mit ihm haben wir sehr ausführlich mit dem Fraktionsvorsitzenden „Just-Russia-Party“ gesprochen und einige andere Abgeordneten getroffen, die zu verschiedenen Sachgebieten Beiträge lieferten, insbesondere zu Wirtschaftsfragen und zur aktuellen Finanzkrise. Insgesamt unterstützt diese Partei Putin auf seinem nationalistischen Kurs, allerdings fordert sie in Fragen der Wirtschaftspolitik eine stärker sozial orientierte Politik ein und hat in diesem Sinn zuletzt auch das Budget Russlands abgelehnt, um zu signalisieren, dass sie hier andere Vorstellungen vertritt.

Großes Unverständnis

Anschließend trafen wir Andrey Klimov. Er ist ein außenpolitischer Mandatar der Duma und Co-Vorsitzender der gemeinsamen Delegation EU-Russland. Reino Paasilinna, ein finnischer Abgeordneter, ist der Vorsitzende auf europäischer Seite und war ebenfalls Mitglied unserer Delegation. Klimov hat sehr deutlich gemacht, dass es großes Unverständnis von russischer Seite gibt, wie Europa, insbesondere aber die USA, die Kaukasuskrise gesehen haben, wie sie einseitig auf die Seite von Saakasvilli und Georgien gestanden sind und die Aggression und den Beginn der Attacke durch Saakasvilli ignoriert haben. Wir haben dem entgegengehalten, dass wir das sehr wohl erkannt haben, dass wir allerdings die russische Reaktion als überzogen betrachtet und in den vergangenen Jahren auch nicht wirklich das Interesse Russlands an einer Lösung der Krise erkannt haben.
Immer wieder wurde der Kosovo ins Spiel gebracht und gemeint, wir hätten den Kosovo anerkannt, also dürften wir uns nicht wundern, dass Russland nun diesen Schritt getan habe. Auf die Frage, ob Russland bereit ist, jetzt auch den Kosovo anzuerkennen, gab es allerdings keine klare Antwort. Insgesamt war das Gespräch mit Klimov trotzdem äußerst positiv. Er ist gewohnt, mit Menschen Leuten aus dem Westen zu reden und er ist an einer engeren Zusammenarbeit und ständigen Kontakten interessiert. Natürlich haben auch wir unsere klare Absicht bekundet, diese Kontakte entsprechend fortzusetzen.

Ein anderes Russland

Abends hatten wir dann noch eine ausführliche Diskussion mit einigen EU-Botschaftern und mit dem Vertreter der EU-Kommission. Sie alle haben ihrerseits den Eindruck bestätigt, dass es Russland sehr schlecht aufgestoßen ist, wie sich die EU, aber noch viel stärker die USA verhalten haben und dass dieses Verhalten als extrem unfair eingeschätzt wird – wenngleich man anerkannt hat, dass Europa sich zu einer gemeinsamen Position durchgerungen hat und diese gemeinsame Position, die vor allem durch Sarkozy vertreten wurde, doch einigermaßen ausgewogen war.
Es wurde außerdem darauf hingewiesen, dass das Russland von heute ein anderes Russland ist, das insbesondere durch die hohen Energiepreise und durch hohe Preise für seine natürlichen Ressourcen wie Stahl und seltene Metalle und Mineralien über eine große Einnahmequelle verfügt, die zweifellos eine entsprechende Stärke für das Land selbst schafft. Was die Wirtschaftskrise betrifft, so war zu vernehmen, dass aufgrund der geringen Kreditanteile am gesamten Sozialprodukt Russland zwar von der Krise betroffen ist, aber nicht in jenem Ausmaß wie die Amerika oder Europa. Trotzdem muss ein Teil der finanziellen Ressourcen, die Russland angespart hat, auch dafür verwendet werden, die Krise abzufangen und die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise in Russland gering zu halten.