Berliner Schluss-Strich

Berlin braucht dringend unterschiedliche Visionen und auch eine Vision für seine historische Mitte, die derzeit ein katastrophales Bild abgibt.  
Heute haben wir – so hoffe ich zumindest – die letzte Sitzung unserer Internationalen Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ absolviert. Noch einmal prallten die Gegensätze zwischen Mehrheits- und Minderheitsmeinungen aufeinander. Inhaltlich sind die Dinge aber mehr oder weniger klar. Es geht im Wesentlichen nur mehr um die Form, in der die Minderheitsmeinung vertreten sein sollte.
Ich respektiere selbstverständlich die Minderheitsmeinung und sie muss ihren entsprechenden Platz finden. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die sachliche Argumentation im Vordergrund stehen sollte und keine abfällige und demagogische Bewertung, Beurteilung, ja Verurteilung der Mehrheit der Kommission. Bei einigen Mitgliedern, die in der Minderheit geblieben sind, ist unterm Strich offensichtlich die Einfältigkeit und Engstirnigkeit derjenigen, die die Minderheitsmeinung vertreten haben, Schuld.

Auf Schloss Bellevue

Gestern hatte ich die Möglichkeit, den deutschen Bundespräsidenten auf dessen Wunsch hin in seinem Amtssitz Schloss Bellevue zu besuchen und ihm über die Arbeit unserer Kommission zu berichten. Johannes Rau zeigte sich sehr interessiert und hat viele Nachfragen gestellt, hat sich aber nicht näher geäussert, welche Meinung er vertritt.
Wir haben am Rande auch über einige aktuelle politische Fragen gesprochen. So habe ich Rau unter anderem gesagt, dass seine Rede vor dem Europäischen Parlament die beste war, die wir dort jemals gehört haben. Das hat ihn gefreut, zumal, wie Rau berichtet hat, in der Öffentlichkeit so getan wird, als sei der einzige, der zu Europa eine Vision entfaltet hat, Joschka Fischer. In der Tat war er der Erste, der mit einer relativ publikumswirksamen Rede die Debatte über die Zukunft Europas eingeleitet hat. Aber seine Rede war keineswegs die beste und in manchen Gedankengängen sogar diffus. Es ist aber auch in der Europapolitik so, dass diejenigen, die provokant formulieren und permanent in der Öffentlichkeit stehen sich mit ihren Meinungen stärker durchsetzen als andere.

Im Roten Rathaus

Heute früh war ich bei einem Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, der einen sehr sympathischen Eindruck auf mich gemacht hat. Er argumentierte allerdings so, wie ich es schon gestern Abend von Berliner Vertretern bei einer Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung, an der immerhin 500 Menschen teilgenommen haben, gehört hatte: „Wenn die deutsche Bundesregierung in der Mitte Berlins etwas bauen möchte, so ist das nicht unser Problem. Wir haben jedenfalls kein Geld!“.

Berlin braucht Visionen!

Ich kann bis zu einem gewissen Grad verstehen, dass eine grosse Stadt wie Berlin, die unter massiven finanziellen Problemen leidet, sich nicht auf die Aufgabe eines Gebäudes, das oft verkürzt „das Schloss“ genannt wird, konzentrieren möchte. Diese Stadt braucht aber dringend unterschiedliche Visionen und auch eine Vision für die Mitte Berlins, die derzeit ein katastrophales Bild abgibt. Diese visionäre Kraft vermisse ich bei den Vertretern Berlins. Das trifft auch auf Thomas Flierl, den aus der PDS kommenden Kultursenator, zu, den ich aufgrund meiner gestrigen Begegnung bei der bereits erwähnten Veranstaltung zumindest sympathischer und ehrlicher finde, als ich ihn mir durch die mediale Wahrnehmung vorgestellt habe.
Die Verstrickungen in Zusammenhang mit der Neugestaltung der Berliner Mitte sind jedenfalls nach wie vor stark gegeben. Ich weiss nicht, wie die politischen Knoten zu lösen sein werden. Ich werde jedenfalls in einem Brief an den deutschen Bundeskanzler darauf hinweisen, dass es extrem wichtig wäre, gezielte Zwischenschritte zu unternehmen, selbst wenn man die eigentliche Entscheidung für die Inangriffnahme des Projektes noch nicht treffen und sich vor allem noch nicht entscheiden möchte, ob tatsächlich das Schloss oder eine Alternative mit ausschließlich neuer Architektur errichtet werden soll.  
Berlin, 6.3.2002