Überraschend positiv

Mit dem Terminus der begrenzten Souveränität im Kosovo und der höheren Bereitschaft Serbiens, in den konkreten Verhandlungen eine aktive Rolle zu spielen und möglicherweise im Kosovo selbst Details zu vereinbaren kommt es zu Annäherungen.
Gestern Nachmittag fuhren wir mit dem Bus von Mitrovica über Pristina nach Belgrad.

Das Tor 3

Während dieser Fahrt haben wir eine Straße passiert, an der das so genannte Tor 3 liegt. Es handelt sich dabei um einen Übergang, der kein eigentlicher Grenzübergang ist. Formell gehört der Kosovo ja zu Serbien – so wurde es zumindest in der entsprechenden UNO-Resolution festgelegt. Dennoch ist das Tor 3 eine interne Grenze. Serbische Polizei und serbisches Militär dürfen, können und wollen auch gar nicht in den Kosovo, da es so nur zu Problemen kommen würde.
Beim Passieren dieser „Grenze“ sind wir, wirft man einen Blick in unsere Pässe, gar nicht offiziell eingereist. Wir hatten auch in Pristina keinen Stempel erhalten. Und so fürchteten wir, bei der Ausreise von Belgrad in Schwierigkeiten zu geraten. Das sollte sich nicht bewahrheiten. Das Innen- wie das Außenministerium in Belgrad hatten den Grenzbehörden am Flughafen unsere Ausreise bereits avisiert, und so verlief schließlich alles problemlos.

Schlechte Anbindung

Die Busfahrt nach Belgrad hatte sich endlos gezogen. Wir waren gegen 16.30 Uhr in Mitrovica abgefahren und kamen erst gegen 22.30 Uhr in Belgrad an. Die Fahrt führte uns über Landstraßen, auch über jene, die Nis an der Autobahn mit dem Kosovo verbindet. Diese äußerst schlechte Anbindung lässt kein wirklich großes Interesse Belgrads am Kosovo erkennen. Die Autobahn hingegen ist gut befahrbar, es war zudem wenig Verkehr.
Eine Polizeieskorte, die uns während der gesamten Fahrt begleitete, hinderte unseren Chauffeur allerdings daran, die Geschwindigkeitsbegrenzung zu umgehen – sie diente aber in erster Linie unserer Sicherheit.

Neue stellvertretende Ministerpräsidentin

Heute Morgen fand ein Arbeitsfrühstück mit den verschiedenen Botschaftern statt. Wir haben mit ihnen die aktuellen Entwicklungen der Situation in Belgrad diskutiert. Im Anschluss daran nahm ich gemeinsam mit Doris Pack und Karl von Wogau, dem Vorsitzenden des Unterausschusses für Sicherheit, die Einladung zu einem kurzfristig angesetzten Besuch bei der neuen stellvertretenden Ministerpräsidentin Serbiens, Gojkovic Maja, wahr.
Sie ist dem früheren stellvertretenden Ministerpräsident Labus nachgefolgt, der zurückgetreten war, nachdem die Verhandlungen mit Serbien über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abgebrochen wurden. Der Grund für diesen Abbruch lag in der nicht voranschreitenden Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshofes hinsichtlich des vermeintlichen Kriegsverbrechers Mladic. Die Mehrheit der Partei von Labus hat seinen Schritt nicht mit vollzogen. So kam es zu einer Neunominierung, im Zuge derer die bisherige Agrarministerin zur neuen stellvertretenden Ministerpräsidentin ernannt worden ist.

Vorwärts gewandt

Unser Treffen war kurz, und Gojkovic Maja schien mir einerseits noch etwas unsicher und in einzelnen Detailfragen nicht besonders gut informiert zu sein. Andererseits machte sie aber einen durchaus vorwärts gewandten Eindruck und bekräftigte, dass sie unbedingt den europäischen Weg weitergehen möchte.
Sie ist außerdem als Chefverhandlerin des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union vorgesehen. Bleibt zu hoffen, dass es hier bald neue Fortschritte gibt und die Verhandlungen wieder aufgenommen werden.

Kosovo-Chefverhandlerin

Danach trafen wir Sandra Raskovic-Ivic, der Chefverhandlerin auf serbischer Seite bezüglich des Kosovo-Status. Raskovic-Ivic war uns im Vorfeld als harte Gesprächspartnerin angekündigt worden, und so hatten wir uns auf ein entsprechendes Wortgefecht vorbereitet. Das Gespräch mit ihr verlief aber wider Erwarten ruhig und an Details orientiert. Ich habe sie gebeten mitzuhelfen, dass die serbische Seite im Kosovo gemeinsame Positionen vertritt und aktiv an den Gesprächen teilnimmt.
Raskovic-Ivic war dieser Bitte nicht abgeneigt. Sie kritisierte zwar, dass die Mehrheit im Kosovo oft Vorschläge niederstimmt und die Minderheitenposition nicht genügend berücksichtigt. Aber man spürte deutlich, dass sie die Botschaft verstanden hat: Je geringer die Teilnahme der Serben an den jeweiligen Gesprächen ist, desto schwieriger wird sich die Ausgangslage gestalten.

Außenminister Vuk Draskovic

Vor diesem Treffen hatte ein Gespräch mit Außenminister Vuk Draskovic stattgefunden. Er ist bis vor kurzem Außenminister des Gesamtstaates Serbien-Montenegro gewesen, Serbien hatte ja keinen eigenen Außenminister. Heute ist er der provisorische Außenminister Serbiens. Es ist nicht sicher, ob Draskovic wieder gewählt wird.
Er vertrat bei unserem Zusammentreffen eine äußerst harte Linie. Aus seiner Sicht kann Serbien hinsichtlich des Kosovo nie eine andere Regelung des UNO-Sicherheitsrates – der letztendlich zu entscheiden hat – akzeptieren als jene der Nicht-Unabhängigkeit. Vuk Draskovic ist eine schillernde Figur, ein Anhänger der Monarchie und Schriftsteller. Er war lange Zeit Gegner von Milosevic, war dann aber Mitglied in dessen Regierung. Und er verriet Zoran Djindjic, den damaligen Bürgermeister Belgrads und entzog ihm sein Vertrauen, als er kurzzeitig zu Milosevic überzutreten.

Die Rolle der Religion

Im Anschluss besuchten wir den Patriarchen Pavle, den Chef der serbisch-orthodoxen Kirche. Wir hatten uns auch hier bereits auf eine schroffe Begegnung vorbereitet. Doch es kam anders. Pavle ist 92 Jahre alt, von kleiner, zarter Statur und reagierte letztendlich wesentlich flexibler und offener als wir das gedacht hätten – auch wenn er sich natürlich nicht für die Unabhängigkeit des Kosovo ausgesprochen hat. An seiner Seite war ein sehr junger Priester, der auch als Dolmetscher fungierte.
Dieser hat kürzlich im Kosovo an einem Treffen der verschiedenen Religionsführer teilgenommen, bei dem es darum ging, Voraussetzungen für die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Religionen zu schaffen und damit zu einem friedlichen und konfliktfreien Zusammenleben in gegenseitigem Respekt beizutragen. Die Kirchen können in diesem Zusammenhang zweifellos nur einen kleinen Beitrag leisten und keinesfalls in die Rolle der Politik schlüpfen. Aber sie können sich sehr wohl gegen die nationalistische Schiene, wie sie etwa Bischof Artemije fährt, wenden und eine Konsens und Respekt orientierte Linie vertreten, wie sie in diesem Gespräch zum Ausdruck gekommen ist.

Heikle Begrifflichkeiten

Ich wies in dem Gespräch mit dem Patriarchen darauf hin, dass die neue stellvertretende Premierministerin Serbiens als Kroatin stark attackiert worden ist und leider auch der sonst gesprächsbereite Bischof von Novisad in der Vojvodina – jener Region, aus der die Politikerin stammt – nicht bereit war, einen gemeinsamen Brief gegen die serbischen nationalistischen Angriffe zu unterzeichnen.
Darauf antwortete Pavle mit lapidaren Floskeln. Er selbst sei ebenfalls in Kroatien geboren, man solle in dieser Frage nicht engstirnig sein. Der Bischof von Tuzla in Bosnien-Herzegowina, der bei dem Treffen ebenfalls anwesend war, argumentierte hingegen äußerst positiv und meinte, Serbien könne stolz sein, eine stellvertretende Ministerpräsidentin aus Kroatien zu haben. Allerdings meinte er auch, dass die Klöster im Kosovo eher Konzentrationslagern gleichen würden – sie seien mit Stacheldraht umgeben, die Menschen könnten dort nicht in Sicherheit leben, etc. Eine grüne Abgeordnete aus unserer Delegation erwiderte zu Recht, dass man den Begriff Konzentrationslager äußerst zurückhaltend und vorsichtig verwenden sollte. Trotzdem war das Gespräch insgesamt positiver verlaufen, als wir das erwartet hatten.

Boris Tadic und Vojislav Kostunica

Am Nachmittag trafen wir schließlich Boris Tadic, den Präsidenten Serbiens, der seit der Unabhängigkeit Montenegros Staatspräsident ist. Ich bin mit Tadic in diesem Jahr bereits fünf Mal zusammengetroffen und kenne ihn inzwischen sehr gut. Er hat versprochen, sich in seiner neuen Funktion als Oberbefehlshaber des Militärs besonders für die Auslieferung von Mladic einzusetzen und möchte hier entsprechende Fortschritte erzielen. Hinsichtlich des Kosovo zeigte er sich wie schon bisher sehr skeptisch, argumentierte aber nicht so scharf wie in der Vergangenheit. Das gleiche traf übrigens auch auf Premierminister Vojislav Kostunica zu, mit dem ich ebenfalls schon öfter zusammengetroffen bin.
Auch der EU-Botschafter, der an unserem Gespräch mit dem Premierminister zu Mittag teilgenommen hatte, hatte das Treffen als sehr angenehm empfunden. Kostunica zeigte sich wesentlich weicher und entgegenkommender als in den vergangenen Wochen, vor allem nach der Trennung Montenegros, anlässlich derer es einige scharfe und unnotwendige Erklärungen von Kostunica, nicht zuletzt gegenüber der Europäischen Union, gegeben hat.

Große Fortschritte

Insgesamt hofft Serbien, einen Aktionsplan mit der EU abzuschließen – ähnlich wie das bei Kroatien der Fall war. Es ist bereit, die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof hinsichtlich der Auslieferung von Mladic zu intensivieren und die Wiederaufnahme der Verhandlungen zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen vorzunehmen. Die Serben wollen sich außerdem aktiv an den Verhandlungen zum Kosovo-Status beteiligen.
Aus all diesen Gründen waren wir von den Gesprächen, die wir in Belgrad geführt haben, positiv überrascht. Wir hatten mit größerer Zurückhaltung und potentiellen Konfliktsituationen gerechnet. Zugegeben, es gibt keine endgültige Lösung. Aber mit dem Terminus der begrenzten Souveränität im Kosovo einerseits und der höheren Bereitschaft Serbiens, in den konkreten Verhandlungen eine aktive Rolle zu spielen und möglicherweise im Kosovo selbst Details zu vereinbaren andererseits kommt es zu Annäherungen. Selbst wenn Serbien nicht unterzeichnen sollte, ist eine Lösung möglich, die in Serbien – mit Murren – akzeptiert werden kann und mit der die Serben leben können. Und das wäre schon ein riesiger Fortschritt.

Belgrad, 23.6.2006