Better regulation!

Wir brauchen in Europa eine bessere, effizientere und nachvollziehbarere Gesetzgebung.
Die englische Präsidentschaft hat sich in den vergangenen Tagen im Europäischen Parlament sehr aktiv und präsent gezeigt. Der britische Innenminister Charles Clark war in unserer Fraktion zu Besuch. Anschließend kam er ins Plenum zu einer ausführlichen Diskussion über Fragen der Sicherheit, des Kampfes gegen den Terrorismus und des schwierigen Gleichgewichts zwischen diesem Kampf einerseits und der Bewahrung und Sicherung der Grund- und Freiheitsrechte andererseits.

Terrorismuserfahrungen

Ein Land wie Großbritannien, das seine Erfahrungen zuerst mit dem nord-irischen bzw. irischen und jüngst mit dem islamischen Terrorismus gemacht hat, ist verständlicherweise entschlossen, all jene Maßnahmen zu ergreifen, die es für notwendig hält, um dem Terrorismus Einhalt zu gebieten.
Derartige Maßnahmen greifen allerdings in die Grund- und Freiheitsrechte ein, beispielsweise wenn es zum Aufzeichnen von Daten von Telefongesprächen über mehrere Monate oder ein bis eineinhalb Jahre hinweg oder zum Überwachen öffentlicher Plätze mit Videokameras, etc. kommt.

Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte

Ich persönlich bin in dieser Frage durchaus bereit, stärkere Kompromisse einzugehen. Der Kampf gegen den Terrorismus hat aus meiner Sicht einen hohen Stellenwert bei der generellen Erhaltung von Grund- und Freiheitsrechten in der Gesellschaft, und genau aus diesem Grund sind für mich derartige individuelle Einschränkungen vertretbar. Allerdings nur dann, wenn auch belegt werden kann, dass die entsprechenden Maßnahmen tatsächlich entweder zur Verhinderung von terroristischen Angriffen führen oder zumindest zur rascheren und effektiveren Aufklärung über terroristischen Aktivitäten beitragen.
Hier wird es noch schwierige Diskussionen geben, mit dem Ergebnis, dass wir diese individuellen Einschränkungen in einem größeren Ausmaß als man vor fünf oder zehn Jahren angenommen hätte, zur Kenntnis nehmen werden müssen. Und mit dem Ziel, einen beträchtlichen Beitrag zur Aufklärung vermeintlicher oder tatsächlich durchgeführter terroristischer Anschläge zu erhalten.

Öffnung der Märkte

Die britische Präsidentschaft ist auch in anderen Bereichen äußerst aktiv. Der stellvertretende Premierminister John Prescott war Gast eines unserer Fraktionsvorstandsabendessen in Strassburg. Er ist für die politische Koordination der Präsidentschaft verantwortlich. Wir führten mit ihm eine sehr lebendige Diskussion, vor allem über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie den Stellenwert der beschäftigungspolitischen und strukturverbessernden Maßnahmen. Dabei stand auch die Öffnung unserer Märkte sowie die Frage, wie wir die Menschen von den Einflüssen der Globalisierung nicht abschotten, sondern ihnen helfen und sie dabei unterstützen können, diese Einflüsse besser zu bewältigen, im Mittelpunkt.
Diese Frage scheint heute generell eine durch Europa verlaufende Trennungslinie zu sein: versucht man angesichts der Globalisierung und der unterschiedlichen Herausforderungen durch die neuen Entwicklungen in China, Indien, etc., die Öffnung der Märkte abzubremsen und Sektoren oder Teilbereiche zu schützen oder bemüht man sich, die Märkte zu öffnen und parallel dazu den Menschen zu helfen, neue Jobs zu finden und bessere Möglichkeiten durch entsprechende Ausbildungsmaßnahmen zu erhalten.

„Incapacity benefits“

Es scheint, dass letztere Variante die Erfolgreichere ist. Das zeigen zumindest die verschiedenen Daten der nordischen Länder, aber auch Großbritanniens – wenngleich zuletzt durch Statistiken belegt wurde, dass gerade in Großbritannien in einem Gutteil der strukturschwachen Gebiete zwar eine niedrige Arbeitslosigkeit herrscht. Dieser steht aber eine relativ hohe Anzahl von Unterstützungen gegenüber, die unter dem Titel der der Invalidität bzw. der Unfähigkeit, einen neuen Job zu bekommen oder diesen auch erfolgreich zu bewältigen, geführt werden.
Diese so genannten „incapacity benefits“ machen in etlichen Gebieten einen bedeutenden Teil aus. Die Menschen, die die incapacity benefits erhalten, sind oft eine größere Anzahl als die eigentlich Arbeitslosen, die auf dem Arbeitsmarkt noch aufscheinen.

Investitionen der öffentlichen Hand

Aus meiner Sicht ist es absolut notwendig, auf dem Arbeitsmarkt – durch die öffentliche Hand – aktiv aufzutreten. Wir müssen in Bildung, Ausbildung und Weiterbildung investieren, aber auch in die Infrastruktur und die Verbesserung der strukturschwachen Gebiete. Man wird sich überlegen müssen, ob es nicht gerade seitens Europas entsprechende Unterstützungsmaßnahmen wird geben müssen. Das wäre ein geeignetes Signal zu zeigen, dass Europa nicht nur den Wettbewerb und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, sondern vor allem auch jenen hilft, die unter dem internationalen Wettbewerb und der Öffnung der Märkte leiden.
Hier gilt es noch einiges zu tun – gerade auch in Hinblick auf den Ende Oktober in Großbritannien stattfindenden – informellen – Gipfel. Hier sollte über Modelle der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Europa nachgedacht und auch entsprechende Ideen geliefert werden. Die EU-Kommission dagegen müsste aus meiner Sicht mehr als Ideen liefern: Sie sollte konkrete Vorschläge präsentieren.

Präsidentschaftserwachen

Auch die österreichische Präsidentschaft ist in letzter Zeit aufgewacht. Die Außenministerin ist kürzlich ins Europäische Parlament gekommen. Zwar hat sie ihren Aufenthalt in Straßburg gekürzt, aber immerhin im Rahmen eines Arbeitsmittagessens mit uns die wesentlichen Zielsetzungen und Ideen zur Präsidentschaft durchdiskutiert.
In den nächsten Wochen wird uns eine Reihe von Ministern besuchen, um mit uns und hoffentlich auch mit den Fraktionen Gespräche zu führen. Der Vorstand unserer Fraktion plant im Gegenzug, die österreichische Regierung zu besuchen, vorgesehen ist dafür derzeit der 9. Dezember. Bei dieser Gelegenheit soll mit dem Bundeskanzler und anderen österreichischen PolitikerInnen die Präsidentschaft aus parlamentarischer Sicht vorbereitet werden.

Gemeinsam Kompromisse finden

Es gibt in verschiedenen Fragen zweifellos politische Differenzen zwischen der sozialdemokratischen Fraktion und dem, was die österreichische Regierung vertritt. Wir müssen aber trotzdem versuchen, einen Kompromissweg zu finden – gilt es doch, gemeinsam einige größere Probleme zu bewältigen. Weder als Fraktion noch als österreichische Delegation haben wir Interesse daran, dass die Regierung an der Präsidentschaft scheitert.
Das wäre nicht ein Scheitern der österreichischen Regierung, sondern ein Scheitern Europas. Und es würde eine Verzögerung der europäischen Politik bedeuten, die sich ebenfalls negativ auf das Image der Europäischen Union bei den eigenen BürgerInnen auswirken würde. Es ist aber vor allem unsere Angelegenheit, mit den BürgerInnen stärker und besser zu kommunizieren. Wir müssen erklären, welche Gesetze wir beschließen und warum wir sie beschließen. Das ist nicht immer leicht, weil es oft zu extrem simplen und demagogischen Präsentationen einiger Ideen und Vorschläge kommt.

Die Dekoltee-Verordnung

So ist erst vor kurzem eine als Dekoltee-Verordnung in die österreichischen Medien eingegangene Verordnung beschlossen worden, die eigentlich nur geregelt hat, dass im Rahmen des Arbeitnehmerschutzes auch natürliche Strahlungen wie intensive Sonnenbestrahlung, die in der Folge Hautkrebs verursachen kann, mit zu berücksichtigen sind. Die Aufregung in den heimischen Blättern war groß. Dabei sollte weder das Dekoltee der Serviererin im Freien verboten noch das Tragen von T-Shirts für Bauarbeiter erzwungen werden.
Gerade in solchen Fällen sollte man sorgfältiger argumentieren und begründen, was das eigentliche Ziel einer derartigen Verordnung ist. Es geht prinzipiell nicht darum, Vorschriften zu machen. Im konkreten Fall sollte bewirkt werden, dass die einzelnen nationalen Regierungen darauf achten, dass Arbeitgeber ihre ArbeitnehmerInnen auf mögliche Risken aufmerksam machen – im Sinne einer Prävention bzw. Verhinderung von Krankheiten. Das ist aus meiner Sicht ein guter Grund für das Vorgehen der Europäischen Union.

Gratwanderung

Es mag auch gute Gründe geben, nicht einzugreifen. Letztendlich kann man immer darüber streiten, ob ein Gesetz gut oder schlecht ist. Aber man kann es nicht einfach als Blödheit, Sturheit oder bürokratischen Irrsinn abtun, wenn versucht wird, von europäischer Seite eine entsprechende Regelung zu treffen.
Vor kurzem wurde ich von einem Teilnehmer einer Besuchergruppe im Europäischen Parlament gefragt, warum Europa sich nicht darum kümmert, dass Baustellen besser und nach einem einheitlichen System abgesichert werden, um Unfälle zu verhindern. Ich habe ihm geantwortet, dass auch hier wieder die Gefahr eines Aufschreis über die Dummköpfe in Brüssel bestünde, die nichts anderes im Kopf hätten, als einheitliche Regelungen und Harmonisierungen zu erlassen.

Bessere Gesetzgebung

Zwischenzeitlich hat sich eine Initiative der Europäischen Kommission gebildet, die auf besonderes Interesse der britischen Präsidentschaft stößt und uns auch im Laufe der österreichischen und der finnischen Präsidentschaft noch beschäftigen wird. Unter dem Titel „better regulation“, d.h. bessere Gesetzgebung, wird die Kommission künftig ihre eigenen Vorschläge, die in der Schublade liegen oder schon aus der Schublade herausgenommen wurden, auf Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit überprüfen.
In unserer Fraktion gibt es dazu geteilte Reaktionen. Einige meinen, es handle sich um gefährliche Ansätze, weil viele sozialpolitische und konsumentenrechtliche Punkte unter den Tisch fallen würden. Ich dagegen glaube, man sollte diese Initiative grundsätzlich unterstützen. Auch wir müssen ein Interesse an besserer, effizienterer Gesetzgebung haben. Daher geht es nicht um Weniger und Mehr – beides ist nicht gut -, sondern um die Qualität der Gesetzgebung: um eine bessere Vorbereitung und Begründung sowie um eine Überprüfung der Auswirkung der Gesetze.

Beabsichtigte Gesetzgebung macht keinen Sinn

Ich bin überzeugt, dass wir viele Gesetze machen, die in der Folge gar nicht angewendet werden – selbst wenn sie formal in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden. Grund genug, diesen Bereich zu durchforsten. Parlament, Rat und Kommission sollten dabei gemeinsam vorgehen und den BürgerInnen endlich klar machen, dass es keinen Automatismus von Gesetzen gibt, sondern klare inhaltliche Zielvorstellungen.
Wenn beispielsweise kürzlich die EU-Kommission erwähnt hat, dass der Versuch, das Wochenendfahrverbot für Lkws zu harmonisieren, aufgegeben werden soll, dann ist das ein typisches Beispiel für eine beabsichtigte Gesetzgebung, die keinen Sinn macht. Bereits zwei Mal wurde diese Frage im Europäischen Parlament behandelt. Wir haben sie in ihren Kernaussagen abgelehnt und uns darauf geeinigt, dass die bestehenden Regeln beibehalten werden könnten und eine Harmonisierung in Zukunft stattfinden soll.

Erklären, worum es geht

Aus meiner Sicht geht es eigentlich nur darum, dass es eine rechtzeitige Informationen über die entsprechenden Maßnahmen gibt, im konkreten Fall vor allem über eine Veränderung der bestehenden Fahrverbote. Niemand wird extrem ungünstige und beliebige Fahrverbote verhängen, wenn sie nicht ökologisch begründet sind, weil diese auch die wirtschaftliche Entwicklung einer Region gefährden können. Sinnvoll ausbalancierte Fahrverbote dagegen sind gut und wichtig. Zudem ist die Tradition in Deutschland und Österreich eine andere als in Spanien, Polen oder Holland. Auch das sollte man entsprechend berücksichtigen.
Harmonisierung ist also nicht immer etwas Gutes, manchmal ist sie sogar inakzeptable Gleichschalterei. Daher sollte man sehr offen an die Dinge herangehen und sich darauf konzentrieren, die Gesetzgebung vom Anfang bis zur Umsetzung der Gesetze konzentrierter und bürgerfreundlicher zu gestalten. Manche stellen die Bemühungen, zu einer „better regulation“ zu kommen, mit einer Hörigkeit der Gesetzgebung gegenüber den Interessen der Wirtschaft gleich. Das halte ich als Sozialdemokrat für falsch. Es sind unsere Bürgerinnen und Bürger, die viele Regelungen nicht verstehen. Und deshalb sollte man versuchen, ihnen den Gesetzgebungsprozess besser zu erklären oder ihn gleich ganz unterlassen – um es sehr simpel zu sagen.
Wien, 17.9.2005