Blockade des Fortschritts

In der Föderation Bosnien-Herzegowina blockiert man sich derzeit gegenseitig und weigert sich, die vereinbarten Reformen umzusetzen.
Diese Woche ist eine sitzungsfreie Woche im Europäischen Parlament. Sie dient aber nicht dem Urlaub, sondern vor allem Besuchen im Rahmen meiner Tätigkeit als europäischer Abgeordneter, ohne dass ich gleichzeitig wichtige Sitzungen im Parlament versäume.

Keine Bewegung bei Polizei- und Verfassungsreform

Sonntagabend fuhr ich mit der Südosteuropadelegation des Europäischen Parlaments nach Sarajewo. Der gestrige Montag war verschiedenen politischen Gesprächen gewidmet. Vormittags trafen wir unter anderem mit dem Hohen Beauftragten der Internationalen Gemeinschaft und der EU, mit dem slowakischen Diplomaten Lajcak sowie mit Vertretern des Parlamentspräsidiums zusammen.
Am Nachmittag fanden dann die eigentlichen Diskussionen mit unseren KollegInnen aus dem bosnisch-herzegowinischen Parlament statt. Es war enttäuschend zu sehen, dass seit unserem letzten Besuch von Doris Pack und mir im Sommer des vergangenen Jahres nichts weitergegangen ist. Unsere Appelle an die ParlamentarierInnen, dass sie Druck zur Umsetzung einer Verfassungs- und Polizeireform machen sollen, haben eigentlich nichts genützt. Die betreffenden PolitikerInnen haben zwar Grundsatzvereinbarungen getroffen, aus diesen ist aber kein Gesetzesentwurf entstanden, der von den Parlamentariern zu behandeln gewesen wäre.

Drohung der Abspaltung

Hinzu kommt, dass Premierminister Dodik – er leitet den wirtschaftlich erfolgreichsten Teil des Landes, die Republika Srpska -, mit der Möglichkeit einer Abspaltung gedroht hat. Das war seine Reaktion auf die Wünsche, Vorstellungen und Ziele des anderen Teils der sogenannten Föderation, in der Bosnier und Kroaten versammelt sind. Dessen Ziel ist es, die einzelnen Identitäten aufzuheben und einen einheitlichen Gesamtstaat zu bilden, in dem die Serben in der Minderheit bleiben würden. Dieser Streit geht hin und her, man blockiert sich gegenseitig und weigert sich, die vereinbarten Reformen umzusetzen. Einmal ist es mehr die serbische Seite, einmal mehr die bosnische, dann wieder die kroatische Seite.
Insgesamt denkt offensichtlich niemand an die Zukunft des Landes und besonders an die Zukunft der Jugend und deren Möglichkeiten. In der Folge wird auch die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen blockiert, weil es eben nicht zu den entsprechenden Fortschritten kommt. Diese Tatsache ist äußerst betrüblich.

Blockade-Kreislauf

Wir haben eindringlich an die Abgeordneten appelliert, diesen Kreislauf zu stoppen. Allerdings ist ihnen bewusst, dass sie nichts tun und keinen Einfluss ausüben können, solange es keinen Gesetzesentwurf der Regierung gibt und sich die politischen Führer nicht einigen. Soweit zur traurigen Situation, in der wir uns derzeit befinden.
Wir haben im Zuge unseres Besuches in Sarajewo auch die Botschafter aller EU-Mitgliedsländer getroffen. Aber all diese Gespräche führen nicht wirklich zu einem Fortschritt im Lande, und das ist mehr als bedauerlich. Es gibt Länder, die wesentlich konstruktiver agieren. Andererseits sind wir momentan durch den Kosovo vor eine äußerst fragile und unsichere Situation gestellt. Gerade vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, in Bosnien-Herzegowina einen stabilen und sich weiterentwickelnden Staat zu haben, der auch in Zukunft auf den beiden Entitäten bzw. Teilstaaten beruht und trotzdem den zentralen Autoritäten wie Ministerien, etc. die Möglichkeit gibt, entsprechend aufzutreten.

Ethnischer Proporz

Zugegeben, die Situation ist in allen Staaten, die ethnisch eingeteilt sind und in denen man von vornherein den einzelnen Ethnien entweder bestimmte Positionen zuteilt oder alle Positionen auf Ethnien aufteilt und damit eine Art ethnischen Proporz schafft, extrem schwierig. Ein solches Vorgehen führt generell zu Blockaden.
Ich will nicht die Situation des Libanons heraufbeschwören, wo das ganz extrem der Fall ist – noch dazu in einer wesentlich unsicheren und gespannteren Region. Dennoch drängt sich mir dieser Vergleich ein bisschen auf. Ich glaube nicht, dass es zu kriegerischen und gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen wird, aber die Blockade des Fortschritts und die Unmöglichkeit für das Parlament, aktiv zu werden, weil sich die politischen Spitzen nicht einig sind, deuten in diese Richtung.

Sarajevo, 5.2.2008