Brüsseler Wahlnachlese

Wiir müssen uns noch mehr bemühen, eine direkte Beziehung zwischen unserem Einsatz im EU-Parlament und den nationalen Auseinandersetzungen und Bestrebungen herzustellen.
Die ersten Beratungen mit den neuen – nationalen – Delegationsleitern innerhalb unserer Fraktion sind gut verlaufen. Dabei hat sich das Bild einer sehr hetereogenen Beeinflussung und Bestimmung der Wahlergebnisse bestätigt. Die jeweilige politische Situation in den einzelnen Mitgliedsländern, die unterschiedliche Mediensituation etc. waren wesentliche Gründe für den unterschiedlichen Wahlausgang.
Dort, wo Regierungen – wie in Spanien und insbesondere in der Slowakei – als Unterstützer in der Wirtschaftskrise angesehen wurden und die Opposition keine glaubwürdigen Alternativengeboten haben, konnten auch die an der Regierung federführend beteiligten Sozialisten mit Zustimmung und sogar Zuwächsen rechnen.

Beziehung zur nationalen Ebene herstellen

Mehrere Vertreter kritisierten den mangelnden Einsatz der Gewerkschaften. Dem konnte ich jedenfalls nicht zustimmen. Insbesondere jene Gewerkschaften, die klar unseren Einsatz in den letzten Jahren nachvollziehen konnten, waren sehr fleissig unterwegs und haben uns in Österreich unterstützt. Im besonderen Masse gilt dies für jene Gewerkschafter, die die Dienstleistungen im öffentlichen Interesse vertreten und unseren Kampf gegen die Liberalisierung und Privatisierung dieser Leistungen schätzen gelernt haben.
Meine generelle Schlussfolgerung aus dem Wahlkampf und der Diskussion lautet, dass wir uns noch mehr bemühen müssen, eine direkte Beziehung zwischen unserem Einsatz im EU-Parlament und den nationalen Auseinandersetzungen und Bestrebungen herzustellen. Oftmals wird diese Vermittlungsarbeit ob der Fülle der Detailarbeit im Parlament vergessen. Allerdings braucht es auch Transporteure dieser Arbeit zu Hause, seien es die Medien oder die MitarbeiterInnen der Partei.

Allianz „Sozialisten und Demokraten“

Nach der Diskussion der Wahlergebnisse entschieden wir uns, mit den italienischen Freunden der Demokratischen Partei, die aus einer Fusion der Sozialisten und der Liberal-Grünen entstanden ist, eine Allianz einzugehen. Zu diesem Zwecke bilden wir nun eine neue Fraktion, die vorläufig den Titel „Sozialisten und Demokraten“ trägt. Mir würde ein einfacher Titel unter Zusammenziehung der beiden Elemente als Sozialdemokraten zwar besser gefallen, aber dafür gab es keine Zustimmung der Italiener.
Im übrigen vereinbarten wir mit der Europäischen Volkspartei, ein „technisches“ Abkommen zu schliessen, das die Wahl des Parlamentspräsidenten und die Aufteilung der Vorsitzenden der Ausschüsse betrifft. Ganz explizit soll dieses Abkommen keine politische Vereinbarung enthalten. Weder geht es dabei um eine Koalitionsvereinbarung noch um eine Zustimmung zu Barroso als Kommissionspräsident.

Es gibt keinen „neuen“Barroso

Auch über diese Frage wurde ausführlich diskutiert. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum auch sozialdemokratische Regierungschefs auf eine rasche Entscheidung über den Kommissionspräsidenten drängen und noch dazu auf einer Wiederbestellung Barrosos beharren. Der Barroso der Vergangenheit verdient das Vertrauen der Sozialdemokratie nicht, und einen neuen Barroso mit neuen Ideen und Vorstellungen habe ich noch nicht gesehen. Und sein unermüdliches Drängen auf eine rasche Wiederbestellung macht die Sache noch suspekter. Er sollte viel mehr seine Energie darauf legen, wie wir die mangelnde Unterstützung für das Projekt Europa beheben und mehr Sympathie für die EU wecken können.
Wir haben uns in der Fraktion jedenfalls einstimmig für eine Verschiebung der Bestellung Barrosos ausgesprochen, um genügend Zeit zu haben, die verfassungsrechtlichen und politischen Fragen diskutieren zu können. Immerhin gilt derzeit noch der Vertrag von Nizza, aber es könnte sein, dass zum Zeitpunkt der Bestellung der Gesamtkommission bereits der Vertrag von Lissabonin Kraft ist. Auch diese Rechtsproblematik ist zu bedenken. Zunächst sind aber jedenfalls die politischen Vorstellungen des Kommissionspräsidenten vorzulegen und zu diskutieren, bevor eine Entscheidung über den zukünftigen Kosmmissionspräsidenten zu treffen ist. Ich hoffe, die Regierungschefs, die ja dem Parlament einen Vorschlag zu unterbreiten haben, sind einsichtig und vernünftig genug, um einem demokratischen Prozess eine Chance zu geben.

Brüssel, 16.6.2009