Bush kommt in ein gestärktes Europa

An Gewicht gegenüber der USA und damit auch an Anerkennung als Partner gewinnen wir weniger durch Polemik als dadurch, dass wir unsere eigene Politik und Strategie definieren und umsetzen.
Condolezza Rice war in Europa, Bush kommt am 22. Februar nach Europa. Gelegenheit und Notwendigkeit, über das Verhältnis EU – USA nachzudenken und ihm eine neue Chance zu geben. Dabei besteht die große Schwierigkeit, hinter den Äußerungen führender amerikanischer Politiker eine klare Strategie zu erkennen, so es eine solche gibt.

Fehlende Strategie der USA

Im Rahmen einer jüngeren Diskussion im Transatlantic-Policy-Network meinte mir gegenüber ein US-Politikwissenschafter, die Bush-Administration habe eine Vision der Welt und definiere nationale Interessen, sie habe aber keine Strategie.
Auch wenn in jüngster Zeit viel von einer "Grand Strategy" für Amerika und von einer "Grand Alliance" zwischen USA und EU die Rede ist, also der Begriff Strategie inflationär gebraucht wird, ist wenig von einer konsistenten Strategie der USA zu bemerken.

Gestärktes Europa

Zu bemerken ist allerdings, dass die EU heute ernster genommen wird als noch vor einem oder zwei Jahren. Die Erweiterung zum 1.5.2004, die klare und gleichzeitig pragmatische Haltung zu den Wahlen in der Ukraine, die Entscheidung, mit der Türkei – langfristig angelegte – Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, das Bemühen auch der neuen Mitgliedsländer um eine gemeinsame Außenpolitik, die klare Haltung der EU, auch von Großbritannien, bezüglich des Vorrangs diplomatischer Lösungen mit dem Iran, etc.: Das alles sind Faktoren, die auch in den USA nicht unbemerkt geblieben sind.
All dies macht noch keine konsistente EU-Strategie aus, aber der spezifische Weg, Fortschritte in den internatonalen Beziehungen zu erzielen, wird immer sichtbarer. Bush kommt in ein gestärktes Europa.

Kooperationsmöglichkeiten ausloten

Auch wenn Donald Rumsfeld gegenüber dem "schwächlichen" CIA seine Macht ausgebaut hat und Condolezza Rice bisher nicht viel von Diplomatie und dem "europäischen Weg", Probleme zu lösen, gehalten hat, sind die Versuche, die EU zur Seite zu schieben bzw in ein altes, friedensorientiertes und ein neues, kriegsbereites Europa zu trennen, vorerst gescheitert.
Das gibt Anlass zur Hoffnung. Illusionslos, aber mit klaren politischen Vorstellungen sollte die EU daher die Möglichkeiten der Kooperation ausloten. Bezüglich des Nahen Ostens hat dies schon begonnen. Wie ich mich kürzlich selbst in Israel und Palästina überzeugen konnte, sind beide Seiten bereit, mit den USA und Europa an einer Friedenslösung zu arbeiten – so unterschiedlich die Vorstellungen von Ariel Sharon und Abu Mazen hinsichtlich eines Palästinenserstaates auch sind. Bezüglich des Irans muss die EU auf einer Verhandlungslösung beharren, vor allem muss der Iran – unabhängig von seinem Regime – als Regionalmacht anerkannt und so in die Pflicht genommen werden.

Selbstbestimmt handeln

Erfreulich ist die Erklärung der neuen amerikanischen Außenministerin, dass Demokratie und Freiheit im "erweiterten Nahen Osten" von der Bevölkerung selbst angestrebt werden müssen und nicht von außen aufgezwungen werden dürfen. Europa muss auf einer solchen Strategie beharren, auch wenn der von Präsident Bush bewunderte ehemalige sowjetische Widerstandskämpfer und jetzige rechtsgerichtete israelische Minister Nathan Sharanskydas Gegenteil behauptet.
Und die EU muss darauf bestehen, ihr Verhältnis zu China selbst zu gestalten. Wie immer man zur Aufhebung der Waffenexporte nach China steht, es sind nicht die USA, die uns eine Entscheidung aufzwingen dürfen, noch dazu wo ein treuer Verbündeter der USA, nämlich Israel, eifrig an den Waffenexporten nach China verdient.
Und was die Frage der Entwicklungshilfe, der Klimapolitik und des Schutzes der kulturellen Vielfalt betrifft, so müssten wir weiter unsere Ziele verfolgen, vorzugsweise mit – aber notfalls auch ohne die USA.

In gleicher Augenhöhe

An Gewicht gegenüber der USA und damit auch an Anerkennung als Partner gewinnen wir allerdings weniger durch Polemik als dadurch, dass wir unsere eigene Politik und Strategie definieren und umsetzen. Dazu dient auch der Ausbau der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und dazu dient wieder die Annahme der Europäischen Verfassung. Gerade vor diesem Hintergrund ist mir die "linke" Kritik an der Verfassung unverständlich. Wer haben möchte, dass wir in gleicher Augenhöhe mit den USA – und auch anderen Großmächten – reden können, sollte sich für die Verfassung aussprechen.
Es ist schwer zu sagen, inwieweit sich die Bush-Administration geändert hat, aber die EU ist in den letzten Jahren stärker geworden. Und trotzdem müssen wir noch weitere Schritte unternehmen.
Brüssel, 16.2.2005