Countdown für Rumänien und Bulgarien

Beide Kandidatenländer haben noch viel zu tun, um in wirtschaftlicher Hinsicht an den EU-Durchschnitt heranzukommen.
In diesen Tagen beschäftigen wir uns im Europäischen Parlament mit dem für 2007 vorgesehenen EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien. Beide Länder hatten sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich gut entwickelt, haben aber noch viel aufzuholen.

Aufholprozess

So verzeichnete im Jahr 2004 Bulgarien ein Wirtschaftswachstum von 5,5% und Rumänien von 8%. Dennoch betrug das Bruttosozialprodukt 2004 für beide Länder nur 31% des durchschnittlichen Sozialprodukts der 25 EU-Mitgliedsländer, das der am 1. Mai 2004 beigetretenen zehn neuen Länder betrug 54%.
Allerdings war in den letzten Jahren ein deutlicher Aufholprozess zu bemerken – wenngleich die Arbeitslosigkeit, insbesondere in Bulgarien, hoch blieb – allerdings ebenso in der EU insgesamt und vor allem in den neuen Mitgliedsländern.

Rumänien im Focus

Beide Kandidatenländer haben also noch viel zu tun, um an den EU-Durchschnitt in wirtschaftlicher Hinsicht heranzukommen. Im Übrigen ist aber, was den Arbeitsmarkt betrifft, auch der EU-Durchschnitt sehr unbefriedigend.
Dennoch steht Rumänien allein im Mittelpunkt der Debatten, da der Kampf gegen die Kriminalität und gegen die Korruption bisher mangelhaft geführt wurde. Und angesichts der vielen Jahre einer besonderen Deformierung unter dem Ceausescu Regime mit seiner berüchtigten Geheimpolizei Securitate ist dies auch nicht verwunderlich.

Verschiebungs-Klausel

Da wir im Parlament auf Grund einer Vorentscheidung der Staats- und Regierungschefs bereits jetzt über den Beitritt im Jahre 2007 entscheiden sollen, habe ich einen Antrag gestellt, dass wir vom Parlament aus eine Verschiebung dieses Beitritts auf 2008 verlangen können, sollte die Umsetzung der versprochenen Reformen nicht entsprechend erfolgen. Eine solche Klausel ist für den Rat und die EU-Kommission vorgesehen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, diese Möglichkeit auch dem Parlament einzuräumen, auch wenn dies im EU-Recht nicht vorgesehen ist.
Da auch einige andere KollegInnen diese Idee hatten, haben wir im außenpolitischen Ausschuss unsere Zustimmung, nachdem wir von Rat und Kommission eine entsprechende Zusage bekommen haben, nur unter der Bedingung gegeben, dass wir laufend über die Entwicklung in beiden Ländern informiert werden und auch auf unsere Meinung dazu gehört wird. Und auch wenn die Debatte sich auf Rumänien konzentriert hat, haben wir schon aus grundsätzlichen Überlegungen unser „Mitspracherecht“ für die Zustimmung zum Beitritt beider Länder eingebracht.

Vor Ort-Check

Die eigentliche Zustimmung zum Beitritt erfolgt dann auf Grund jenes Textes, der vom außenpolitischen Ausschuss beschlossen wurde, Mitte April im Plenum des Parlaments. Deshalb habe ich mich entschlossen, vergangenen Freitag nach Bukarest zu fahren und noch einige Gespräche zu führen und letzte Eindrücke über die Bereitschaft der rumänischen Regierung zu ihrer Reformwilligkeit zu bekommen.
Ich traf den Innenminister, den Außenminister und den Chefverhandler Rumäniens mit der EU. Und ich traf die Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments sowie einige andere Parlamentarier. Außerdem führte ich interessante Gespräche mit jungen, aber hochrangigen Beamtinnen des Außenministeriums.

Tatkraft

Mein Eindruck ist, dass sich alle bemühen, die Grenzen Rumäniens umfassend und effektiv nach außen abzusichern und „schengentauglich“ zu machen sowie die Korruptionsbekämpfung umzusetzen. Wenn die vorgestellten Programme und Maßnahmen tatkräftig umgesetzt werden, dann ist der Beitritt 2007 gerechtfertigt.
Und dafür ist auch der Druck der sich aus unserem Parlamentsbeschluss ergibt, durchaus wichtig und für Rumänien selbst auch positiv. Nach anfänglichem Widerstand wurde der Sinn meiner bzw. unserer Überlegungen verstanden und man bedankte sich sogar dafür – schriftlich und mündlich.

Beeindruckende Hilfe für die Straßenkinder

Am Abend meines Aufenthaltes in Bukarest besuchte ich noch Einrichtungen jener Betreuung rumänischer Kinder, die Pater Georg Sporschill mit seiner Organisation „concordia – strassenkinder werden hoffnungskinder“ geschaffen hat. Ich war und bin zutiefst von seiner Initiative und seinem Engagement beeindruckt und sehe meinen kleinen finanziellen Beitrag, den ich Pater Sporschill zukommen ließ, in besten Händen.
Allein, wie die Kinder und Jugendlichen auf ihn reagieren und wie und was auf Grund seines Engagements und seiner Unterstützung seine Mitarbeiter geschaffen haben, ringt mir hohe Bewunderung ab. Besonders berührt hat mich dabei die starke emotionelle Reaktion, die sein Erscheinen bei den noch verbliebenen Straßenkindern beim Bukarester Nordbahnhof ausgelöst hat. Ähnliches habe ich vorher noch nicht gesehen. Solches intensives privates Engagement kann staatliche Sozialhilfe nicht ersetzen, aber gerade in armen Ländern wie Rumänien schafft es einen hohen menschlichen und sozialen Standard und es ist geradezu unverzichtbar.

Brüssel, 5.4.2005