Das Eidgenossen-Briefing

Die Schweiz ist passive Empfängerin von Entscheidungen und hat nicht die Möglichkeit, Europa selbst aktiv mitzugestalten. 
Gestern Nachmittag besuchte uns ein alter Bekannter und, wie er selbst betonte, langjähriger Freund im außenpolitischen Ausschuss in Brüssel: der slowenische Außenminister Rupel.
Rupel war jener Außenminister, der Slowenien in die Unabhängigkeit geführt hat. Danach war er eine Zeit lang Bürgermeister von Laibach, wo ich ihn direkt und persönlich kennen gelernt habe. Nicht nur in Laibach selbst hatte ich mit ihm zu tun, sondern auch bei der Konferenz der Süd-Ost-Europäischen Bürgermeister, die ich gemeinsam mit dem Athener Bürgermeister gegründet habe. Rupel war im Anschluss UNO-Botschafter und ist jetzt wieder Außenminister von Slowenien.

Sloweniens Weg in die EU

Ganz unzweifelhaft konzentriert sich Rupels Ehrgeiz darauf, nachdem er das Land in die Unabhängigkeit geführt hat, es jetzt auch in die Europäische Union zu führen. Seine Präsentation war klar und sachlich, und er hat auch entsprechende Sympathie ausgestrahlt und den außenpolitischen Ausschuss sehr beeindruckt. Meine Fragen an ihn richteten sich nach dem Verhältnis mit den Nachbarn, das er grundsätzlich als sehr gut bezeichnet hat. Zugleich betonte Rupel aber, dass er sich erwartet, dass es nach der Fertigstellung eines auch von Österreich mit beauftragten Gutachtens über das von Kroatien und Slowenien gemeinsam betriebene Atomkraftwerk Krsko nun keine kritischen Aussagen mehr über dieses Kernkraftwerk gibt und dieses kein Hindernis in der Annäherung zwischen Österreich und Slowenien darstellt.

Nachbarschaftsbeziehungen

Meine zweite Frage hinsichtlich der Beziehungen zu den Nachbarn am Balkan, vor allem was Wirtschaft und Handel betrifft, meinte er, dass die guten Beziehungen, die hier aufgebaut werden, die Handelspräferenzen, die gestaltet werden, zur Stabilisierung und Stabilität der gesamten Region beitragen und keineswegs ein Hindernisgrund im Prozess der Annäherung in der Europäischen Union sind, insbesondere natürlich was die Mitgliedschaft betrifft. Denn es wäre ja geradezu grotesk, wenn das, was Slowenien im Sinne des Regionalansatzes tut, um die Länder zu fördern und die wirtschaftliche Situation zu steigern, sich nachträglich negativ auswirken sollte. Auch ich hoffe, dass in dieser Frage entsprechende Lösungen gefunden werden können.

Öffentlicher Nahverkehr

Auch das Thema Verkehr hat mich in dieser Brüsseler Ausschusswoche wieder beschäftigt. Gestern und Heute diskutierten wir im verkehrspolitischen Ausschuss vor allem die Frage, in wie weit der öffentliche Nahverkehr auch durch die Europäische Union geregelt werden soll.
Ich habe in dieser Frage nie meine Position verhehlt: Aus meiner Sicht unterscheidet sich der Nahverkehr doch sehr wesentlich vom überregionalen Güterverkehr, Luftverkehr etc, weil bei ihm und auf ihn auch eine unmittelbare Beeinflussung durch die Bevölkerung selbst möglich ist, also ein demokratisches Element gegeben ist. Ein Fehlverhalten der öffentlichen Hand, ein Missachten von Kundenwünschen, eine überhöhte Preispolitik führen im Nahverkehr zu entsprechendem Wählerverhalten. Und die politischen Instanzen werden dafür bestraft, wenn sie den Nahverkehr sträflich vernachlässigen.
Viele Städte und Gemeinden haben gerade in den letzten Jahren Fehlinvestitionen im Nahverkehr getätigt, und es zeigt sich doch recht deutlich, was man dem Kunden, den Bürgerinnen und Bürgern schuldig ist. Im Übrigen merkt man z.B. in Wien, wo die öffentliche Hand direkt zuständig ist und dort ,wo private Buslinien ausgeschrieben werden, dass es in beiden Fällen zu Fehlern und kundenunfreundlichen Handlungen kommen kann. Aber im Allgemeinen ist die Klage über Unpünktlichkeit, Unregelmäßigkeit oder Unfreundlichkeiten bei den privaten Buslinien höher als bei den öffentlichen Linien.

Liberalisierung im Dialog mit den BürgerInnen

Ich glaube nicht, dass noch mehr Wettbewerb und noch mehr Transparenz grundsätzlich auch mehr Reaktion auf Kundenwünsche zur Konsequenz hätten. Daher sollte man sehr vorsichtig sein und es bei Rahmenrichtlinien belassen. Das war jedenfalls das Argument, das ich in der Debatte zum Ausdruck gebracht habe. Nicht, weil ich mich nach wie vor der Wiener Kommunalpolitik verbunden fühle, sondern weil mir aus meiner Erfahrung und Überzeugung heraus die all zu blinde Liberalisierung und Marktöffnung, der Wettbewerb, der vor allem von Brüssel aus erzwungen wird, nicht sehr sinnvoll erscheinen. Man sollte doch den Städten ihre Freiheit lassen und das Ausmaß an Liberalisierung und Privatisierung im öffentlichen Verkehr von ihnen selbst im Dialog mit den eigenen Bürgern bestimmen lassen.

Die Schweizer kommen

In den vergangenen Tagen besuchte uns nicht zuletzt eine Schweizer Delegation aus dem Nationalrat und dem Ständerat in Brüssel. Die Schweizer erkundigten sich über die Weiterentwicklung in der europäischen Politik, wollten aber vor allem Argumente für eine Volksbefragung Anfang März, die eine baldige Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union herbeiführen sollte, sammeln.
Unsere Freunde aus der Schweiz haben uns natürlich auch kritische Fragen gestellt. Wie sieht es mit der Liberalisierung aus? Was tun wir, um auch das soziale Gedankengut zu vermitteln und nicht unter den Tisch fallen zu lassen? Im Anschluss haben sie mich eingeladen, an einer Pressekonferenz teilzunehmen, bei der ich – und das wurde zum Teil auch in den Schweizer Medien berichtet -, deutlich gesagt habe, dass es für die Schweiz, je länger sie zuwartet, desto schwieriger werden wird, weil sich Europa derzeit neu orientiert positioniert.

Zur Passivität verdammt

Die laufende Debatte über eine Verfassung und eine Charta für Europa, über neue Verfahren, die Debatte, die natürlich auch im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union geführt wird – das alles passiert ohne die Schweiz. Die Schweiz muss schliesslich einfach akzeptieren, was entscheiden worden ist. Sie ist Nehmerin, Empfängerin von Entscheidungen und hat nicht die Möglichkeit, selbst aktiv mitzugestalten.
Das sind genau jene Argumente, die wir auch in Österreich immer wieder ins Treffen geführt haben und führen, auch schon vor unserer Volksabstimmung, die aber zugegebenermassen nicht alle überzeugt haben und auch heute noch nicht alle überzeugen. Zum Teil liegt das sicher auch daran, dass wir uns nicht in vollem Ausmaß engagiert haben, mit aller Kraft an der Gestaltung der Europäischen Union teilzunehmen, sondern uns zurückgelehnt haben – zum Teil natürlich auch von einigen in der EU zurückgelehnt wurden, insbesondere im Zusammenhang mit den so genannten Sanktionen. Das Ganze ist schon ein Wechselspiel, auf jeden Fall ein Spiel, wenn man das so nennen darf, in dem die österreichische Regierung zwar wohl den schwarzen Peter bekommen hat, es aber auch immer wieder herausgefordert hat, ihn zu bekommen.

Umdenken

Ich würde mir natürlich wünschen, dass die Schweiz möglichst bald EU-Mitglied wäre – nicht zuletzt aufgrund ihrer Verkehrspolitik, die in der Schweiz ja besonders fortschrittlich ist. Die Schweiz hat beispielsweise durchgesetzt, dass sie etwas machen darf, was in der Europäischen Union praktisch unmöglich ist, und das mit Genehmigung der Europäischen Union: auf der Straße Geld einzuheben, umzulenken und damit den öffentlichen Verkehr, vor allem den Schienenverkehr auszubauen. So primitiv und simpel das klingt: Genau das müssten wir auch innerhalb der Europäischen Union tun, um erfolgreicher zu sein! 
Brüssel, 6.2.2001