Das Feld nicht den Radikalen überlassen

Die europäische Sozialdemokratie einschließlich der Fraktion im Europäischen Parlament sollte die Dinge in der Slowakei und in Ungarn nicht laufen lassen, sondern aktiv beeinflussen.
Die Frage, ob die slowakische Partei SMER von Premierminister Robert Fico wieder in den Aufnahmeprozess der SPE, also der europäischen Sozialdemokratie, zurückgeführt werden soll, führte mich heute nach Bratislava.

Inakzeptable Slota-Aussagen

Aus den Gesprächen mit Premierminister Robert Fico, dem früheren Vorsitzenden der postkommunistischen Sozialdemokratie Peter Weiss, dem ehemaligen Vorsitzenden der Partei der ungarischen Minderheit Béla Bugár sowie mit hochrangigen Vertretern der Wirtschaft ergab sich für mich folgendes Bild: Wie vorausgesagt bringt der nationalistische Koalitionspartner SNS und vor allem sein Vorsitzender Jan Slota die Regierung, allen voran den Vorsitzenden der SMER und Premierminister Robert Fico, immer wieder in Schwierigkeiten. Seine völlig inakzeptablen Aussagen belasten die Koalition und beschädigen das Verhältnis zu Ungarn und zur ungarischen Volksgruppe im Land selbst.
Die zu erwartenden Reaktionen des Nationalisten Slota führen manche radikalen Minderheitsvertreter zu unüberlegten Vorgangsweisen, die oft das Gegenteil dessen erreichen, was angestrebt wurde (z.B. der Widerruf der Benes-Dekrete). In Ungarn selbst wird diese Situation vom Oppositionsführer Victor Orban weidlich ausgenützt und auch angeheizt. Die neuinstallierte „Ungarische Garde“ tut das ihre noch dazu. Dadurch kommt Premierminister Ferenc Gyurcsany unter Druck und Handlungszwang.

Nationalistische Tendenzen

In der Slowakei ist ebenfalls eine stark nationalistische Tendenz bei den „slowakischen“ Parteien sichtbar. Nicht nur die jüngste Erklärung des slowakischen Parlaments zu den Benes-Dekreten zeigt dies. Diese ist zwar juristisch kaum angreifbar, aber in der gegenwärtigen Situation war sie unnötig und kontraproduktiv.
Auch die vor allem in katholischen Kreisen um sich greifende Heroisierung der rechtsextremen bis faschistischen Führer vor und während der Nazi-Diktatur (A. Hlinka, J. Tiso, etc.) beeinflusst – wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß – alle slowakischen Parteien.

Gespanntes Verhältnis

Das Verhältnis zur ungarischen Volksgruppe ist auf der politischen Ebene als gespannt zu bezeichnen. Wenngleich es keine dramatischen Verschlechterungen in der Behandlung der Minderheit gegeben hat, sind einige Konflikte hinsichtlich der Schulbücher in ungarischer Sprache, hinsichtlich eines Museums in Komarno/Komaron oder der Budgetmittel für Kulturaktivitäten, etc. bemerkbar. Außerdem gibt es eine Reihe von Wüschen der ungarischen Minderheit, über die vernünftig zu sprechen wäre. In der derzeit aufgeheizten Situation ist dies aber nur schwer möglich.
Insgesamt steht das Land wirtschaftlich sehr gut da – mit einem Wachstum von über neun Prozent. Die Regierung hat unter Wahrung wesentlicher Weichenstellungen der Vorgängerregierung neue sozialpolitische Akzente gesetzt. Sie betreibt in vielen Fragen eine eindeutige sozialdemokratische Politik. Die Ausfälle des Parteivorsitzenden Jan Slota und die sich ergänzenden Aktivitäten mancher radikaler Minderheitenvertreter und ungelöste Minderheitenfragen verhindern jedoch, dass die Regierung imagewiese europaweit und vor allem in der europäischen Sozialdemokratie von der sozialdemokratischen Politik im Lande profitiert.

Zeit und Geduld

Die von der Fraktionsführung im Europäischen Parlament eingesetzte Arbeitsgruppe sollte die Chance nützten und unter aktiver Beteiligung der slowakischen und ungarischen Abgeordneten den Boden für eine angemessene Politik gegenüber der ungarischen Minderheit und für ein entspanntes Verhältnis zwischen Ungarn und der Slowakei vorbereiten. Das Karl Renner Institut und die Friederich Ebert Stiftung könnten ebenfalls durch gemeinsame Seminare einen wichtigen Beitrag leisten.
Wir dürfen das Feld keineswegs den Radikalen überlassen. Sieger in der Slowakei und in Ungarn wären die Rechten, und die europäische Sozialdemokratie hätte das Nachsehen. Die europäische Sozialdemokratie einschließlich der Fraktion im Europäischen Parlament sollte die Dinge nicht laufen lassen, sondern aktiv beeinflussen. Dabei darf man sich keine kurzfristige Lösung aller Spannungen erwarten. Der Reflexions- und Versöhnungsprozess erfordert Zeit und Geduld, aber er könnte auch Vorbild für ähnlich gelagerte Fälle, z. B. in Südosteuropa, werden.

Bratislava, 28.9.2007