Das könnte ins Auge gehen!

Eine europäische Sicherheitspolitik, die nicht multinational begrenzt und eingebunden wird und eine Politik der Vorbeugung, die nicht primär wirtschaftlich, sozial und ökologisch orientiert ist, wäre nicht nur für Europa gefährlich.
Vom außenpolitischen Ausschuss war eine kleine Delegation zum Besuch bei der italienischen Präsidentschaft in Rom eingeladen. Die Audienz bei Staatspräsident Ciampi verlief herzlich, aber formell. Eine richtige Diskussion kam nicht zustande. Und das Gespräch im Außenministerium mit einem Staatssekretär – Außenminister Frattini war zu jenem Zeitpunkt nicht in Rom – war besonders wenig aufschlussreich. Die Antworten des Staatssekretärs waren nichtssagend, nur das Gespräch danach mit den Beamten brachte einige Informationen.

Verteidigung als öffentliches Gut

Sehr aufschlussreich war hingegen die Diskussion mit Verteidigungsminister Martino heute früh. Er kommt aus der Liberalen Partei – sein Vater war ein bekannter Europäer -, hat aber zusammen mit Berlusconi die Forza Italia gegründet und vertritt dort eine äußerst wirtschaftsliberale und relativ pro-amerikanische Linie – Martino hat längere Zeit in den USA gelebt.
Für ihn ist die Verteidigung ein öffentliches Gut und die europäische Verteidigung ein europäisches, öffentliches Gut, das zunehmend auf europäischer Ebene zu organisieren ist, da dies nur auf dieser Ebene effizient erfolgen kann. Immerhin geben die Staaten der EU für die Verteidigung ca. 50% jener Summe aus, die die USA ausgeben, allerdings mit einer Effizienz von 10% derjenigen der USA.

Sicherheit statt Verteidigung?

Für Martino hat sich ein deutlicher Paradigmenwandel ergeben, insbesondere nach dem Attentat vom 11. September in New York und schon vorher nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und des Kommunismus. Statt über Verteidigung müsse man heute von Sicherheit sprechen und statt Reaktion bedürfe es der Prävention. Was die Prävention betrifft so betonte Martino, dass er primär nicht präventive Kriege meine, sondern die Zusammenarbeit der Geheimdienste, um mögliche Gefahren zu eruieren, den Austausch von Informationen und die Fähigkeit rasch zu reagieren – letztendlich auch mittels Präventivkriegen? Diese Frage blieb offen.
Auf meine Frage, ob dieser Sicherheitsbegriff nicht zu vage sei und es einer genaueren Definition der Sicherheitsgefährdung ebenso wie des Terrorismus bedürfe, meinte er, beim Terrorismus sei dies klar: Man kann ihn nicht definieren, aber man weiß immer, wann er vorliegt. Was die Sicherheit betrifft, gab er mir recht. Hier müsste in der EU noch einiges geleistet werden, um unsere Sicherheitsinteressen näher zu definieren und ebenso, wann eine Gefährdung unserer Sicherheit vorliege.

Europäische „Sicherheitsagentur“

Aber klar ist für Martino, dass im Sinne der Sicherheit keine geographischen Begrenzungen für militärische Missionen der NATO bzw. der EU vorliegen. In dem Sinne sind sowohl die „Response force“ der NATO als auch die „Rapid reaction force“ der EU notwendig. Auf die von mir ins Treffen geführte mögliche Konkurrenz dieser beiden Truppen, vor allem bei konkreten Einsätzen, ging er nicht ein. Ich fürchte aber, dass viele NATO-Mitglieder der EU im Falle des Falles den NATO-Truppen den Vorrang geben.
Verteidigungsminister Martino sprach sich allerdings auch für eine europäische „Sicherheitsagentur“ aus, die die Waffenbeschaffung in Europa koordinieren sollte, wie auch im Verfassungsentwurf vorgesehen. Die EU sollte auch eine, wenngleich bescheidene, militärische Planungsstelle aufbauen, die in ständigem Kontakt mit den NATO-Einrichtungen stehen sollte. Notwendig wäre auch eine europäische Gendarmerie, wie sie von Frankreich gefordert wurde. Sie hätte primär polizeiliche Aufgaben zu erfüllen, im Übergang von militärischen zu zivilen Einsätzen.
Martino sprach sich eindeutig für ein Berufsheer aus, da nur ein solches die spezifischen, technologischen Anforderungen die heute an ein Heer gestellt werden, erfüllen könne. Dabei müsse das Ziel erreicht werden, ca. 10% des Personals für Auslandseinsätze zur Verfügung stellen zu können. Früher war es weniger als 1%, derzeit sind es ca. 6%.

Militärische Stärkung Europas

Martino will sehr wesentlich dazu beitragen, die militärische Stärke Europas zu erhöhen. Dies soll in enger Anlehnung an die NATO geschehen. Sein Konzept, statt von Verteidigung von Sicherheit zu sprechen, ist zweifellos der heutigen Zeit angepasst, aber es ist auch ambivalent und gefährlich, wird doch die Sicherheit und auch die Konfliktvorbeugung zu breit bzw. überhaupt nicht definiert. Vor allem, wenn die Vereinten Nationen in diesen Prozess nicht eingebunden werden.
Eine europäische Sicherheitspolitik, die nicht multinational begrenzt und eingebunden wird und eine Politik der Vorbeugung, die nicht primär wirtschaftlich, sozial und ökologisch orientiert ist, wäre nicht nur für Europa gefährlich.
Rom, 29.10.2003