Das Leben ist ein Kompromiss

Das Chemikaliengesetz REACH hat für Aufregung und Polarisierung im Europäischen Parlament gesorgt. Letztendlich ist aber ein Kompromiss zustande gekommen, der die Registrierung von Chemikalien, um sie in der Folge zu überprüfen, in Zukunft erleichtern wird.
Die vergangene Plenarwoche in Straßburg war für mich relativ anstrengend und mit Stress verbunden. Ich musste zusätzlich zur Alltagsarbeit auch die wichtigsten Fraktionssitzungen leiten und unzählige Gespräche führen, da Martin Schulz am Parteitag der Sozialdemokraten teilnahm. Dort brachte er die europäische Frage in die Beratungen seiner Partei ein.

REACH

Wir im Europaparlament führten eine Debatte über die Entwicklung am Balkan sowie über das Kommissionsprogramm für das kommende Jahr. Vor allem galt es aber, ein umfangreiches Gesetzeswerk zumindest zur ersten Lesung in Abschluss zu bringen: das so genannte Chemikaliengesetz (REACH). Bei diesem Gesetz geht es darum, die verschiedenen Chemikalien, die produziert, aber auch importiert werden, auf ihre Schädlichkeit für Umwelt und Gesundheit zu überprüfen.
Es sollen also nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, die chemische Industrie selbst und deren Produktionen einer Überprüfung unterzogen werden, sondern die Anwendung von Chemikalien im Textil-, Stahl- oder Lebensmittelbereich, bei den Waschmitteln, in der Landwirtschaft, etc. Negative Auswirkungen wie Krebserkrankungen oder Erbveränderungen sollen im Interesse der Gesundheit und der Umwelt verhindert werden.

Pro und contra

Hier standen und stehen sich zwei große Interessensbereiche gegenüber: Gesundheit und Umwelt auf der einen Seite und die Erhaltung der chemischen Industrie und der damit verbundenen Arbeitsplätze auf der anderen Seite. Zudem gab und gibt es auch ein sehr simples Interesse der chemischen Industrie, keine zusätzlichen Kosten zu übernehmen und Kontrollüberwachungen zu vermeiden.
Für mich als Sozialdemokraten steht fest, dass ich – so sehr ich mich für Gesundheit und Umwelt einsetze – nicht möchte, dass die Wirtschaft zum Abwandern gedrängt wird, indem sie zusätzliche Kosten übernehmen muss. Und ich möchte auf keinen Fall, dass wir durch die Tatsache, dass bestimmte Produkte nicht mehr in Europa produziert werden können, Arbeitsplätze verlieren. Dieselben Produkte werden dann aus ganz anderen Ländern importiert und damit wird der eigentliche negative Effekt verdoppelt.

Heftig umstritten

Es hat dazu in unserer Fraktion heftige Debatten gegeben. Schon der Versuch, auch mit Vertretern der Europäischen Volkspartei Verhandlungen zu führen und eine große Mehrheit zu bekommen, war heftig umstritten. Zudem gab es in den einzelnen Fraktionen – sowohl bei uns als auch bei der ÖVP – Hardliner. Bei uns eher in Richtung Gesundheit und Umwelt, bei der ÖVP in Richtung Wirtschaft. Sie haben den Verhandlern das Leben nicht gerade leicht gemacht.
Der zuständige Berichterstatter Guido Sacconi hat dennoch hervorragende Arbeit geleistet. Durch ihn wurde das Thema im Umweltausschuss behandelt. Allerdings haben der Binnenmarktausschuss und der Industrieausschuss entsprechend deutliche Stellungnahmen abgegeben, die mehr an der Wirtschaftlichkeit orientiert waren.

Europäischer Kompromiss

Letztendlich ist ein Kompromiss zustande gekommen, der die Registrierung von Chemikalien, um sie in der Folge zu überprüfen, erleichtert und, im Gegensatz zum Vorschlag der Kommission, vor allem auch bei kleineren Mengen einen risikoorientierten Ansatz vertritt. Die Überprüfung und Registrierung in vollem Umfang muss demnach nur erfolgen, wenn entsprechende Gefahren und Risken vermutet werden und anzunehmen sind.
Die entsprechende Agentur, die das zu überprüfen und durchzuführen hat, würde in ihren Möglichkeiten gestärkt. Auch wenn viele auf beiden Seiten unzufrieden sind, weil sie sich nicht durchgesetzt haben, ist zuletzt doch ein Ergebnis herausgekommen, das einen vernünftigen europäischen Kompromiss darstellt.

Gute Ausgangsbasis

Es war spannend zu sehen, dass nach der Abstimmung der einzelnen Abänderungsanträge auf Kompromissanträge, die etwa zwei Stunden gedauert hat, in vielen Fraktionen Unklarheit herrschte, wie denn die Schlussabstimmung eigentlich erfolgen sollte. In der Sozialdemokratie gab es nie eine einheitliche Zustimmung. Dann hat schließlich die linke Fraktion zugestimmt, ebenso wie die Liberalen und auch große Teile der Europäischen Volkspartei. Dennoch war die Situation extrem gespalten – etwa bei den Grünen, die eher auf der Ablehnungsseite waren.
Insgesamt ist das REACH-Paket, wie es genannt wird, aber ganz passabel durchgekommen. Eine gute Basis für Gespräche mit der britischen Präsidentschaft, um zu einer Lösung zu kommen.

Enttäuschender Jack Straw

Apropos britische Präsidentschaft: Es gab eine Erklärung der britischen Präsidentschaft über den informellen Gipfel, der in Hampton Court bei London stattgefunden hat, abgegeben vom britischen Außenminister Jack Straw. Er hat er im Europäischen Parlament am vergangenen Mittwoch eigentlich eine katastrophale Rede gehalten.
Es gibt viele Details hinsichtlich einer Überregulierung durch die Europäischen Union, denen ich zustimme. Aber eine Rede, die mit so wenig Enthusiasmus, mit so wenig Bekenntnis zur Notwenigkeit der europäischen Einigung, ohne jegliche Vision, wie sich dieses Europa entwickeln soll, gehalten wird, hat mich doch enttäuscht. Insbesondere auch die Betonung, dass in vielen sozialpolitischen Fragen einfach die Länder selbst entscheiden und sich Europa nicht einmischen sollte, hat mich entsetzt.

Nagelprobe

Ich war direkt froh, dass ich nicht unmittelbar nach ihm sprechen musste. Man hätte nach dieser Rede nur ausdrücken können, dass Tony Blair selbst mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Es ist ja nicht so, dass die britische Präsidentschaft generell schlecht ist.
Ich glaube, dass Tony Blair Großbritannien in vielen Bereichen in Europa verankern möchte. Mit einem Außenminister Jack Straw oder einem Finanzminister Gordon Brown ist das allerdings äußerst schwierig. Diesen Politikern fehlt jegliche europäische fehlende Vision, und das bedauere ich sehr. Das wird auch die Beurteilung der britischen Ratspräsidentschaft wesentlich beeinflussen. Das Hauptkriterium der Beurteilung für die britische Ratspräsidentschaft liegt aber letztendlich darin, ob es ihr gelingt, einen Budgetkompromiss herbeizuführen oder ob sie auch an dieser Herausforderung scheitern werden.
Wien, 21.11.2005