Dauerbrenner Russland

Wir brauchen eine strategische Partnerschaft mit Russland, allerdings sind dafür einige Vorrausetzungen notwendig.
Das Thema Russland und seine Beziehungen zur EU ließ mich die ganze Woche nicht los.

Hearing im Außenpolitischen Ausschuss

Am Dienstag lud ich zu einem Arbeitsessen ein, bei dem wir mit Vertretern der OMV, der Kommission (Generaldirektionen Energie und Außenpolitik) und unabhängigen Experten alternative Gasrouten zur Gasversorgung aus Russland diskutierten – und zwar insbesondere die Nabucco-Pipeline vom Südkaukasus und Mittelasien nach Baumgarten in Niederösterreich.
Direkter um Russland ging es bei einem Hearing des Außenpoltischen Ausschusses über die Beziehungen der EU mit Russland. Geladen waren der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses der Duma sowie zwei interessante Experten: Fyodor Lukyanov, der mir schon bekannte Chefredakteur der Zeitschrift „Russia in Global Affairs“ und Arkady Moshes vom Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten.

Pragmatisches Verhältnis herstellen

Lukyanov meinte, der Versuch, Russland nach Europäischem oder internationalem Muster umzugestalten, sei misslungen – ebenso wie der Versuch, ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem herzustellen, dem alle vertrauen können. Man würde auch jetzt keine dauerhafte Beziehungsform zwischen der EU und Russland herstellen können. Dafür seien beide Teile viel zu sehr in Bewegung und Veränderung. Aber ein vernünftiges, pragmatisches Verhältnis herzustellen, sei möglich und sinnvoll.
Moshes wiederum gab zu Bedenken, entgegen vielen Meinungen sei Russlands Verhalten gegenüber seinen Nachbarn weder imperial noch neo-imperial, bestenfalls post-imperial. Allerdings wolle es noch immer eine privilegierte Beziehung zu seinen ex-sowjetischen Nachbarn. Diese hingegen seien nicht so heiß darauf.

Wettbewerb um Vorteile für die Nachbarn

Der Dumaabgeordnete Kosatchev merkte an, dass sich in all den jüngsten Krisen, dem Georgien-Russland Krieg, in der Wirtschaftskrise und beim jüngsten Gasstreit Russland-Ukraine, die EU als der effektivste Partner herausgestellt hat. Allerdings hätten sich weder Russland noch die EU entschieden, ob sie eine „strategische“ Partnerschaft eingehen wollen. Kosatchev stellte in den Raum, dass das Verhältnis der EU zu Russland nicht unähnlich zu dem der EU zu den USA gestaltetet werden könnte. In beiden Fällen gäbe es Differenzen, aber das Interesse zu gemeinsamen Vorgehen sei größer als die Differenzen.
Ich selbst sprach mich für das Ziel einer strategischen Partnerschaft aus, allerdings sind dazu einige Vorraussetzung notwendig. Seitens der EU muss man aufhören, bei jedem Konflikt, in den Russland involviert ist, automatisch Russland als den Schuldigen zu betrachten. Anderseits muss Russland ein offeneres und pragmatischeres Verhalten zu seinen Nachbarn finden. Es sollte zwischen der EU und Russland einen Wettbewerb um positive Angebote und Vorteile für die Nachbarn geben. Das könnte letztendlich zu gemeinsamen Aktionen führen, bei denen alle drei – die EU, Russland und die gemeinsamen Nachbarn – Vorteile daraus ziehen.

EU-Russia Research Institut

In Wien ging es heute schließlich mit der Gründung eines Forschungsinstituts namens ICEUR (International Center for Advanced and Comparative EU-Russia/NIS Research) weiter. Der bekannte Politologe und Russlandspezialist Prof. Hans-Georg Heinrich hat die Initiative zu diesem Institut ergriffen und Erhard Busek als Präsidenten und mich als Vizepräsidenten vorgeschlagen. Eingeladen waren von russischer Seite eine Reihe hervorragender Experten aus dem „Dunstkreis“ von Michael Gorbatschow, unter anderem der bekannte liberale Unternehmer Alexander Lebedev, aber auch ein profilierter Journalist aus Moskau bzw. Washington, Vlademir Pozner.
Letzterer meinte im Übrigen, dass es in der Vergangenheit einen „deal“ zwischen Putin und der Bevölkerung gegeben habe: stetige Steigerung des Wohlstands gegen eingeschränkte Freiheit. Das sei nun mit der Wirtschaftskrise in Gefahr. Als ich den Ökonomen Ruslan Grinberg, den ich schon montags in Potsdam getroffen hatte, darauf ansprach und nach möglichen sozialen Unruhen fragte, meinte dieser: Russland ist dafür zu groß. Wenn es irgendwo in der Provinz Probleme oder Unruhen gibt, dann könne bloß eine Abordnung nach Moskau kommen. In anderen Ländern steigen die Menschen in den Bus oder Zug und sind bald in der Hauptstadt. So bleiben die Probleme in Russland lokal und dezentral.

Genug Stoff

Vlademir Pozner sagte überdies, er rechne mit einem Verzicht der USA auf eine Installierung des Raketenschilds in Europa, falls die Russen im Gegenzug zu einer härteren Linie gegenüber dem Iran bereit sind. Man wird ja sehen. Und Alexander Lebedev wiederum sprach von der ungeheuren Bürokratie und der weit verbreiteten Korruption als Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung in Russland. Einige Gesprächspartner verwiesen auf die Energiekrise, angesprochen auf die katastrophale Wirtschaftssituation in der Ukraine. Kann sie überhaupt die vereinbarten Preise für die Energielieferungen bezahlen? Es gibt also genug Stoff für die weiteren Diskussionen und die Verhinderung neuer Konflikte.

Wien, 13.2.2009