Der übliche Theaterdonner

Die österreichische Bundesregierung schafft es immer wieder, uns in neue Kontroversen mit unseren Nachbarn zu bringen. Leidträger werden die nachfolgenden Generationen sein.  
Das Volksbegehren zu Temelin hat eine durchaus ansehnliche Zahl an Unterschriften erhalten, was auch zu erwarten war. Es blieb aber trotzdem hinter der Millionengrenze zurück und hat im Verhältnis zu den stimmberechtigten BürgerInnen lediglich das sechstbeste Ergebnis aller bisherigen Volksbegehren erzielt.
Ich will das Temelin-Volksbegehren nicht klein reden. Aber man muss schon sehen, wie Kronen Zeitung und FPÖ eine ungeheure Propaganda in Gang gesetzt haben. Auch die etwas zurückhaltende Position der SPÖ hat zweifellos zu sehr vielen Unterschriften geführt. Verstärkt wurde dieser Effekt noch durch katastrophale Aussagen des tschechischen Premierministers Zeman, der nicht nur Haider beschimpft, sondern in einem Interview mit „profil“ auch indirekt die Kollektivschuld der Sudetendeutschen Bevölkerung angeführt hat.

Unterschiedliche Motivation

Und trotzdem: All diese Faktoren haben letztendlich nicht bewirkt, dass mehr als 1 Million ÖsterreicherInnen bei diesem hoch emotionalisierten Thema unterschrieben haben. Ich bin mir durchaus bewusst, dass einige auch deswegen nicht unterschrieben haben, weil sie überzeugt waren, dass es ohnedies nicht helfen wird. Andere wiederum haben deshalb unterschrieben, weil sie damit gerechnet haben, die Regierung müsste dann etwas unternehmen bzw. weil sie gehofft haben, die Regierung würde dadurch auseinander brechen.
Nun, die Regierung ist nicht auseinander gebrochen. Stattdessen wurde der übliche Theaterdonner inszeniert. Genau so, wie die Krise insgesamt inszeniert wurde. Und wie immer in solchen Fällen, zauberte Haider schon das nächste Thema aus dem Hut: die Benes-Dekrete. Der Kampf gegen die Tschechen darf offensichtlich nicht aufgegeben werden.

Erfüllungsgehilfin Ferrero-Waldner

Wie immer hat die Außenministerin auch dieses Thema aufgegriffen und sich als willkommene Erfüllungsgehilfin der Haiderschen Positionen dargeboten. Sie hat dann etwas abgeschwächt, vielleicht sogar aufgrund einer sehr scharfen Presseaussendung von mir, denn ich wurde zitiert.
Ich habe immer wieder betont, dass es dem europäischen Geist entsprechen würde, wenn die Tschechische Republik insgesamt eine ausgewogene, differenzierte Position zu den Ereignissen einnehmen würde und auch eine entsprechende Entschuldigung gegenüber den unschuldigen Opfern der Vertreibung vorbringen würden.

Politische, nicht moralische Frage

Ich habe aber ebenfalls immer wieder betont, dass ein Ausschlusskriterium oder ein Nicht-Beenden der Verhandlungen mit der Tschechischen Republik nur dann gerechtfertigt wären, wenn heute noch diskriminierende Wirkungen der Benes-Dekrete nachweisbar sind. Das wäre die einzige Situation, die wir ebenso wie die Tschechen akzeptieren müssten. In allen anderen Fällen handelt es sich um eine politische Frage, die wir mit diesem Land unabhängig vom Beitritt zu behandeln haben.
Genauso gut könnten England und Irland nicht in der Europäischen Union sein, so lange die Frage Nordirland nicht gelöst werden kann. Spanien und England als Mitglieder in der Europäischen Union wären nicht denkbar, so lange Gibraltar nicht gelöst wird. Es geht also zum einen um den Beitritt eines Landes und zum anderen darum, was man unabhängig vom Beitritt von einem europäischen Nachbarn verlangen kann. Und so kann auch die Tschechische Republik von uns verlangen, dass wir nicht nur versuchen, einigermaßen rational unsere Ängste hinsichtlich Temelin zum Ausdruck zu bringen, sondern dass wir uns auch nicht mit dem moralischen Zeigefinger in der Frage der Benes-Dekrete aufspielen.

Vor der eigenen Türe kehren

Wir gehörten zu jenem Land, das die Tschechoslowakei im Krieg besetzt hat. Damals haben auch unsere Leute dort ihr Unwesen getrieben. Die Tschechoslowakei war eines der wenigen Länder, das sich massiv gegen das Naziregime und den Faschismus gewehrt hat. Sie wurde von den Großmächten verraten. Diesem Land nun permanent eine demokratische Gesinnung abzusprechen, ist einfach katastrophal. Offensichtlich haben wir alle aus unserer Geschichte nicht gelernt. Andernfalls würden wir die Dinge viel differenzierter sehen. Denn unsere eigene Schuld legitimiert uns nicht, an das Verantwortungsbewusstsein und Gewissen anderer Länder zu appellieren. Man muss stattdessen wesentlich vorsichtiger mit seinen Forderungen umgehen und sollte sich nicht zum moralischen Gutmenschen und Heilbringer aufspielen, der immer nur die anderen bewertet, urteilt und verurteilt.

Selbstschädigung Österreichs schreitet voran

Auch diese Frage wird vergehen, aber die Selbstbeschädigung Österreichs schreitet voran. Die Bundesregierung schafft es immer wieder, uns in neue Kontroversen mit unseren Nachbarn zu bringen. Leidträger werden die nachfolgenden Generationen sein. Und zwar dann, wenn sie in der Europäischen Union österreichische Interessen vertreten wollen, aber es nur wenige Nachbarn gibt, die mit uns gemeinsam diesen Weg gehen wollen. Die Prügel, die wir unseren Nachbarn in den Weg geworfen haben, als sie sich aufgemacht haben, der Europäischen Union beizutreten, werden dann eine zu grosse Hürde für eine enge Zusammenarbeit mit Österreich darstellen.
 
Wien, 25.1.2002